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Arschgeweih der Literatur

„SPIEGEL-Bestseller“-Aufkleber gefallen Lesern mit geschultem Literaturgeschmack nicht.

Die Barbara-Buchhandlung im niederrheinischen Moers kratzt diese Aufkleber mittlerweile systematisch ab. Inhaberin Kathrin Olzog verweist darauf, dass sie und ihr Team über 70 Prozent der Bücher, die sie in den Verkauf aufnehmen, vorher gelesen haben. „Wir leben hier von den individuellen Empfehlungen“, sagt die Buchhändlerin. „Wir wählen aus, was wir im Laden haben, und wir sind es auch, die die Kunden sehen und beraten.“ Diese Eigenschaft findet sie in der Kaufberatung viel wichtiger als die Orientierung durch einen Marketing Sticker. 

 

Über den „Arschgeweih“-Vergleich ihres Mitarbeiters Marcel Kott habe sie sich prächtig amüsiert. Olzog findet, dass die Menge der Sticker schon lange nicht mehr als Orientierungsstütze dient: „Wo ist die Aussagekraft des Etiketts? Für viele ist es kein Prädikat, sondern das Gegenteil. Dann ist es eben keine Orientierung mehr, sondern verwirrt.“ 

 

Tatsächlich lässt sich aus den Verkaufszahlen eines Buchs nicht auf dessen inhaltliche Qualität schließen. Es ist noch nicht einmal bekannt, wer es gekauft hat. Waren es literarische Experten? Waren es Zufallskäufe, etwa Verlegenheitsgeschenke für Freunde und Verwandte? Verbergen sich hinter den Käufern möglicherweise auch Extremisten, etwa Anhänger von Verschwörungsphantasien? DER SPIEGEL klärt darüber nicht auf.

 

Um als Autor den „Spiegel-Bestseller“ Sticker zu erhalten, muss das Buch auf der Spiegel-Bestsellerliste platziert sein. Im Auftrag des Spiegel ermittelt das Fachmagazin „Buchmarkt“ die Bestsellerlisten. Gezählt werden die meistverkauften Bücher pro Kategorie und Woche in Deutschland. Die Platzierung wird durch Verkaufszahlen ermittelt. Wenn ein Autor oder eine Autorin es einmal auf diese Liste geschafft hat, dürfen gegebenenfalls die künftigen Werke mit dem Sticker „Spiegel-Bestseller-Autor“ versehen werden. Die Lizenz für das „Spiegel-Bestseller“-Logo muss bei der zuständigen Vergabestelle (Buchmarkt Media, im Auftrag von Spiegel) offiziell beantragt und bezahlt werden. Das „Cover-Paket“ für die Nutzung auf einem Buchtitel kostet derzeit 250 Euro.

 

Redaktion