Sind 25 Jahre „Chrismon - Das evangelische Magazin“ tatsächlich ein Grund zum Feiern? In der „Literarischen Gesellschaft BRÜCKE unter dem MAIN“ in Frankfurt, die auch kirchlichen Veröffentlichungen regelmäßig auf die Finger sieht (siehe die Themenwoche „Die Sache mit Gott“, Dezember 2024), wird das anders bewertet.
Am 13. Oktober 2000 erschien die letzte Nummer der renommierten evangelischen Wochenzeitung „Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt“. Chefredakteur Arnd Brummer kündigte darin das Nachfolgeblatt „Chrisma“ an, das er als Redaktionsleiter verantworten würde. Bereits nach der Dezember-Nummer 2000 musste es umbenannt werden. Weder die neue Redaktion noch die Justiziare der EKD hatten offensichtlich eine solide Urheberrechtsrecherche durchgeführt. Das Monatsmagazin, das die Wochenzeitung ablöste, erhielt einen neuen Titel: „Chrismon“. Seither, seit 25 Jahren, erscheint es unter diesem Namen. Genauer gesagt: Es wird transportiert als Beilage von FAZ, Süddeutscher Zeitung, DIE ZEIT und mehreren Regionalzeitungen. Nominell werden 1,5 Millionen Leser erreicht. Wie viele es tatsächlich sind, wird nicht gesagt. Wahrscheinlich lässt sich das gar nicht klären; denn eine Beilage besitzt eine andere Dignität als das Trägerblatt. Ebenso unklar ist, ob die ehemalige Zielgruppe des DS erreicht wird, also die bildungsbürgerlich-liberalen Protestanten mit und ohne enge kirchliche Bindung. Offen bleibt auch, ob das bunte Magazin bislang in der Lage war, den Exodus aus der evangelischen Kirche einzudämmen. Da detaillierte Zahlen fehlen, kann es ihn auch befördert haben. Uns sind Leser bekannt, die es als theologische Zumutung empfinden und daraufhin ihren endgültigen Bruch mit der Kirche angekündigt haben.
Weltanschauliche Gruppen wie die SPD und die Gewerkschaften haben in den 1990er-Jahren ebenfalls aus finanziellen Gründen ihre Zeitungen eingestellt. Beispielsweise den VORWÄRTS, „Die Welt der Arbeit“ oder die „Frankfurter Hefte“. Als die Regierung Schröder in die selbstverursachte Krise geriet (Hartz-Gesetze), fehlte der Sozialdemokratie ein publizistisches Forum, um bei Maßgeblichen einen Gegentrend auszulösen. Bei der Bundestagswahl 1998 erhielt die SPD 40,9 Prozent, 2025 waren es 16.
Ähnliches gilt für die Mitgliederzahl der DGB-Gewerkschaften. Die in den 1920er-Jahren gegründete „Büchergilde Gutenberg“, ein erfolgreiches Bildungsinstrument, wurde sukzessiv dem freien Markt ausgesetzt. Mittlerweile versucht dieser Lesering, als Genossenschaft zu überleben. Ob es gelingen kann, ist fraglich.
Angesichts der erwähnten Hintergründe lässt sich die These aufstellen und begründen, dass religiöse, weltanschauliche und politische Gruppen ihren Niedergang dadurch beschleunigen, gar unumkehrbar machen, indem sie eine unabhängige Publizistik, die ihre Themen aufgreift und zielgerichtet verbreitet, nicht unterstützen, weder ideell noch finanziell, ja, sogar bewusst darauf verzichten. Eine solche Haltung lässt sich durchaus als Lust am Untergang bezeichnen.
Dass es nach wie vor einen Bedarf an gesellschaftskritischen Journalen mit intellektueller Note gibt, zeigen die „Blätter für deutsche und internationale Politik“. Gegründet von Karl Graf von Westphalen und Manfred Pahl-Rugenstein, waren sie seit Mitte der 1950er-Jahre ein Leuchtturm in der aufgeklärten linken Publizistik. Der evangelische Theologe Karl Barth nannte sie „eine Insel der Vernunft in einem Meer von Unsinn“. Mit Gründung der DKP 1968 begaben sie sich trotz ihrer überwiegend politisch unabhängigen Leserschaft in die Abhängigkeit der aufstrebenden Parteipresse und ihrer Vertriebswege (Plambeck Druckerei, Verlag Marxistische Blätter, Collectiv-Buchhandlungen), die sich wiederum auf Zuwendungen aus der DDR stützte. Nach der Wende widerfuhr sämtlichen dieser Verlage ein schnelles Ende. Die „Blätter“ schafften es jedoch, sich in ein seriöses links-liberales Fahrwasser zu retten. Der verantwortliche Redakteur, Albrecht von Lucke, ist seit Jahren Garant für einen unabhängigen Qualitätsjournalismus. Die Zeitschrift wird regelmäßig zitiert und Lucke häufig von öffentlich-rechtlichen Sendern interviewt. Die verkaufte Auflage liegt stabil bei monatlich 12.500 Exemplaren.
Auf der Seite der Verlierer stehen hingegen die zwangsvereinigten protestantischen Zeitschriften „Evangelische Kommentare“, „Die Zeichen der Zeit“, die „Lutherischen Monatshefte“ und die „Reformierte Kirchenzeitung“. Sie erscheinen seit dem Jahr 2000 (offensichtlich einem Schicksalsjahr der evangelischen Publizistik) unter dem Titel „Zeitzeichen“. Mit weniger als 6.000 verkauften Exemplaren pro Monat dümpeln sie einflusslos am Rande der meinungsbildenden Publizistik dahin. Die „Evangelischen Kommentare“ allein wiesen in ihrer Glanzzeit monatlich mehr als 15.000 verkaufte Hefte auf. Das „Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt“ kam noch vor der Einstellung auf ca. 45.000 Exemplare wöchentlich. Sicherlich haben sich sowohl die Interessenschwerpunkte als auch die Lesegewohnheiten der intellektuellen Protestanten verändert. Im „Publizistischen Gesamtplan“ der EKD von 1979 wurde ausdrücklich auf diese Veränderungstendenz hingewiesen und als Herausforderung bezeichnet.
In dieser Denkschrift wurde auch deutlich gemacht, dass evangelische Publizistik es sich leisten könnte und müsste, das auszusprechen, was andere verschweigen. Das publizistische Handeln der Kirche würde darüber hinaus stellvertretendes Handeln sein müssen, das sich im Namen jener äußere, die keinen Weg zur Öffentlichkeit fänden. Getreu ihrem Selbstverständnis müsse die Kirche für Minderheiten und Benachteiligte einstehen.
Ihre gesellschaftliche Verantwortung machte die Kirche auch dadurch deutlich, dass sie die Rolle der Medien nicht unterschätzte. In eigenen Theoriezeitschriften wie „medium“ und „medien praktisch“ wies sie auf Chancen und Verhängnisse in einer Medienlandschaft hin, die schneller als andere die bevorstehenden technischen Umwälzungen nutzen würde. Dennoch wurde „medium“ Mitte der 1990er-Jahre eingestellt, „medien praktisch“ 2002“. Auch hier waren kurzsichtige finanziellen Gründe entscheidend. Zu einem strategischen Denken waren die Kirchenleitungen entweder nicht fähig oder nicht bereit.
Zeitgleich mit der Reduktion von inhaltlicher Kompetenz wurde auch das 1973 gegründete Flaggschiff der Publizistik, nämlich das „Gemeinschaftswerk der evangelischen Publizistik - GEP“ in Frankfurt 2002 zu einem Dienstleister herabgestuft. Vordem war es regelmäßig eine Quelle publizistischer Innovationen, die sich in Aktionen, Veranstaltungen, Lehr- und Studiengängen und Publikationen niederschlugen. Die legendäre Wanderausstellung „Das Paradies im Angebot“ zeigte Ende der 1980er-Jahre die religiösen Wurzeln vieler Werbeversprechen für Konsumartikel und animierte Gemeinden dazu, hier anzuknüpfen, denn Kirche sei nicht von gestern, sondern häufig ihrer Zeit voraus gewesen. Eine ähnliche Zielrichtung hatte der „Studiengang Öffentlichkeitsarbeit“ für Praktiker auf der Gemeindeebene. Speziell für Journalisten wurde 1987 die „Christliche Presse-Akademie“ zur „Evangelischen Medienakademie“ ausgebaut. Sie verstand sich sowohl als Ausbildungswerk als auch als Brücke zwischen kirchlichen und säkularen Medien. Aus ihr ging die Evangelische Journalistenschule in Berlin hervor. Geblieben ist davon nichts. Zwar war der Bedarf, gemessen an Teilnehmern und Nachfragern, groß. Dennoch wurden diese Engagements der evangelischen Kirche zu teuer.
Typisch für den Niedergang einer Institution, die einmal das intellektuelle Zentrum der evangelischen Publizistik war, ist ihr Umgang mit der Hinterlassenschaft aus drei Jahrzehnten Verlagsarbeit. So hatte das GEP nach der politischen Wende in Deutschland kirchenhistorischen Arbeitsgemeinschaften ein Forum geboten. Beispielsweise für jene Dokumentation, welche die besonderen Beziehungen zwischen der EKD und dem Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR während der Jahre von 1980 bis 1990 anhand von Sitzungsniederschriften, ergänzendem Material und Erläuterungen belegte. Der Band erschien 1995. 2003 wurden die erheblichen Restbestände vollständig makuliert. In den Folgejahren wurden die in nennenswerter Größe eingehenden Bestellungen, überwiegend von in- und ausländischen Universitäten und Rundfunkredaktionen, mit dem Hinweis „Vergriffen“ beantwortet. Ehrlicherweise hätte man schreiben müssen: „Wir haben viele unserer Fachleute verloren und waren nicht mehr in der Lage, die Bedeutung des Buchs zu erkennen. Darum haben wir die Restauflage weggeschmissen.“
In den meisten Landeskirchen kam es zu ähnlichen Entwicklungen. Zwar war die landeskirchliche Presse längst aus der Zeit gefallen und hatte sich mit Durchhalteschriften wie „Die Kirchengebietspresse – vielseitig und leistungsstark“ (GEP 1993) selbst belogen. Aber es gab auch Ansätze zu zukunftsfähigen Lösungen. Exemplarisch sei das Magazin „Standpunkte“ erwähnt, das der Hans Thoma Verlag im Auftrag der Badischen Landeskirche herausbrachte. Auch in der Rheinischen Landeskirche wurde mit Gespür für den Bedarf und gemeindliche Strukturveränderungen experimentiert. Doch im Verlauf der ersten 2000er Dekade flossen Initiativen und kirchliche Verlage den sprichwörtlichen Bach hinunter.
Trotz alledem feiert ein Magazin, das übrig geblieben ist und nach Meinung seiner Kritiker den Sündenfall der evangelischen Kirche exemplarisch verkörpert, sein 25-jähriges Jubiläum. Die Rede ist von der Zeitschrift „Chrismon“, die bereits eingangs kurz vorgestellt wurde.
Sie ist ein Blatt mit vielen bunten Bildern und farbigen Schlagzeilen, die mutmaßlich signalisieren sollen, dass Redaktion und Herausgeber den Puls der Zeit spüren und publizistisch zum Thema machen. Nicht zuletzt für Kirchenmitglieder und alle Ausgetretenen, die zurückkehren wollen. Die Beiträge betreffen Fragen und Probleme, die sicherlich vielen Menschen unter den Nägeln brennen. Schwierige Lebenssituationen werden dicht am Geschehen eindrucksvoll beschrieben. Im Unterschied zu Regionalzeitungen, die ihre Inhalte mit aufmerksamkeitsträchtigen Schlagzeilen versehen müssen, ist die Leseransprache zwar dezenter, aber zumindest unterschwellig emotional.
Als ausgebildeter Publizist mit fast 50 Jahren Berufserfahrung frage ich mich jedoch, was die Beschreibung von Unzulänglichkeiten bringt, wenn strukturelle Lösungen nicht in Sicht sind. Vor allem Lösungen, welche die Kirche nicht erbringen kann oder will, aber auch nicht vehement von der Gesellschaft einfordert. Denn jeder Diakonie- und Caritas-Station in der Bundesrepublik ist klar, dass die Mehrzahl der Probleme, mit denen sich Menschen herumschlagen müssen, Ergebnisse politischen Handelns bzw. Nichthandelns sind. Bildungsdefizite und geringe Berufschancen haben exakt beschreibbare Gründe. Ebenso wie Kitas, die keine weiteren Kinder mehr aufnehmen können und insbesondere alleinerziehende Mütter dadurch in nicht mehr beherrschbare Konflikte bringen. Wo finden Behinderte, die eigentlich noch für sich sorgen können, Hilfen, damit sie nicht in ein Heim umziehen müssen, das sie meistens mit ihren geringen Renten gar nicht bezahlen können? Wie lässt sich Lebensqualität für schwer kranke Menschen gewährleisten?
Kurzum: Es nützt nichts, katastrophale Entwicklungen an die Wand zu malen, wenn außer unverbindlichen Ratschlägen nichts angeboten werden kann. Für die Kirche müsste es sowohl um Auswege aus dem Elend als auch um die Beseitigung des Elends gehen. Im DS wurden regelmäßig strukturelle Krisen der Gesellschaft analysiert und denk- und machbare Lösungen erörtert. Den Oberkirchenräten gefiel das selten, weil entsprechendes Handeln die Infragestellung der eigenen behäbigen Institution bedeutet hätte. Sie hätten das Bibelwort „Einer trage des anderen Last“ (Galater 5,25 – 6,10) zur allgemeinen Handlungsweise der Kirche erklären und die Voraussetzungen für ein Reich Gottes auf Erden schaffen müssen. Denn Christentum ist Weltverantwortung, die aus dem Glauben erwächst.
Heute lehnen sich die Herren und einige Damen der Leitungsebene zurück und wickeln das Unternehmen Kirche ab. Man kann bereits Kirchengebäude kaufen. Sie werden nicht mehr gebraucht. Denn die Botschaft ist nicht mehr von dieser Welt, geschweige denn plausibel. Ihre Verkünder scheinen selbst Glauben und Glaubwürdigkeit verloren zu haben. Aufbruch ist weder geplant noch in Sicht, eher ist es Abbruch. Vielleicht überleben die Sozialstationen. Zum einen als Orte der Hilfe, zum anderen als die von Friedrich Nietzsche beschworenen Grabmale Gottes auf Erden.
Das erbauliche „Chrismon“ infantilisiert zeitgleich zum kirchenamtlichen Abriss die gesellschaftlichen Risse und betreibt auf seine Weise die Heiligsprechung der Sünde. Diese wird als allzu menschliche Schwäche im Konfliktfeld zwischen Forderung und Anpassung dargestellt. Da bleiben ethische Überzeugungen zwangsläufig auf der Strecke. Dietrich Bonhoeffer nannte das die Rechtfertigung der Sünde und nicht die des Sünders. Und er folgerte daraus: Die Religion als Ergänzung der Wirklichkeit durch Gott, als eine besondere Provinz am Rande des Lebens, sei ein für alle Mal vorüber.
Klaus Philipp Mertens

