Das kritische Tagebuch

Christian L., angelernter Buchhalter

Tätig in der Bundesregierung

Collage MRG Original © Deutscher Bundestag

Die deutsche Wirtschaft tut sich nach eigenen Aussagen schwerer als andere EU-Staaten mit der Bewältigung epidemiologischer und politischer Krisen. Allen voran mit den Folgen von Corona und Ukraine-Krieg sowie mit der Therapie des dauerhaft erkrankten Weltklimas. Während woanders das Wachstum spürbar wächst, dümpelt es in der Bundesrepublik bei 0,1 bis 0,3 Prozent. Hört man sich bei der EU in Brüssel nach den Gründen um, antworten die Erfolgreicheren lapidar: Wir haben auch keine FDP und keinen Christian Lindner.

Das mag eine überspitzte Feststellung sein. Aber sie entbehrt nicht eines Funkens Wahrheit. Der Chefbuchhalter der Bundesregierung, dessen Kenntnisse in dem Metier gering bis nicht vorhanden scheinen, missversteht sein Amt als das eines Herrschers über den Staats-Etat. Tatsächlich aber entscheidet das Parlament über den Haushalt. Der Finanzminister soll – wie ein erfahrener Bilanzbuchhalter - warnen, falls gegen gesetzliche Leitlinien verstoßen werden könnte. Und er organisiert die Einkünfte (Steuern) und die Verteilung staatlicher Leistungen.
 

Ja, der Meister des gepflegten Schwafeldioxids ist ein wahrhaftiger „John Lackland“ oder „Jean Sans-Terre“, also ein König Ohneland – wie weiland der englische König Johann, der seinem Bruder Richard Löwenherz 1199 auf den Thron folgte. Im Krieg gegen Frankreich verlor er weite Teile des Besitzes des Herrscherhauses der Plantagenets auf dem Kontinent. Im Jahr 1215 zwang ihn der revoltierende Adel zur Anerkennung der Magna Carta.
 

Lindners Ego bekommen solche und ähnliche Vergleiche gar nicht. Folglich versucht er permanent, sein Profil zu schärfen. Typischerweise zu Lasten jener, die sich kaum wehren können. Beim Lieferkettengesetz zeigte er ein Herz für Unternehmer, die Kinder ausbeuten. Das Bundeskindergrundsicherungsgesetz – BKG, das Armut bei den Schwächsten verhindern soll, verhinderte er bislang, indem er einen Bürokratiekraken an die Wand malte. Wobei ihm die zuständige Ministerin (Grüne) es ihm sogar einfach machte. Und jene 15.000 bis 20.000 Faulenzer, die das Bürgergeld diskreditieren, sind für ihn ein willkommener Anlass, den Sozialstaat generell in Frage zu stellen. Sein Argument gegen nahezu alles lautet Bürokratie. Damit setzt er auf die Uninformiertheit der Bildungsfernen. Denn in einer Demokratie, die komplexe Gesetze hervorbringt, bedarf es zur Sicherstellung von Recht und Gerechtigkeit eines bürokratischen Aufwands. Nur Autokraten kommen ohne Bürokratie aus. Bei ihnen gilt ausschließlich der Befehl.
 

Seine politischen Freunde außerhalb der Bundesregierung, Friedrich Merz, Jens Spahn und Carsten Linnemann, empfangen wohlwollend Lindners Signale und bringen sie ein in den großen Plan vom Putsch, also in die wie immer auch geartete Abwahl der Regierung vor dem Ende der Legislaturperiode. Ein solcher Knall könnte allerdings das unwiderrufliche Ende der FDP bedeuten. Dabei blieben mutmaßlich auch unschöne Flecken auf den Ministrantengewändern der katholischen Frondeure zurück. Im Ruhrgebiet, meiner Heimat, misstraut man Sauerländern, Münsterländern und Ostwestfalen (vor allem Paderbornern). Dort gelten sie als moralinsauer, fest im Vatikan verwurzelt und irgendwie jenseits aller Lebensrealität.
 

Christian L., der Buchhalter, der von einem Paradies der Steuervermeider auf deutschem Boden träumt, könnte bald ohne Land, ohne Partei und ohne Claqueure dastehen. Nämlich als ein aus dem demokratischen Staat Ausgewiesener.
 

Klaus Philipp Mertens