SchreibWerkstatt
Neue Texte Frankfurter Autoren
105. PRO LESEN-Themenwoche 18. – 23. September 2023
KAKANIEN. Literarische Phantasien und politische Verhängnisse
Das Beispiel Elisabeth von Österreichs,
genannt Sisi
Büchertisch und Lesung
Donnerstagabend-Lesung am 21.09.23, 19:00 – 20:30 Uhr
Auszüge aus Karen Duves Roman Sisi
Karen Duve erhält im September den Niedersächsischen Literaturpreis
(Walter Kempowski Preis für biografische Literatur)
Anschließend Publikumsgespräch
Eintritt frei
Auf ein Wort
Was sich überhaupt sagen lässt, lässt sich nur klar sagen

Demokratie ist nur ohne Nazis und ohne Nazi-Phrasen möglich
Der bayerische Wirtschaftsminister und stellvertretende Ministerpräsident Hubert Aiwanger macht häufiger durch rechtspopulistische Äußerungen auf sich aufmerksam. Erst im Juni dieses Jahres forderte er auf einer Parteiversammlung der Freien Wähler, die »schweigende Mehrheit« müsse sich »die Demokratie wieder zurückholen«. Das klang nach AfD-Geschwätz und ging in erster Linie an die Adresse der Berliner Ampelkoalition, aber mutmaßlich waren es auch frühe Wahlkampftöne. Denn in Bayern wird am 8. Oktober ein neuer Landtag gewählt. Aiwanger nützt gern die Narrenfreiheit, die er als Vorsitzender der Freien Wähler in Bayern genießt. Denn Ministerpräsident Markus Söder ist bislang auf diese Partei angewiesen und möglicherweise wird er es auch künftig sein.
In den mittlerweile in Fahrt gekommenen Wahlkampf platzte Ende August eine Meldung der „Süddeutschen Zeitung“. Die wollte herausgefunden haben, dass der damals 16-jährige Hubert Aiwanger im Schuljahr 1987/88 ein antisemitisches Flugblatt in der Schultasche mit sich führte. Darin ging es um einen fiktiven Wettbewerb, der unter dem bezeichnenden Motto stand „Wer ist der größte Vaterlandsverräter?“ Als Preise wurden ausgelobt eine „Reise ins Vergnügungsviertel Auschwitz“, ein „Freiflug durch den Schornstein in Auschwitz“ oder ein „einjähriger Aufenthalt in Dachau". Aiwanger dementierte, der Verfasser dieses Pamphlets zu sein, nannte aber auf den Druck der Öffentlichkeit hin seinen älteren Bruder Helmut als Autor der Schmähschrift. Warum er dennoch dieses Flugblatt mit sich führte, konnte er nicht schlüssig erklären. Frühere Mitschüler warfen ihm sogar vor, in der Klasse mehrfach den Hitler-Gruß gezeigt und sich Hitlers Redestil bedient zu haben.
Wenn die Brüder Aiwanger als 16- bzw. 17-jährige Schüler 1987 den NS-Staat und dessen Verbrechen verharmlosten, lässt sich das nicht, wie Aiwanger heute sagt, als Jugendsünden abtun. Und man kann derartige Äußerungen und Handlungen rückblickend auch nicht „so oder so interpretieren“, wie Hubert Aiwanger meint. Denn mehr als 40 Jahre nach dem Ende des Nazi-Staats waren dessen Gräueltaten längst dokumentiert und Bestandteil des Geschichtsunterrichts. Richard von Weizsäcker war der erste Bundespräsident, der in seiner Rede am 8. Mai 1985 vor dem Deutschen Bundestag den 8. Mai 1945 einen "Tag der Befreiung" nannte. Damit gab er einen neuen und wesentlichen Anstoß zur öffentlichen Aufarbeitung der NS-Gewaltherrschaft.
Doch dieser Ruck scheint nicht bei jedem in Niederbayern angekommen zu sein. Zumindest nicht im Elternhaus der Aiwangers und nicht bei der Leitung des Burkhart-Gymnasiums in Mallersdorf-Pfaffenberg. Offensichtlich haben sämtliche Erziehungsinstitutionen versagt. Wenn trotzdem der Landesverband der Freien Wähler Bayerns, der Vorstand der Landtagsfraktion und die FW-Kabinettsmitglieder betonen, sie stünden geschlossen hinter Hubert Aiwanger, verdeutlicht das die reaktionäre und demokratiefeindliche Gesinnung dieser Gruppe.
Bleiben Sie wachsam,
Ihr Klaus Philipp Mertens