Einzelartikel aus „https://bruecke-unter-dem-main.de - Frankfurter Netzzeitschrift“

Aktuelle Themenwoche

116. PRO LESEN-Themenwoche. 18. - 23. November 2024

Es war einmal in Deutschland:

Michael Bergmanns Romane

Die Teilacher und Machloikes

Geschichten von der Rückkehr ins Land der Täter

 

Michel Bergmann wurde im Jahr 1945 in einem Schweizer Internierungslager geboren, als Sohn jüdischer Eltern, die dem nationalsozialistischen Völkermord mit knapper Not entronnen waren. Zunächst arbeitete Michel Bergmann als Journalist, Drehbuchautor und Regisseur, ehe er sich an seine beiden Bücher „Die Teilacher“ und „Machloikes“ wagte, in denen seine Familiengeschichte indirekt ihren literarischen Niederschlag fand.

In Michel Bergmanns erstem Roman „Die Teilacher“, geht es, neben einzelnen Rückblicken, vor allem um jüdisches Leben kurz vor und nach der Währungsreform.

Teilacher waren in der Vorkriegszeit jüdische Handlungsreisende, die vorwiegend in ländlichen Gegenden Wäschepakete an die Frau brachten: Weißwäsche, Laken, Bezüge, Tischdecken, manchmal ganze Aussteuern. Ein Gewerbe, das in der Vorkriegszeit florierte und in der Zeit des Nationalsozialismus ein jähes Ende fand.

 

„Aufgerollt“ wird die Teilacher-Geschichte von Alfred Kleefeld, der den Nachlass seines Ziehvaters David Bermanns ordnen muss, nach der Beerdigung mit den alt gewordenen Freunden Bermanns zusammen sitzt und ihren Gesprächen zuhört: Fajnbrot, Verständig, Fränkel, Holzmann. Sie alle hatten vor dem Krieg die Teilacherei ausgeübt, waren dann in alle Winde zerstreut worden, fanden sich im Frankfurt der Nachkriegszeit nach und nach wieder und begannen das Geschäft wieder aufzubauen. Mit Witz und List gelingt es ihnen so manches Paket abzusetzen.

 

Die Teilacher beschreibt ein Stück jüdischer Nachkriegsgeschichte, von dem man wenig weiß. Während viele der Überlebenden irgendwann auswanderten, verblieb ein kleiner Teil in Deutschland, oft unter Lebensumständen und Motiven, auf die sie im Alter nur im Zwiespalt oder mit Bitternis zurückblicken konnten.

 

 

Auch in seinem zweiten Buch „Machloikes“ (ebenfalls ein jiddisches Wort, es bedeutet Durcheinander, Zwiespalt, Zwist) verknüpft der Autor subtil mehrere Handlungsstränge miteinander. „Die wilden Jahre waren vorbei“, heißt es zu Beginn, „und langsam beginnen die Wunden zu vernarben. Es gab die Bundesrepublik Deutschland, einen volkstümlichen Bundespräsidenten und einen scharfkantigen Kanzler. Und es gab die Teilacher, die jüdischen Handelsvertreter, die von Tür zu Tür zogen, um den Deutschen Wäschepakte zu verkaufen“.

Alles scheint nun in bester Ordnung zu sein. Doch dann wird Robert Fränkel von einem CIA-Beamten vorgeladen, und damit fangen die Machloikes an. Fränkel soll nämlich erklären, warum sein Name in vielen Akten der SS auftaucht. Dabei hat er im Krieg nur Witze erzählt, die allerdings so gut waren, dass er als geborener Entertainer im Lager ausgewählt wurde, auch Hitler Witze beizubringen. Wozu es allerdings nicht gekommen war. Diese Geschichte jedoch glaubt ihm zunächst niemand. 

Nebenbei bringt Michel Bergmann vieles zur Sprache: den Warschauer Prozess im Frühjahr 1947 gegen den ehemaligen SS-Obersturmbannführer Rudolf Höß, der unter Hitler Kommandant des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau gewesen war. Auch unbelehrbare Nazis tauchen auf. Überlebende wiederum lässt die Frage keine Ruhe: Warum habe ausgerechnet ich überlebt und nicht auch mein Bruder oder mein Vater? Angerissen wird ebenfalls die Frage nach der individuellen Schuld der Mitläufer im Nazireich. Nebenbei entwirft der Autor das launige Porträt von einer angeblich typisch jüdischen Mutter und spielt hin und wieder mit Vorurteilen und Versatzstücken des Jiddischen. 

Mit leichter Hand präsentiert Michel Bergmann seinen Lesern eine eindrucksvolle Lektion in jüngerer Zeitgeschichte, mit anrührenden kleinen Geschichten und lässt trotz des schwierigen Themas viel Humor mit einfließen, so dass man auf unterhaltsam-ernste Weise mit der deutsch-jüdischen Geschichte konfrontiert wird, obgleich der Autor keinen Zweifel daran lässt, dass die Vernichtung des jüdischen Volkes eine schwere Hypothek für alle Deutschen ist. Die Frage, wie man als Jude nach allem, was passiert ist, in Deutschland weitermachen kann, steht daher auch Mitte der 1950er-Jahre weiter im Raum. Die Juden lebten zwar unter den Deutschen, aber nicht mit ihnen, heißt es an einer Stelle im Buch.