Einzelartikel aus „https://bruecke-unter-dem-main.de - Frankfurter Netzzeitschrift“

Das kritische Tagebuch

Ein etwas anderer Blick auf das Stadtbild

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Und dabei tief gefallen

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Ist die Schule noch die Schule der Nation?

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Vom Geist der Zeit

Das Magazin „Chrismon“ wird 25

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Wissenswertes über Dummheit

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Ausgewählte Sprachhülsen

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Eine Spurensuche für die Gebildeten unter den Verächtern

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Maßstäbe und persönliche Stilbildung

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Das amtliches Regelwerk für deutsche Rechtschreibung wurde aktualisiert. Wir geben eine Verlautbarung der Kultusministerkonferenz und des Rats für…

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Buchtipps

Die biografische Kriegs- und Nachkriegsgeschichte „Papa im Schuhkarton“ des Zeitzeugen Klaus Jost

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Anmerkungen zu einem neuen Buch

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Eckhard Meineke

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Nachrichten. Kultur – Politik – Wissenschaft

Gedenktage im November 2025

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„SPIEGEL-Bestseller“-Aufkleber gefallen Lesern mit geschultem Literaturgeschmack nicht.

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SchreibWerkstatt

Neue Texte Frankfurter Autoren

126. PRO LESEN-Themenwoche 17. – 22. November 2025

Im Bibliothekszentrum Sachsenhausen, Obergeschoss

 

 

Autoren bei Pro Lesen: Vougar Aslanov

Büchertisch und Lesung

 

20. November 2025, 19:00 – 20:30 Uhr
Bibliothekszentrum Sachsenhausen, Obergeschoss

 

Das literarische Donnerstagabend-Studio

Die Dekabristen
Über den Aufstand der Dekabristen gegen Zar Nikolaj I. in St. Petersburg, 14. 12. 1825.
Gegen Leibeigenschaft, Autokratie, Imperialismus, Polizeiwillkür und Zensur.

Kann er ein Beispiel sein für die innerrussische Opposition gegen Putin?

 

Vougar Aslanov liest aus seinem Roman
Russisches Gesetz

Mit Publikumsgespräch
Eintritt frei

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kulturschaffende
Ein ewiges Unwort

 

 

Unmittelbar nach dem Zusammenbruch der Nazi-Diktatur sammelten die Journalisten Dolf Sternberger, Gerhard Storz und Wilhelm E. Süskind typische Beispiele der im Dritten Reich verwendeten ideologischen Begriffe. Sie nannten Ihre umfangreiche Recherche „Aus dem Wörterbuch des Unmenschen“. Darin erläuterten sie die Herkunft der Begriffe und beschrieben deren neue, von den politischen Machthabern erwünschte Bedeutung, die häufig der tatsächlichen Etymologie widersprach. Nicht selten waren es rein synthetische Wortschöpfungen, die aus der völkischen Ideologie abgeleitet wurden.

 

Als Forum für ihre Artikelserie nutzten sie die im Sommer 1945 gegründete Zeitschrift „Die Wandlung“, deren erste Nummer im November 1945 erschien. Initiiert worden war sie von dem Philosophen Karl Jaspers. Als Herausgeber fungierte Dolf Sternberger. Regelmäßige Beiträger waren die erwähnten Gerhard Storz und Wilhelm E. Süskind, ebenso Hannah Arendt und Marie Luise Kaschnitz. Verlagsort war Heidelberg.

Das Wörterbuch erschien in fünf Heften der „Wandlung“, die letzte Folge im Herbst 1946. Erst 1957 war eine Buchausgabe verfügbar, die im Hamburger Claasen Verlag erschien.

 

Ein typisches Beispiel für sinnentleerte Begriffe sind die „Kulturschaffenden“. Das Wort stammte direkt aus der Giftküche des Joseph Goebbels und entstand im Kontext der Phrase „Arbeiter der Stirn und der Faust". Die Faschisten verstanden Kultur zwar als immateriellen Gegenstand, der aber in Manufakturen, letztlich auch an Werkbank oder Fließband nach definierten Normen produziert werden konnte. Künstlerische Maßstäbe für die Schaffer gab es nicht, stattdessen ideologische Vorgaben.

 

Die Komposition erinnert an legitime Verbindungen mit dem Wortstamm »Kultur-«. Beispielsweise an Kulturgeschichte, Kulturmensch oder Kulturpflanze. Diese gehen auf das lateinische »colere« zurück. Der ursprüngliche Sinn enthält alle heutigen Bedeutungen von »Kultur«. Denn Colere heißt bebauen, heranziehen, pflegen: die Kulturpflanze ist die Pflanze, die auf Pflege und »Kultivierung« Anspruch erhebt und nicht im Wildwuchs gedeiht.

 

Der NS-Unmensch und seine Nachfolger lassen sich zwischen Barbar (altgriechisch für Fremder, Plapperer, den man nicht versteht) und dem Ungeheuer (Scheusal) platzieren. Er übertrifft das bloß Ungeschlachte und Fremde des Barbaren (des homo incultus) und verleiht dem Ungeheuerlichen eine neue negative Qualität. Im Gegensatz zum naiveren Barbaren legt er nicht nur die Merkmale der Kultur äußerlich an, sondern er übt Kultur aus, er macht in Kultur, er hält sie mit seiner ihm innewohnenden, nie hinterfragten Selbstverständlichkeit für einen Gegenstand, den man arbeiten und bearbeiten kann. Ja, für eine Sparte innerhalb diverser Berufe und Tätigkeiten.

»Betreuung« ist für den Unmenschen die praktischste Übersetzung des Fremdworts Kultur. Was wollt ihr? - könnte er sagen. Die Gesamtheit der künstlerischen Güter, die betreut (verwaltet, vor allem bevormundet) werden müssen, plus dem Akt der Betreuung selbst - das ist doch eben Kultur! Er übersieht bewusst, dass Künstler ohne übergeordnete Projektpläne künstlerisch tätig sind. Philosophen denken über das Wesen des Menschen nach. Schriftsteller schreiben, Maler malen und zeichnen, Bildhauer schaffen aus Stein oder Holz Figuren. Dadurch tragen sie zur Kultur bei. Also zur Gesamtheit der geistigen und künstlerischen Lebensäußerungen einer Gemeinschaft, eines Volkes. Kultur ist kein Produkt, man kann sie nicht schaffen. Sie ist Abstraktion, ist die Meta-Ebene alles Künstlerischen. Eine Vorstellung, welche die beschränkten Möglichkeiten eines Unmenschen übersteigt, der nur in Sachen und Vorurteilen denkt.

 

Überhaupt: Was ist ein »Schaffender«? Das Wort ist ein Beispiel für den falschen Gebrauch des Partizip Präsens. Anstatt eine zeitgleiche Tätigkeit zu beschreiben, wird es fälschlich als Gattungsbegriff benutzt. Bildungsferne, die zusätzlich von ideologischer Legasthenie (Gendern) betroffen sind, verwenden auch falsche Begriffe wie Mitarbeitende oder Studierende, um das genderneutrale Maskulinum zu umgehen. 

 

In seiner Sprache äußert und entlarvt sich der Mensch. Darum: Seien Sie vorsichtig vor vergifteten Wörtern.

 

Ihr
Klaus Philipp Mertens