Archiv "Themenwochen"

90. PRO LESEN - Themenwoche. Nicht im März, sondern später.

Im Krimi steht, was Sache ist

Susan Szabos neuer Roman über die Abgründe des grauen Medikamentenmarkts

 

Susan Szabo
Doppelmord an der Uni
In den Abgründen des grauen Medikamentenmarkts

Kriminalroman

Ein Giftmord am pharmazeutischen Fachbereich der Frankfurter Universität, dem zwei Professoren zum Opfer fallen, offenbart nicht nur offene bis unterschwellige Intrigen zwischen Lehrstuhlinhabern und Assistenten. Die Polizei stößt bei ihren Ermittlungen auch auf illegale Praktiken im internationalen Medikamentengeschäft. Denn pharmazeutische Unternehmen verlagern die Produktion ins Ausland, u.a. nach China, um Kosten zu sparen. Vielfach ist die gelieferte Ware jedoch minderwertig, ist die Konzentration der Wirkstoffe fehlerhaft oder sie ist gar verunreinigt und gefährdet die Gesundheit Tausender Patienten. Rasch wird deutlich, dass durch die Morde andere kriminelle Vorgänge vertuscht werden sollten. Kommissar Kuschke und seine Kollegen stoßen bei ihren Recherchen, die in die deutsche Industrie und ins Ausland führen, auf ein Kartell desSchweigens.

 

Das Ziel des Giftanschlags war allem Anschein nach Professor Wissmann; der ebenfalls getötete Professor Zitek schien nur zufällig Opfer geworden zu sein. Bei den Ermittlungen erweist sich das akademische und private Umfeld Wissmanns als zwielichtig und geprägt von Konkurrenz und Leistungsdruck. So hatte der Ermordete eine Affäre mit der Russin Dr. Nowikowa, diese jedoch zu Gunsten einer anderen Geliebten beendet. Mit dem Schweizer Pharmazeuten Martinez konkurrierte Wissmann um die Nominierung für den Nobelpreis. Seinem Oberassistenten Dr. Strohmenger hatte er den Weg zur Professur versperrt. Nicht nur aus formal-fachlichen Gründen, sondern auch, weil sich dieser an undurchsichtigen Medikamentengeschäften beteiligte. Wissmanns Institutskollegin Professor Davison weilte zum Zeitpunkt des Giftmords zwar in den USA, aber ermittlungstechnisch kann ein Auftragsmord nicht außer Betracht gezogen werden. Verdächtigt wird auch der Student Jens Vogt, dem Wissmann im Examen eine Fünf erteilte und damit dessen akademischer Karriere ein Ende setzte. Wissmanns Witwe, die mit einem Laboranten des Instituts heimlich liiert ist, lügt sich bei den Vernehmungen um Kopf und Kragen. Und seine Sekretärin Krause himmelte ihren Chef zwar an, aber es ist nicht völlig auszuschließen, dass sie aus Eifersucht diesem ans Leben wollte. Der Täter oder die Täterin hat nach Erkenntnissen der Kriminaltechnik Handschuhe getragen; doch solche sind nirgends aufzufinden. Die kriminalpolizeilichen Ermittlungen, die Kommissar Kuschke leitet, erstrecken sich auf das Institut für pharmazeutische Technologie in Frankfurt sowie andere universitäre Einrichtungen, aber auch auf ein bekanntes Chemieunternehmen in Leverkusen sowie dessen Filiale in Prag. Eine Fallanalytikerin und ein Handschuhexperte des Bundeskriminalamts entdecken schließlich Zusammenhänge, die zum Täter führen.

 

„Doppelmord an der Uni“ ist ein spannender und realistischer Kriminalroman, der die Abhängigkeit deutscher Pharmafirmen von praktisch nicht kontrollierten Herstellern in China und anderen Ländern zu Lasten von Patienten drastisch vor Augen führt.

 

Über Susan Szabo

Susan Szabo, geboren 1949, ist Amerikanerin ungarischer Abstammung und eine deutschsprachige Autorin. Sie studierte Journalistik in den Vereinigten Staaten und Psychologie an der Universität Zürich, wo sie promovierte. Im Jahre 1985 zog sie nach Bad Homburg und 2009 nach Frankfurt. Nachdem sie als Journalistin, Psychotherapeutin und Übersetzerin tätig war, ist sie seit 1991 freie Schriftstellerin.
Sie besuchte Kurse für Autoren an der Bundesakademie für kulturelle Bildung Wolfenbüttel, am Nordkolleg Rendsburg, an der Textmanufaktur Leipzig und am Literaturforum des Mousonturms in Frankfurt, und sie war Mitglied der Autorengruppe „Autoren 2002.
 

Ihr Roman „Amor zählt bis drei“, die Bekenntnisse einer abenteuerlustigen Psychologiestudentin aus den USA auf der Suche nach dem »Homo sexus« im guten alten Europa, wurde 1994 im Ulrike Helmer Verlag und 1997 im Fischer Taschenbuch Verlag (Lizenzausgabe) veröffentlicht. Im 2016 wurde der Roman bei Fischer wieder aufgelegt.
 

Das Kinderbuch „Melvin, der Superflieger“ wurde im 2017 veröffentlicht.
 

Ihre in Zürich begonnenen Recherchen zum Thema „frühkindlicher Autismus“ führte sie in Frankfurt zu Ende. Diese ermöglichten es ihr, den Roman „Eisenhut und Hühnerfuß, aus dem Leben eines Autisten“ zu schreiben, der 2018 im Fehland-Verlag erschienen ist.

 

Mehrere Kurzgeschichten erschienen in Anthologien.

 

Bibliografie Susan Szabo

Der Selbstbegriff in der humanistischen Psychologie von A. Maslow u. C. Rogers, 1988, Peter Lang Verlag, ISBN 3-8204-1173-9

Amor zählt bis drei, 1994, Ulrike Helmer Verlag, ISBN 3-927164-79-8

Amor zählt bis drei, 1997, Fischer Taschenbuch Verlag, Lizenzausgabe , ISBN 3-596-13406-4

Reiselust: Erotic Short Stories, Storia Verlag, Mitautorin, 2006, ISBN 3-9809768-4-X

BarLust: Erotic Short Stories& Cocktails, Storia Verlag, Mitautorin, 2007, ISBN 978-3-9809768-7-9

Yeahsterday: Stories in the Sky with Diamonds, Lerato Verlag, Mitautorin, 2007, ISBN 978-3-938882-66-5

EssLust: Erotic Short Stories& Appetizers, Storia Verlag, Mitautorin, 2010, ISBN 978-3-940270-00-9

Zauberkräfte: Segen oder Fluch?, net-Verlag, Mitautorin, 2013, ISBN 978-3-944284-23-1

Amor zählt bis drei, 2016, Fischer Taschenbuch Verlag, ISBN 978-3-596-31411-9

Melvin, der Superflieger, 2017, Edition Sternsaphir, ISBN 978-3-981-74937-3

3. Bubenreuther Literaturwettbewerb 2017, Tredition, Mitautorin, 2017, ISBN 978-3-7439-7037-3

Voll der Leben, Leseschau.de, Mitautorin, 2018, ISBN: 978-3-947110-98-8

Eisenhut und Hühnerfuß – Aus dem Leben eines Autisten, 2018, Fehnland-Verlag, ISBN 978-3-947220-23-6

 

Auszug aus
Doppelmord an der Uni
von Susan Szabo

 

Goethe-Universität, Institut für pharmazeutische Technology am 20. April.

„Gut, Frau Krause, Sie haben alles toll vorbereitet. Auf Sie kann ich mich verlassen“, sagte Professor Wissmann. In seinem neuen Anzug mit burgunderroter, geometrisch gemusterter Armani-Krawatte gab er an diesem besonderen Tag eine recht schnittige Figur ab.

Im Flur kam ihm Professor Zitek entgegen, der so breit lächelte, dass er all seine gelblichen Vorderzähne zeigte, und der gar nicht aufhören wollte, seine Hand zu schütteln. Der Kollege zog eine Flasche Bourbon Whiskey aus einer Airport-Tüte und überreichte sie ihm. Für den Entdecker des Nanopartikels!

Wissmann lud Zitek auf einen Kaffee in sein Büro ein. Der Reviewer ihres gemeinsamen Papers hätte einiges beanstandet. Sie müssten daher ein paar Änderungen anbringen.

Frau Krause telefonierte mit der Verwaltung und legte beglichene Rechnungen ab. Dann zog sie den Lippenstift nach, schnappte einen Brief, den Wissmann unterschreiben sollte, und lief zum Büro ihres Chefs.

Sie klopfte an, vernahm keine Antwort und ging hinein. Und ließ den Brief zum Boden flattern. Der Professor saß reglos in seinem Bürostuhl, sein Kopf nach vorne gefallen. Sie trat näher an ihn heran. Ihre Schreie waren im ganzen Institut zu hören.

„Hilfe! Hilfe, der Professor!“

Dr. Breuer kam angerannt und wollte nicht glauben, was er sah. Groß wie die Fläche hinter einer Taucherbrille umrahmten knallrote Flecken Wissmanns Augen. Sein amerikanischer Kollege Professor Zitek lag bäuchlings auf dem Boden. Mit zittriger Hand wählte Dr. Breuer die 110.

 

Als sie sich dem imposanten Bau aus poliertem rotem Sandstein mit riesigen Glasflächen näherten, pfiff Kriminaloberkommissar Frank Kuschke beeindruckt.

„Das sieht aus wie halb Bank, halb Kathedrale!“

„Eine treffende Beschreibung!“, pflichtete ihm sein Kollege Wilhelm Strackbein bei.

Sie traten in die Eingangshalle mit hoher Glasdecke und gewaltigen weißen Lochbalken. Ein Pförtner saß hinter einer Theke am Rande der Halle.

„Wo ist das Büro von Professor Wissmann?“, fragte Kommissar Kuschke.

Der schmächtige Mann, der etwas verloren in der großen Halle wirkte, deutete den Flur hinauf und antwortete mit hoher, aufgeregter Stimme. „Gehen Sie durch die Glaspassage, dann sehen Sie gleich den Aufzug. Sein Büro ist im dritten Stock.“

Im Flur des Instituts für Pharmazeutische Technologie kam ihnen der Polizeihauptmeister entgegen. „Die Leichen sind vor etwa einer Stunde von der Sekretärin, Frau Krause, entdeckt worden.“

„Okay, wir lösen Sie ab“, sagte Kuschke. „Willi, du befragst die Anwesenden. Ich schau mir den Tatort an.“

Ehe er Wissmanns Büro erreichte, kam ein Mann in einer grauen Latzhose gekleidet auf ihn zu.

„Gude Tach, Sie sin von de Kripo?“

Kuschke nickte.

„Mei Naame is Erdmann. Isch bin da sozusaache deer Mann-für-alles. Isch hald de ganse Lade am Laufe. 's is da vieles im Arche, awwer, dass des aanoch passiere konnd!“

„Ja, Herr Erdmann“, unterbrach er ihn, „heute befragt mein Kollege Kommissar Strackbein alle Institutsmitarbeiter. Sie sollten lieber mit ihm reden.“

Kuschke blickte den Flur hinab und sah aus einer offenen Tür ein Blitzlicht nach dem anderen aufleuchten. Die Leute von der Spurensicherung waren noch bei der Arbeit. Er wandte sich deshalb wieder Herrn Erdmann zu. Vielleicht konnte er von ihm etwas Nützliches erfahren. Menschen, die nicht ganz oben auf der Karriereleiter standen, beobachteten ihre Mitarbeiter mit kritischem Blick. Dabei nahmen sie Einzelheiten wahr, die Menschen in höherer Stellung entgingen.

„Aber, wo Sie grad da sind, könnten Sie mir vielleicht doch ein paar Angaben machen.“

Das musste er nicht zweimal sagen. Noch bevor er eine Frage stellen konnte, redete Erdmann los.

„Isch war im groose Hörsaal unn hab alles uffgestellt unn kontrollierd. De Kombjuder, die Leinwand, die Mikros. Dann ging isch zurick ins Inschtidud. Isch wollt fraache, ob sunschd noch ebbes gemacht werrn muss. Da treff isch uff Dr. Breuer unn die Fraa Krause, unn die sinn blass im Gsischd unn stoddern was vonn schrecklisch unn Bolizei. Isch versteh zuerschd nix, awwer dann saachd Fraa Krause „die Professorn!“ unn höilt loos.“

Erdmann hielt inne, als wollte er die Wirkung seiner Worte überprüfen, und sprach dann weiter.

„Isch lauf glei in Wissmanns Büro. Da seh isch die beide, der eine uff em Bodde, der annere im Bürostuhl. Nadierlisch gugg isch mer die näher an, um zu seje, was passierd is. Wie im Karneval sahe die Gesischder aus!“

Karneval? Seine Fantasie war wohl mit ihm durchgegangen. Er hätte bestimmt nur allzu gerne weiter erzählt, doch inzwischen hatte das Blitzen aufgehört.

„Danke, Herr Erdmann“, unterbrach ihn Kuschke. „Das genügt für jetzt. Wir kommen später auf Sie zurück.“

Der Kommissar lief den Gang hinunter und steckte seinen Kopf durch die Tür, aus der das Blitzlichtgewitter gekommen war.

„Hallo!“

Ein Mann im Schutzanzug drehte sich um und grüßte. Es war Peter Thoma, Leiter der Spurensicherung. „Professor Wissmann ist der auf dem Bürostuhl, sein amerikanischer Kollege namens Zitek liegt auf ‘m Boden. Wir sind bis auf das Einsammeln der Asservate für jetzt fertig“, sagte Thoma. “Anne, hol bitte für den Kommissar einen Anzug und Überschuhe aus dem Wagen“, sagte er zu einer Mitarbeiterin.

Kuschke zog den Anzug und die Überschuhe an und schlüpfte unters Absperrband.

Der Kopf von Professor Karsten Wissmanns Leiche war nach vorne gekippt. Sein Kinn ruhte auf dem Knoteneiner aparten, burgunderroten Krawatte. Breite, knallrote Kreise umrahmten seine Augen. Aha, Karneval.

Wenn man sich die grellen Hautverfärbungen wegdachte, so musste der Gelehrte ein attraktiver Mann gewesen sein, mit ebenen, etwas kantigen Gesichtszügen, einem starken Kinn und dichtem dunkelblondem Haar.

Professor James Zitek, ein älterer Herr mit grauen Haaren, lag bäuchlings auf dem grünen Vinylboden. Das gleiche grelle Rot wie bei seinem Kollegen umrandete das Auge in Bodennähe, und auch dessen Lid leuchtete wie eine Ampel.

Die übliche Farbe von Leichenflecken war violett oder graublau. Diejenigen der beiden Leichen hatten zwar eine außergewöhnliche Farbe, aber sie befanden sich an den üblichen Stellen. Sie bildeten sich nämlich dort, wo die Haut dünn ist und die Schwerkraft das Blut nach unten zieht.

Sein Blick schweifte durch den Raum. Da waren Bücherregale, ein Drachenbaum und ein großer Schreibtisch, auf dem sich ungeöffnete Post, lose Blätter, Drucksachen häuften. An einer frei geräumten Ecke standen zwei Kaffeebecher. Auf einem Sideboard entdeckte er eine Kaffeemaschine und ein Metallbehälter mit Bügelverschluss.

Er las den Titel einer Doktorarbeit, die auf dem Schreibtisch lag: „Selektive Adsorption von Plasmaproteinen auf Nanopartikel – möglicher Schlüssel zur Überwindung der Blut-Hirn-Schranke“. Er seufzte. Genau so stellte er sich die Naturwissenschaften vor, nämlich, für einen Laien unverständlich.

Thoma kehrte zusammen mit einer jungen Beamtin zurück. Sie beschriftete Etiketten und klebte sie an Asservatenbehälter. Schließlich tat sie die Tassen in je eine kleine Schachtel, die Kaffeemaschine in eine größere, den Kaffeebehälter und die zugeklebte Zuckerdose in kleinere Plastiktüten.

„Den Kaffee aus den Tassen haben wir schon in Fläschchen umgefüllt“, sagte Thoma, und zu seiner Mitarbeiterin: „Lade bitte alles ein. Ich komme gleich.“

„Sag mal, Peter, diese roten Livores …“

„Da bin ich mir nicht ganz sicher“, erwiderte Thoma. „Um was es sich genau handelt, müsste Professor Quirmbach von der Gerichtsmedizin wissen.“ 

Kuschke nickte. Thoma schien etwas Bestimmtes zu vermuten. Doch es war seine Art, nichts zu sagen, wenn er sich nicht absolut sicher war.

 

(c) Susan Szabo