Archiv "Vom Geist der Zeit" | Literatur und Kultur

„Ich bin keine *in..."

Eine Sozialdemokratin rügt ihre Partei wegen des Genderns

 

„Ich bin keine *in, keine Männin und auch nicht Adams Rippe“, schrieb eine Frau, die Mitglied der SPD ist, an den Vorstand ihres Frankfurter Ortsvereins. Und sie beklagte, dass nach ihrem Eindruck linke, links-liberale und progressive gesellschaftliche Gruppen bewährte und überall verständliche Kommunikationsregeln, die zudem frei von jeglicher Diskriminierung seien, außer Acht ließen und diese durch eine synthetische Sprache ersetzen würden.

 

Weiter heißt es in dem Brief:

 

„Bereits mehrfach habe ich mich darüber beschwert, in E-Mails der Partei als Teil einer Gruppe namens „Genoss*innen“ angeredet zu werden. Denn diese Bezeichnung ist grammatikalisch doppelt falsch, weil es den Begriff „Genoss“ nicht gibt. Folglich kann man ihm auch kein *innen ankuppeln. Richtig hingegen wäre Genosse (Singular) oder Genossen (Plural). Und wer sich an dem generischen Maskulinum stört (weil er nicht zur Abstraktion in der Lage ist), darf sich in direkter Ansprache gern an „Genossinnen und Genossen“ wenden.

Die Schreibweise „Genoss*innen“ deckt sich nicht mit den Regeln der deutschen Rechtschreibung, die ab 1996 neu gefasst, in mehreren Schritten umgesetzt wurden und für Schulen, Hochschulen, Behörden sowie die Rechtspflege verpflichtend sind (Amtssprache). Diese Regeln sind kein diktatorischer Erlass, sondern wurden von paritätisch besetzten Kommissionen aus Deutschland, der Schweiz, Österreich, Liechtenstein unter Beteiligung der deutschsprachigen Minderheiten Belgiens und Italiens (Südtirol) festgelegt. Ein gemeinsamer „Rat für deutsche Rechtschreibung“ widmet sich seither der Sprachentwicklung. Denn Sprache lebt, aber nur aus sich heraus und ohne ideologische Zwänge oder der Diktatur einer fragwürdigen Mode.
 

Vor dem Hintergrund der Genderbewegung hat der »Rat für deutsche Rechtschreibung« in seiner Sitzung am 26.03.2021 die Auffassung bekräftigt, dass allen Menschen mit geschlechtergerechter Sprache begegnet werden solle und sie sensibel angesprochen werden sollten. Dies sei allerdings eine gesellschaftliche und gesellschaftspolitische Aufgabe, die nicht allein mit orthografischen Regeln und Änderungen der Rechtschreibung gelöst werden könne. Das Amtliche Regelwerk gälte weiterhin für Schulen und Universitäten sowie für Verwaltung und Rechtspflege. Der Rat hat vor diesem Hintergrund die Aufnahme von Asterisk (Gender-Stern), Unterstrich (Gender-Gap), Doppelpunkt oder anderen verkürzten Formen zur Kennzeichnung mehrgeschlechtlicher Bezeichnungen im Wortinnern in das Amtliche Regelwerk der deutschen Rechtschreibung zu diesem Zeitpunkt nicht empfohlen.

Auf seiner Sitzung im belgischen Eupen am 14.07.2023 hat der Rat seine Haltung bekräftigt.

 

Was er nicht gesagt hat, aber auf seiner Homepage andeutet: Die korrekte deutsche Sprache ist nicht nur eine Sache der Bundesrepublik Deutschland, sondern das Anliegen aller deutschsprachigen Länder und ebenso von Staaten, in denen deutschsprachige Minderheiten leben. Wenn Gruppen aus der Bundesrepublik ohne Abstimmung mit den beteiligten Nationen vorpreschen, könnte das als ein Verhalten gewertet werden, das dem sattsam bekannten „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“ entspricht.
 

Theoretisch könnte eine politische Partei für die Binneninformation eine Parteisprache festlegen. Dies hat die NSDAP 1933 getan und gleichzeitig die allgemeine Deutungshoheit über die deutsche Sprache für sich reklamiert. Das Ergebnis ist bekannt.

Dolf Sternberger, Gerhard Storz und Wilhelm E. Süskind haben bereits 1946 in ihrem „Wörterbuch des Unmenschen“ diese synthetische Sprache des Terrors exemplarisch analysiert, beispielsweise an dem Begriff „Kulturschaffende“, der bis heute von Bildungsfernen aller Schichten benutzt wird. Victor Klemperer folgte im selben Jahr mit seinem Buch „Lingua Tertii Imperii“.
 

Sprache als solche kann weder gerecht noch ungerecht sein; allein schon, weil sie – je nach Sachlage - sowohl abstrakt als auch konkret sein muss. Das aus einer jahrhundertelangen Entwicklung hervorgegangene generische Maskulinum erweist sich dabei als ein sehr präzises, weil faktisch neutrales Instrument. Wer es ersetzen will, muss bessere Lösungen anbieten als Wortzusammenfügungen, die mittels Sternchen, Strich oder Doppelpunkt aneinander gekuppelt sind. Wobei es auffällt, dass beim Gendern die weibliche Form immer der männlichen angehängt wird. So bleibt die Frau im orthodoxen Feminismus (einer reaktionären Bewegung, die sich zu Unrecht auf die Geschlechteremanzipation beruft) unwiderruflich eine Männin oder wie Eva im Alten Testament auf ewig eine Rippe Adams. Sprache wird der Gleichbehandlung der Geschlechter dann gerecht, wenn sie nichts verschweigt und nichts beschönigt. Wenn das, was sich aussagen lässt, klar gesagt wird (Ludwig Wittgenstein). Gegenderte Sprache hingegen reduziert die im gesellschaftlichen Diskurs notwendige Komplexität.

 

In der Publizistik erleben wir aktuell, wie sie zu einem Niedergang des investigativen Journalismus führt (beispielsweise beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder in der Frankfurter Rundschau, aber anscheinend auch in der SPD). Ohne diesen investigativen Journalismus, der ein unverzichtbarer Bestandteil der Demokratie ist, gehen vor allem der SPD wichtige Bündnispartner verloren – und Wähler.
 

Gerecht ist Sprache immer dann, wenn sie Recht und Unrecht eindeutig benennt. Das spricht nicht gegen die Notwendigkeit, dass Sprache lebendig bleiben und sich erneuern muss. Sie wird sich im Zuge gesellschaftlicher Veränderungen, aber auch in der Auseinandersetzung mit den Bedingungen der natürlichen Umwelt, immer Neuem zuwenden und Überkommenes abstreifen müssen. Aber dieser Prozess muss die genuine Fortsetzung einer geregelten und bewährten Praxis sein und dem geschulten Sprachverständnis innerhalb der Bevölkerung entsprechen.

 

Mir ist bewusst, dass sich die rechtsextreme AfD zur Bewahrerin der deutschen Sprache aufplustert. Wobei das, was sie unter deutscher Sprache versteht, in ihr nahestehenden Publikationen wie „Junge Freiheit“ oder „Sezession“ so anmutet, als wäre es aus dem „Völkischen Beobachter“ abgeschrieben. Warum also sollte ich, warum sollten andere Aufgeklärte und Bildungsbewusste, auf das Gekläffe von Kampfhunden hören und diesen die Distanzierung gegenüber der Gender-Unsitte überlassen?

 

Ohnehin stehe ich nicht allein. In einem Interview mit dem "Kölner Stadt-Anzeiger" sprach sich die Literaturkritikerin, Moderatorin und Autorin Elke Heidenreich vehement gegen das Gendern aus: "Das ist alles ein verlogener Scheißdreck".
 

Deswegen nehmt bitte zur Kenntnis: Ich erwarte von der SPD kein bildungsfernes Gesabber, sondern klares Denken, klares Sprechen, Schreiben und Handeln (das schützt auch vor Koalitionen mit der FDP). Über diese Erwartung diskutiere ich auch nicht länger. Wenn die Partei das nicht akzeptiert, mich also weiterhin sinngemäß als Männin anspricht, verstehe ich das als Aufforderung, die Partei zu verlassen.“

 

Dieser Beitrag war Bestandteil der PRO LESEN-Veranstaltung am 25. Mai 2023, der unter dem Thema stand:"Man wird sie Mann*in nennen, weil sie vom Manne genommen ist“. Wegen der anhaltenden Nachfrage nach diesem Artikel veröffentlicht ihn die Redaktion der »BRÜCKE unter dem MAIN« an dieser Stelle erneut.