Archiv "Vom Geist der Zeit" | Literatur und Kultur

Im Dauerschlaf mit Langzeitfolgen

Das Frankfurter Kulturdezernat

Das Deutschordenshaus, Amtssitz des Frankfurter Kulturdezernats © MRG

Wer über Kultur nicht nur redet, sondern sachkundig ist, konnte es längst erkennen. Sie wird zu Tode gespart. Denn die massiven Defizite der Frankfurter Infrastruktur verengen die finanziellen Möglichkeiten der Stadt drastisch. Diese sind durch Einnahmeausfälle bei Gewerbesteuer und Beteiligungen, hauptsächlich verursacht durch Folgen der Corona-Pandemie, erheblich geringer geworden. Ein großer Teil der Schulen muss dringend saniert werden - hier haben sich Versäumnisse aus zwei Jahrzehnten aufgestaut. Der Klimawandel macht eine qualitative Verkehrswende notwendig. Der ÖPNV wird endlich aus dem Stadium der ewigen Baustelle in das des stabilen Normalbetriebs wechseln müssen. Ganz zu schweigen von der Frage, welchen anderen Verkehrsprojekten unter den Vorzeichen von Klimaschutz und regenerierbaren Energieressourcen Vorrang gebührt: Gehwegen, Radstraßen oder Autofahrbahnen? Rotlackierte Radwege sind lediglich Kosmetik, um die überproportional einfältige grüne Wählerschaft zu beruhigen. Die kommunale Energieversorgung ist bezügliche ihrer Quellen zu großen Teilen noch im letzten Jahrhundert stecken geblieben und bedarf einer zukunftsweisenden Erneuerung. Das Gesundheitssystem läuft Gefahr, endgültig der öffentlichen Daseinsvorsorge zu entgleiten. Und der Wohnungsbau ist nach wie vor und entgegen allen Warnungen dereguliert. Wer vor solchen Herausforderungen steht, sie aber nicht erkennt, nicht erkennen will oder zu Lösungen nicht in der Lage ist, flüchtet sich in Ersatzhandlungen.
 

Der Kulturbereich eignet sich nach Einschätzung der Politik dazu am besten. Dort kann man Aktivitäten symbolhaft durchziehen, ohne große Teile der jeweiligen Parteiklientel zu verunsichern. Wer dank Facebook, Instagram oder TikTok die Schwelle zur Verblödung überschritten hat, reflektiert nicht und ist für Kulturprogramme nicht mehr erreichbar. Ein erster Schritt auf dem Weg zur geistigen Gleichschaltung, der zudem Testcharakter aufweist, sind die jetzt verkündeten gekürzten Öffnungszeiten der städtischen Museen. Sie betreffen lediglich einen relativ kleinen Teil der Frankfurter Bevölkerung, von dem erfahrungsgemäß kein großer Protest zu erwarten ist; zumindest nicht an der Wahlurne. Das nächste Opfer sind, wie der Haushaltsentwurf für 2023 belegt, die Städtischen Bühnen, die weit über die sogenannte Mainmetropole hinaus wirken.
 

Doch trotz dieses unübersehbaren Menetekels grassiert im Kulturdezernat mittlerweile ein schon pathologisch anmutender Realitätsverlust. Noch im Spätsommer 2021 verteilte man auf einer Pressekonferenz bunte Bilder eines künftigen Schauspielhauses und einer künftigen Oper, ohne die dafür entscheidenden Voraussetzungen geklärt zu haben. Denn die voraussichtlichen Kosten von über einer Milliarde Euro tauchen in keinem Etatentwurf auf. Möglicherweise hofft man insgeheim auf die Beteiligung von Spekulanten; vielleicht zeigen sich russische Oligarchen an derartigen Kapitalanlagen interessiert. Doch eine demokratische Gesellschaft sollte derartige Finanzierungen genauso scheuen wie der sprichwörtliche Teufel das Weihwasser.
 

Die Kulturdezernentin wäre gut beraten, endlich elementare Dinge in der Theaterdoppelanlage nachhaltig sanieren zu lassen: Fundamente, Leitungen, Klimatechnik und Brandschutz. Und damit unverzüglich zu beginnen. Alles andere wäre ein Hoffen auf den St. Nimmerleinstag. Doch diese Hoffnung stirbt zuerst. Und mit ihr alles, was die intellektuelle Basis eines Volkes ausmacht.
 

Klaus Philipp Mertens