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Die Kraft des Pazifismus

Antwort auf Margot Käßmann

Logo der "Aktion 4/3" des Verbands der Kriegsdienstverweigerer 1968

 

Die evangelische Theologin und ehemalige Bischöfin Margot Käßmann hat in der „Frankfurter Rundschau“ vom 18. Februar einen Beitrag verfasst, der mir Anlass zum Widerspruch gibt.

 

Margot Käßmanns Ausführungen sind ein Plädoyer für eine Gesinnungsethik ohne Realitätsbezug. Friedfertigkeit ist zwar aller Ehren wert und ohne sie wird die Menschheit keine Zukunft haben. Aber ein politischer Pazifismus, der diesen Namen verdient, muss auch handlungsfähig sein. Er muss das vielgestaltige Böse bekämpfen und diesem die Existenzgrundlagen nehmen. Hierzu zählen die Ungleichheit unter den Menschen, die Ausbeutung des Meschen durch den Menschen, fehlende Solidarität, das nicht erwerbbare Eigentum (z.B. an Grund und Boden), die Zerstörung der Umwelt, Nationalismus und Revanchismus.

 

Die Theologin und ehemalige Bischöfin Käßmann hat es kampflos hingenommen, dass die evangelische Publizistik, die einst ein Flaggschiff innerhalb der demokratischen Medien war, zum Papiertiger degenerierte. „Die evangelische Publizistik kann es sich leisten auszusprechen, was andere verschweigen“ – so stand es noch im „Publizistischen Gesamtplan der EKD“ von 1979. Und dass diese ihre Stimme erheben müsse für jene, die stimmlos seien. Doch das gilt längst nicht mehr.

Im Oktober 2000 wurde das angesehene „Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt“ nach 52 Jahren aus finanziellen Gründen (!) eingestellt. Was zu Lasten der kirchlichen Glaubwürdigkeit ging. Wer sollte in Zukunft noch gegen Kriegstreiber und Menschenschinder wie Putin anschreiben, der damals bereits mit seinen imperialistischen Plänen begonnen hatte? Die Claqueure von Schröders rot-grüner Koalition haben es tunlichst vermieden.

 

Margot Käßmann, die ihr Christsein gern betont, sollte diesen Vers aus dem Lukas-Evangelium kennen: „Meinet ihr, dass ich hergekommen bin, Frieden zu bringen auf Erden? Ich sage Nein, sondern Zwietracht.“ Diese Worte deuten auf unausweichliche Auseinandersetzungen über den richtigen Weg hin. Denn das Böse lässt sich nicht aus der Welt beten. Wer aber auf militärisches Instrumentarium verzichten will, muss frühzeitig eine soziale Verteidigung aufbauen.

 

Der Berliner Soziologe und Friedensforscher Theodor Ebert hat eine solche während der Zeit der 68er-Proteste entworfen und später weiter ausgeführt. Und stets betont, dass auch gewaltfreie Aktionen und ziviler Widerstand Opfer fordern würden. Angesichts des Einmarschs der Staaten des „Warschauer Pakts“ im August 1968 in die Tschechoslowakei stellte er in einem »Planspiel« Regeln auf für die »Verteidigung« einer völlig abgerüsteten Bundesrepublik, die von einer pazifistischen Regierung geleitet und von der Sowjetunion besetzt würde. Deren Kernsatz lautete: „Lasse dich nicht einschüchtern, sondern entschließe dich zur dynamischen Weiterarbeit ohne Kollaboration!“ Eberts Buch »Gewaltfreier Aufstand – Alternative zum Bürgerkrieg« hat die Diskussion innerhalb der Friedensbewegung über mehr als zwei Jahrzehnte mitbestimmt.
 

Theodor Ebert war Mitglied des „Verbands der Kriegsdienstverweigerer VK“ und gehörte für einige Jahre dessen Bundesvorstand an. Bei den Sitzungen des Bundesausschusses, wo ich die Dortmunder Gruppe vertrat, habe ich ihn kennengelernt. Seine Überzeugung war ansteckend. Deswegen habe ich in unserer Jugendgruppe „Club Zivil“ versucht, die Techniken gewaltfreier Aktionen einzuüben. Mitte der 1980er Jahre (da war ich nur noch gelegentlich in Dortmund) gab es sogar Kontakte mit dem „Arbeitskreis Darmstädter Signal“, einer Gruppe kritischer Offiziere und Unteroffiziere der Bundeswehr. Sowohl wir Kriegsdienstverweigerer als auch die Soldaten wollten weg vom Militarismus der Adenauer-Zeit. Uns verband die Überzeugung, die demokratischen Strukturen unseres Staats nicht einem Aggressor auszuliefern, sondern Widerstand zu leisten. Und wir waren uns einig, dass wir noch mehr als die Gewalt vor allem die Dummheit verabscheuten.

 

Die offizielle Bundesrepublik hat uns nicht unterstützt. Auch die uns tendenziell nahestehenden Parteien, vor allem SPD und Grüne, ließen uns im Stich. Die Gewerkschaften IG Metall und ÖTV halfen uns punktuell. Enttäuscht waren wir von den Kirchen. Denn die waren immer bestrebt, Umwege aus der Wirklichkeit und deren Konflikten zu suchen und scheuten sich, klare Standpunkte einzunehmen.

 

Deswegen empfinde ich Äußerungen wie die von Margot Käßmann als Zumutungen. Ihren Argumenten fehlt es an echter Aufrichtigkeit. Hinweise auf Stefan Zweig, Bertha von Suttner sowie auf die Kriegserfahrungen der eigenen Familie erscheinen mir als ungeeignetes Instrumentarium gegen Putins Vernichtungskrieg in der Ukraine. Denn die demokratisch gesinnten Europäer tragen eine Mitverantwortung für das Leben und Überleben sowie die Freiheit ihrer Nachbarn in der Ukraine. Jetzt ist Solidarität mit den Bedrohten gefragt. Und die muss sich zwangsläufig in wirkungsvollen Waffen äußern. Alternativen zur militärischen Verteidigung wurden ja nie eingeübt.

 

Klaus Philipp Mertens