Archiv "Vom Geist der Zeit" | Literatur und Kultur

Sprache und Herrschaft

Zwischen Verdummung und Entdemokratisierung

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1. Undemokratische Sprache

Ein besonderes Merkmal undemokratischer Sprache ist ihr permanenter Versuch, Begriffe ganz bewusst nicht mehr in ihrer ursprünglichen Bedeutung und in ihrem ursprünglichen Kontext zu gebrauchen.

So forderte der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen auf dem Stuttgarter Parteitag von 2016 dieser rechten bis rechtsradikalen Gruppierung: „Weg vom linken, rot-grün verseuchten, leicht versifften 68er Deutschland“. Der medizinische Begriff „Seuche“ (der laut DUDEN „ansteckende Krankheit, Epidemie, Infektionskrankheit, Massenerkrankung“ bedeutet) wird auf politische Verhältnisse übertragen und deren angestrebte Veränderung gerät zur Beseitigung, zur Entseuchung. Ähnliches gilt für „versifft“, das „verschmutzt“ bedeutet. In Meuthens Wahrnehmung sind „links“ und „rot-grün“ (zwei keineswegs identische politische Richtungen) verschmutzt. Mutmaßlich also vom Schmutz der Demokratie bedeckt. Was er mit dem „68er Deutschland“ meint, führt er nicht weiter aus. Meint er das Aufbegehren der Studierenden gegen den „Mief von 1000 Jahren“, der sich unter den Talaren der Professoren verberge? Oder  den Widerstand gegen die Verabschiedung der Notstandsgesetze? Oder das Attentat auf Rudi Dutschke durch einen Hilfsarbeiter namens Josef Bachmann, dessen politischer Horizont mit dem eines typischen PEGIDA-Anhängers durchaus vergleichbar war?

Bereits das NS-Regime hat die Umwertung der Sprache zielgerichtet betrieben. Eine Folge dieser Sprachverwirrung ist, dass wir bis heute in unseren Medien Formulierungen finden, die dem so genannten „Wörterbuch des Unmenschen“ entlehnt sind – und kaum einer scheint das zu bemerken, Journalisten eingeschlossen. Deswegen ist die Auseinandersetzung mit der Sprache des Nationalsozialismus gleichzeitig eine kritische Anfrage an unseren je eigenen alltäglichen Sprachgebrauch und auch an jenes, was wir den Medien ungestraft an sprachlichen Sünden durchgehen lassen.

Um seine angebliche Modernität zu unterstreichen, verwendete der Nationalsozialismus häufig Begriffe aus der Technik in sachfremden Zusammenhängen wie z.B. „Anschluss“ oder „Gleichschaltung“. Wertfreie technische und sachliche Ausdrücke dienten oft als Euphemismus, als Beschönigung oder Verschleierung, um politische Unterdrückung und politischen Mord und andere Rechtsbeugungen zu verdecken und zu verharmlosen. Ein besonders grausames Beispiel ist die „Endlösung der Judenfrage“, was nichts anderes als die Ermordung aller Juden Europas bedeutete. Zudem übernahm die NS-Propaganda viele Begriffe und Redewendungen aus dem Bereich der Religion, besonders der kirchlichen Sakralsprache. Worte wie „ewig“, „Glaubensbekenntnis“ oder „Heil“ waren geradezu inflationär vertreten. Die Nazi-Ideologie forderte damit Glauben statt Wissen ein.

Politische Gegner sowie rassische und religiöse Minderheiten wurden von den Nationalsozialisten in Anlehnung an den theologischen und kirchlichen Antijudaismus und Antisemitismus oft mit Tiermetaphern beschrieben. Hitler schrieb in „Mein Kampf“: „Der Jude ist und bleibt der typische Parasit, ein Schmarotzer, der wie ein schädlicher Bazillus sich immer mehr ausbreitet, sowie nur ein günstiger Nährboden dazu einlädt.“ Dieses Vokabular, von den Nazis der biologischen Schädlingsbekämpfung entnommen, hat Jörg Meuthen ganz offensichtlich verinnerlicht, wenn er von „verseucht“ und „versifft“ spricht. An ihrer Sprache kann man die Neo-Faschisten erkennen.

Für die staatliche Sprachzensur und Sprachmanipulation schuf das NS-Regime selbst den Begriff „Sprachregelung“. Nach internen Anweisungen von Joseph Goebbels wurden der Presse durch solche Zensurmaßnahmen nicht nur Themen vorgegeben, sondern auch ein Sprachgebrauch, der den tatsächlichen Zweck staatlichen Handelns für die deutsche und ausländische Öffentlichkeit verschleiern sollte. Oft wurden bewusst verharmlosende, neutrale oder positiv besetzte Ausdrücke für Terror- und Mordaktionen verwendet. Damit sollten sie Normalität vortäuschen und den organisierten Widerstand Betroffener verhindern.

Auf der Beliebtheitsskala rangierten Wörter wie Arbeit, Bazillus, Blut, deutsch, Doppelverdiener, einmalig, einzig, Endlösung, Erbe, ewig, Gefolgschaft, gigantisch, Gleichschaltung, Heil, historisch, Lebensraum, Leistung, national, Parasit, Rasse, Rassehygiene, Reich, Schmarotzer, Sippe, Sprachregelung, total, ungeheuer oder Volksgemeinschaft ganz oben.

Dolf Sternberger, Gerhard Storz und W. E. Süskind hatten unmittelbar nach Kriegsende ein „Wörterbuch des Unmenschen“ zusammengestellt, das die Nazi-Sprache exemplarisch und in enzyklopädischer Ausführlichkeit darstellte. Ihnen ging es sowohl um den Wortschatz der Nazis, ihren gewalttätigen Satzbau, ihre verkümmerte Grammatik sowie ihren monströsen und zugleich krüppelhaften Wortbestand. Sie trugen zahlreiche Beispiele dafür zusammen, wie der Unmensch auch aus einem harmlosen, geselligen, gar freiheitlichen Wort das schiere Gegenteil hervorbrachte.

Leider ist dieses „Wörterbuch des Unmenschen“ in vielen Teilen ein Abbild jenes Wörterbuchs der geltenden deutschen Sprache geblieben, sowohl der Schrift- als auch der Umgangssprache. Einer Sprache, wie sie besonders im Munde von Verbandsfunktionären, Werbeleuten und Verkäufern ohne Bewusstsein für die historische Belastung der Begriffe ertönt. Und in allzu vielen Zeitungen und Zeitschriften sowie immer wieder auch im Rundfunk.

Der Sprach- und Literaturwissenschaftler Viktor Klemperer (1881 – 1960) war wegen seiner jüdischen Herkunft aus dem Staatsdienst entlassen worden. In einer Art Notizbuch protokollierte und analysierte er die Sprache des NS-Staats. Er nannte es „LTI – Lingua Tertii Imperii“ (Sprache des Dritten Reiches): es wurde in den 50er Jahren zum ersten Mal veröffentlicht und wurde mehrfach nachgedruckt.

 

2. Verdummung durch Sprache

„Wenn die Sprache nicht stimmt, so ist das, was gesagt wird, nicht das, was gemeint ist.“ Dieser Einschätzung von Konfuzius ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Denn Sprache dient auch als Instrument, um das, was über Menschen und die Welt des Menschen ausgesagt werden könnte und müsste, zu verschleiern. An unserer Sprache, ganz besonders an unserer Alltagssprache, ist abhörbar und ablesbar, ob wir alles, was im Sinn des Philosophen Ludwig Wittgenstein „der Fall“ ist, also die Gesamtheit der Tatsachen, umfassend wahrnehmen, sie objektiv bewerten und ob wir eindeutige Worte benutzen, um sie korrekt zu beschreiben. Wittgensteins sprachphilosophische Abhandlung „Tractatus logico-philosophicus“ bewegt sich nach seinen eigenen Worten um die komplexe Erkenntnis: „Was sich überhaupt sagen lässt, lässt sich klar sagen; und wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen.“ Auf diese Weise zieht er den Möglichkeiten, Gedanken überhaupt ausdrücken zu können, eine Grenze. Diese kann nach seiner Meinung nur in der Sprache gezogen werden und keinesfalls im Denken. Was jenseits von ihr liegt, also jenseits aller Ausdrucksmöglichkeiten, „wird einfach Unsinn sein“.

Unsinn bedeutet mithin Sinn, der keinen Sinn macht, weil er keinen Sinn besitzt und zu keinem Sinn führt. Fest an der Seite des Unsinns steht die Dummheit - und hiermit ist die gelenkte, also die synthetische Dummheit gemeint (und nicht eine angeborene Minderbegabung). Sie ist das Produkt vielfältiger Manipulationen. Und sie artikuliert sich nicht zuletzt in dummer Sprache, die in jedem ihrer Elemente unter Wittgensteins Verdikt fällt. Für sie gibt es hierzulande seit über zwei Jahrzehnten auch den Begriff „Dummdeutsch“, der durch den Schriftsteller Eckhard Henscheid eingeführt wurde.

Die Traditionslinien des Dummdeutschen führen weit zurück. Hierzu ein Beispiel: Während der römische Satiriker Juvenal formulierte: „Wir wollen beten, dass in einem gesunden Körper auch endlich einmal ein gesunder Geist wohnen möge“, grassiert seit der Epoche des deutschnationalen und reaktionären Pädagogen und „Turnvaters“ Friedrich Ludwig Jahn (1778 - 1852) eine schwach- und unsinnige Verfälschung. Dass nämlich nur in einem gesunden Körper ein gesunder Geist wohnen könne.

Ganz im Sinne Wittgensteins, aber mehr als drei Jahrzehnte vor diesem, schrieb Oscar Wilde den Schwätzern des Fin de Siécle ins fliederfarbene Poesiealbum: „Gesegnet seien jene, die nichts zu sagen haben – und darum den Mund halten.“

Den Schwätzern von heute möchte man Ähnliches empfehlen, auch und vor allem dann, wenn sie uns mit ihrer Betroffenheit betroffen machen wollen. Womit wir bereits mitten im Dummdeutschgefasel angekommen sind. Denn diese vorgetäuschte Betroffenheit ist geborgtes Elend, sie geht einher mit Verantwortungslosigkeit und sie ist mittlerweile kennzeichnend für unsere Republik der Phrasendrescher, die im Oberflächlichen verharrt. Denn hier schwafelt man lieber über Moral statt sie zu praktizieren. Besser wäre es, zu handeln, statt in rhetorischen Übungen zu betonen, dass man seine „Betroffenheit inhaltlich einbringen möchte“, um eine allzu weit verbreitete Redewendung zu zitieren.

Dummdeutsch scheint zudem von einer besonderen Fruchtbarkeit gesegnet zu sein. Denn längst hat sich eine Schwester (oder ist es ein Bruder?) eingestellt, nämlich Denglisch! Dummdeutsch plus Denglisch – das ist eine Atombombe mit Zeitzünder für den Verstand! Bemerkenswerterweise erfährt Denglisch regelmäßig eine Rechtfertigung. Vier vermeintliche Argumente möchte ich hervorheben und kommentieren:

1. In der Zeit der Globalisierung sei es notwendig, unsere Sprache mit Anglizismen (eigentlich sind es überwiegend Amerikanismen) zu durchsetzen.

Glaubt einer im Ernst, dass wir unsere Sprache den Menschen, die kein Deutsch sprechen, verständlicher machen, wenn wir Sätze formulieren wie: "Wir müssen unseren time frame im Auge behalten, damit wir unser target erreichen und nicht die alert line overshooten"? So etwas hat nichts mit einer zusammenwachsenden Welt zu tun, sondern ausschließlich mit jener gedanklichen Einfalt, vor der Wittgenstein warnte. Jemand, dessen Sprache Englisch ist, wird Probleme mit unserem "Pidgin-Deutsch" haben. Denn Wörter wie z.B. handy, mindmap, shoppen, hoppen und toppen sind ihm/ihr nicht geläufig. Denn sie sind keine englischen Wörter.

2. Durch die Einführung der Computer, besonders aber durch das Internet, sei eine "Verenglischung" unserer Sprache notwendig.

Die Tatsachen sprechen dagegen: Unsere Verfassung und sämtliche Gesetze sind in deutscher Sprache verfasst. Deutsch ist Amts- und Verkehrssprache in der Bundesrepublik. Wir haben eine deutsche Literatur, die sich rühmt, in der Tradition von Goethe, Schiller, Fontane oder Thomas Mann zu stehen (mit Auswirkungen auf die gesamte Kultur). Etwas anders verhält es sich mit der Computerfachsprache. Das könnte jedoch an der Eindimensionalität unserer Computerexperten liegen. Denn die Finnen haben 93% der vor allem aus den USA kommenden Computerausdrücke übersetzt, die Franzosen 86 Prozent, die Polen 82 Prozent, die Spanier 80 Prozent, die Deutschen jedoch nur 57 Prozent. Sie werden nur noch von den Dänen unterboten, die es auf 52 Prozent bringen. Und es gehört leider auch zu den nachweisbaren Tatsachen, dass ein nennenswerter Teil der Computerfachleute lediglich über einen beschränkten Wortschatz verfügt - sowohl im Englischen als auch im Deutschen. Das führt immer häufiger dazu, dass technische Beschreibungen (beispielsweise Gebrauchsanleitungen) nicht die notwendige Präzision aufweisen.

3. Die Sprachen hätten sich schon immer gewandelt und sich den Veränderungen in der Gesellschaft angepasst.

Dieses Argument trifft zu. Heftig zu kritisieren ist jedoch die drastisch zunehmende Manipulation unserer Sprache durch die Werbung. Es hat gar den Anschein, dass immer mehr Produkte ihre vermeintlichen Alleinstellungsmerkmale aus synthetischen, an das Englische angelehnten Produktnamen ziehen und immer seltener aus dem behaupteten Gebrauchsnutzen. Diese Trends haben Auswirkungen auf die Sprache der Massenmedien, sogar auf Teile des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Und das ist nicht zu tolerieren.

4. Sich für den Erhalt der deutschen Sprache einzusetzen, sei ein "rechtslastiges" Unterfangen.

Die Faschisten hatten und haben weder Deutschland noch die deutsche Sprache gepachtet. Sie benutzten bzw. benutzen diese Sprache, weil sie zufälligerweise hier geboren wurden. Deutsche Nationalisten und Rechtsextremisten fallen sogar dadurch auf, dass sie die deutsche Sprache, die sie als heiliges Gut ausgeben, weder im Wortschatz noch in ihrer Grammatik korrekt beherrschen.

Darum ist es unerlässlich, dass die Brücken zu dem Deutsch von gestern und dem Deutsch von heute nicht abbrechen. Damit alle, die das Deutsch von morgen sprechen, das sicherlich um neue Worte und neue Ausdrücke (zum Teil aus anderen Sprachen) bereichert sein wird, in der Lage sein werden, Texte von Heine oder Schopenhauer, von Schiller, Goethe oder Brecht ohne Einschränkung verstehen können.

 

Bibliografische Hinweise

 

Dolf Sternberger, Gerhard Storz, W. E. Süskind
Aus dem Wörterbuch des Unmenschen

Zuletzt erschienen als Ullstein Taschenbuch, Berlin 1989

 

Victor Klemperer
LTI
Notizbuch eines Philologen

Reclam Taschenbuch 20149
Reclam Verlag, Stuttgart 23. Auflage (2007)

Eckhard Henscheid
Dummdeutsch. Ein Wörterbuch

Reclam Verlag, Stuttgart 1993

Ludwig Wittgenstein
Tractatus logico-philosophicus

Logisch-philosophische Abhandlungen
Zuerst erschienen 1921
Edition Suhrkamp, Band 12

 

 

Klaus Philipp Mertens

M. N-F.