Archiv "Vom Geist der Zeit" | Literatur und Kultur

Ein Schuss erkrachte, Billy Jenkins erwachte

Über die Heftromane der 1950er und 1960er Jahre

(c) bei den Verlagen Uta, Mohn, Bastei-Lübbe

Es führen viele Wege zur Literatur. Mein persönlicher Weg begann in den Niederungen der Kolportagegeschichten. Bei den bunten Comics und Romanheften, die damals als Schundliteratur galten. Immerhin beherrschten die Autoren ihr Handwerk. Grammatik- und Rechtschreibfehler unterliefen ihnen extrem selten. Ihre Sprache war zwar einfach, aber ausdrucksreich und keineswegs primitiv. Mit ihren Texten bauten sie Spannung auf. Das analytische Hinterfragen von Geschehnissen war nicht ihre Sache. Die Leser erwarteten das auch gar nicht. Sie wollten sich unterhalten. Wollten dem vielfach tristen Alltag für zwei bis drei Stunden entrinnen. Wollten, dass das Gute siegt und das Böse unterliegt und zur Rechenschaft gezogen wird. Ganz anders als im wirklichen Leben. Reaktionär waren die Hefte trotzdem. Denn sie stellten die Herrschaft der Wenigen über die Vielen nicht in Frage. Auf eine bestimmte Weise waren sie sozialdemokratisch. Sie empörten sich über das Unrecht, aber auf die Empörung folgten keine Taten.

 

Mein erster Held, dem ich nacheiferte, war Akim, Titelfigur eines schmalen Comic-Heftchens. Er erinnerte an den legendären Tarzan und streifte wie dieser durch den Dschungel. An seiner Seite eine Blondine namens Rita. Er kleidete sich nur mit einem Lendenschurz, hangelte vor allem von Baum zu Baum oder schwang, an einer Liane hängend, über die Landschaft. Außerdem gab es noch den Schimpansen Zig, der ähnlich wie ein gutgezogener Hund die Gespräche der Menschen verfolgte, sich selbst aber nicht an ihnen beteiligte, wie auch.

 

Auf Akim folgte „Sigurd“, der dem Siegfried des Nibelungenlieds und den Götter- und Heldenliedern der Edda nachempfunden war und mit seinem Freund Bodo (ursprünglich sein Gegner) gefährliche Abenteuer überstand. Unübersehbar war auch die Verwandtschaft mit Hal Forsters „Prinz Eisenherz“ („Prince Valiant“), einer Serie, die ab 1937 in den USA erschienen war. Regelmäßig tauchten Drachen und Dinosaurier auf, was Zweifel an der historischen Genauigkeit der Bildergeschichten aufkommen ließ. Denn wir hatten bereits im dritten Jahr auf der Grundschule gelernt, dass sich Dinosaurier und Menschen nie begegnen konnten, weil die Menschen im Zuge der Evolution erst nach den Urtieren in die Erdgeschichte eintraten. Zwischendurch las ich auch „Silberpfeil“, die Abenteuer eines Indianerhäuptlings, der mit dem Kommandeur einer Kavallerieabteilung der US-Armee befreundet war, mit dem Hauptmann Bill Gordon. Während Silberpfeil zeichnerisch konturlos blieb, erinnerte mich Bill Gordon an Schauspieler, die in Westernfilmen auftraten. Beispielsweise an Sterling Hayden oder Randolph Scott.
Inhaltlich wenig anfangen konnte ich mit „Nick, dem Weltraumfahrer“. Zwar spielten die Bildergeschichten auf anderen Planeten, aber diese gaben lediglich die Folie ab für ein sehr irdisches Geschehen.
 

Das formale Konzept dieser schmalen, querformatigen Hefte stammte aus Italien, dort hießen sie Piccolos. Ein deutscher Werbezeichner, Hansrudi Wäscher, orientierte sich ab 1950 an den italienischen Vorbildern und schuf Figuren wie Akim, Tibor, Sigurd, Falk und Nick. Doch deren Erfolg hielt kaum mehr als ein Jahrzehnt an; bereits ab den frühen 60er Jahren verschwanden sie. Ähnlich wie der Walter Lehning Verlag, Hannover, der sie verlegte. Die einstigen Leser waren erwachsen geworden und legten, falls sie dem Genre treu blieben, mehr Wert auf zeichnerische Details und eine größere Nähe zur (historischen) Realität.

 

Um 1957 herum entdeckte ich Romanhefte. Vor allem Billy Jenkins und Tom Prox, gelegentlich fiel meine Wahl auch auf Pete. Sie erschienen im selben Verlag, dem Uta Verlag in Sinzig/Rhein bzw. später in Bad Godesberg. Nicht nur die äußere Aufmachung der Hefte glich wie ein Ei dem anderen. Auch die Inhalte waren von der Struktur her deckungsgleich. Das war nicht verwunderlich, denn es schrieben überwiegend dieselben Autoren.
 

Eine Ausnahme bildete Billy Jenkins, der tatsächlich gelebt hatte und Parallelen zu Buffalo Bill aufwies, der Wildwest-Shows inszeniert und sich als Held der US-amerikanischen Pionierzeit ausgegeben hatte (Postkutschenfahrer, Büffeljäger). Mit bürgerlichem Namen hieß Jenkins Erich Rudolf Otto Rosenthal, nahm aber 1933 den Familiennamen seiner Mutter Elfriede Fischer an. Sein Vater war der Artist und Wanderschausteller Georg Rosenthal-Süßmilch. Geboren wurde er 1885 in Magdeburg. Bereits vor und unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg trat er in Varietés und im Zirkus auf, u.a. bei Sarrasani. Unter dem Künstlernamen Billy Jenkins war in den 1920er und 1930er Jahren ein auch im Ausland bekannter Kunstreiter, Schütze, Lassowerfer und Greifvogeldresseur. Um sich zu schützen, trat er in die NSDAP ein; denn gemäß der NS-Rassenideologie drohte ihm als „Halbjuden“ Verfolgung und Ermordung. Jenkins Bekanntheit nutzte der Werner-Dietsch-Verlag, Leipzig, der Trivialliteratur produzierte, als Titel einer Wildwest-Roman-Reihe. Diese Erzählungen, geschrieben „nach Berichten des Westmannes Billy Jenkins(so die Verlagswerbung), sollten den Lesern durch Originalfotos des Autors suggerieren, dass der Titelheld die Abenteuer selbst erlebt habe. Das erste Heft erschien im August 1934, kurz vor dem Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde die Nummer 264 ausgeliefert. Nach dem Krieg wurde ein Teil der alten Hefte neu aufgelegt, aber auch neue verfasst. Zu den Autoren zählten bekannte Heftroman-Schriftsteller wie Gert Fritz Unger und Rolf Randall.
An dieser Stelle sei auf die detailreiche Biografie verwiesen, die Michael Zaremba verfasst hat: „Billy Jenkins. Mensch und Legende. Ein Artistenleben“, Hansa Verlag, Husum 2000.

 

Auf jedem Heft prangte oben links Jenkins‘ Konterfei. Es konnte, so meine Überzeugung, folglich nicht alles nur ausgedacht sein, was von ihm erzählt wurde. In den Romanen wurde er als Chef einer kleinen Spezialeinheit der Polizei vorgestellt, beteiligte sich mitunter auch an Cowboy-Wettbewerben („König der Cowboys“). Etliche der Geschichten waren eindeutig im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts angesiedelt. Andere hingegen warteten mit Autos und kleinen Flugzeugen auf. Vermutlich fiel das nur analytischen Lesern wie mir auf und ich machte mir tatsächlich ernsthafte Gedanken über diese Widersprüche. Billy Jenkins‘ Pendant war Tom Prox, eine erkennbar synthetische und völlig unhistorische Figur. Er war Captain bei den Texas-Rangers. Sein Assistent war Sergeant Snuffy Patterson. Er sorgte für die humorvollen Episoden eines Heftes, weil er sich häufig selbst im Wege stand. Die Hefte erschienen im Uta-Verlag, der 1961 vom Erich Papel Verlag, Rastatt, übernehmen wurde, einem Unternehmen der Bauer-Gruppe.

 

Ich stand mit meinen literarischen Vorlieben nicht allein. Denn während der ersten 25 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik gehörten diese Western-Serien zur bekannten Unterhaltungsliteratur. Insbesondere von Jugendlichen wurden sie ge­schätzt. Männliche Erwachsene bevorzugten eher Western Reihen wie den „Bastei Wildwest-Roman“ oder die „Kelter Wildwest-Romane“; Kenner schworen damals wie auch heute rückblickend auf die „Erdball Western“ des Wolfgang Marken Verlags in Köln, der die besten Autoren versammelte, aber 1986 dem Wettbewerb nicht mehr gewachsen war. Zudem schien die große Zeit der Heftromane endgültig vorbei zu sein. Verschwunden sind sie jedoch bis heute nicht.
 

Die Wildwest-Romanhefte basierten einerseits auf den amerikanischen Dime-Novels des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Aber auch auf Vorbildern, die auch nach heutigen Kriterien als gut erzählte Literatur mit historischen Bezügen gelten.
Hier sind beispielsweise die Romane des Amerikaners James Fenimore Cooper („Lederstrumpf“, „Der letzte Mohikaner“) zu nennen. Letzterer verfasste auch einen Roman, der in Deutschland, namentlich in der Pfalz, spielt: „Die Heidenmauer oder Die Benediktiner“. Es geht um die Zerstörung der bedeutenden Klosteranlage Limburg bei Bad Dürkheim während einer internen Erbauseinandersetzung im Herrscherhaus der Leininger Grafen, die sich zwischen 1470 und 1503 hinzog. Cooper musste 1832 während einer Reise von Frankreich an den Rhein in Dürkheim eine mehrtägige Rast einlegen, weil seine Frau erkrankt war. Dort erfuhr er von den Vorgängen um die Limburg.
Aber auch der deutsche Autor Friedrich Gerstäcker („Die Regulatoren in Arkansas“, „Die Flusspiraten des Mississippi“) und der Österreicher Charles Sealsfield, eigentlich Karl Anton Postl („Das blutige Blockhaus“, „Die Grabesschuld“), die Amerika besucht und als Thema entdeckt hatten, öffneten der anspruchsvolleren Unterhaltungsliteratur neue Wege. Nicht zu vergessen sei Karl May, der zwar die Länder, die er in seinen Abenteuerromanen beschrieb, persönlich nie gesehen hat, aber dennoch eindrucksvolle Heldenfiguren schuf und realistische Landschaftsbeschreibungen verfasste.

 

Als wir Schüler etwas älter geworden waren, stiegen wir um auf die vermeintlich realistischeren Krimis. Hier rangierten FBI-Agent „Jerry Cotton“ und der Privatdetektiv Joe Walker, genannt „Kommissar X“, in vorderster Reihe. Unsere Romanhelden prägten auch unsere Vorlieben für Autos. Jerry Cotton steuerte einen Jaguar XK 140 und konnte sich im Verlauf seiner Karriere später den E-Typ leisten. Joe Walker hingegen fuhr einen Mercedes 300 SL, bei dem man die Türen hochklappen musste, um ein- oder aussteigen zu können.
 

Eine besondere Rolle innerhalb der Heftromane spielte die Reihe „Spannende Geschichten“, die im Rufer Verlag, Gütersloh, erschienen, einem Unternehmen der Bertelsmann Gruppe. Sie widmete sich (nach eigener Darstellung) der Veröffentlichung von Erzählungen aus den Bereichen Abenteuer, Forschung und weiter Welt. Zu ihren Autoren zählte in den 1950er Jahren der Schriftsteller Josef Reding. Er hatte das Verfassen spannender Kurzgeschichten während eines Stipendiats in den USA gelernt. Ab 1960 widmete er sich vorrangig der Literatur der Arbeitswelt und war Gründungsmitglied der „Dortmunder Gruppe 61“.

 

Ab 1961 gesellte sich ein Weltraumfahrer zu den Cowboys und Detektiven, der bis heute ähnlich erfolgreich ist wie der FBI-Agent aus New York, nämlich „Perry Rhodan“. Das Konzept der Reihe basiert auf der fiktiven Fortschreibung realer historischer Geschehnisse (gemeinsame Weltraummissionen von USA und Sowjetunion) sowie auf vorstellbaren Fortschritten der Technik und Medizin, insbesondere der Computerentwicklung.
 

Sämtliche Roman- oder Groschenhefte, die von den frühen 1950er bis in die 1970er Jahre von breiten Schichten konsumiert wurden, galten als Schundliteratur. Einige Reihen sind bis heute auf dem Zeitschriftenmarkt vertreten, vor allem Frauen-, Arzt- und Heimatromane. Während Krimi-, Geister/Gespenster- und Westernhefte eine deutlich abnehmende Tendenz aufweisen. Bewusst oder unbewusst geben sie gesellschaftliche Verhältnisse wieder, ohne diese infrage zu stellen. Solange eine Serie wie die bei Bastei-Lübbe erscheinende „Dr. Stefan Frank - Der Arzt, dem die Frauen vertrauen“ erfolgreich ist, dürfte Feminismus nur ein Schlagwort ohne Realitätsbezug bleiben. Möglicherweise wird „Dr. Stefan Frank“ eines nicht mehr fernen Tages für Sprachästheten die letzte Zuflucht sein, denn gegendert wird dort garantiert niemals.
 

Die Literaturwissenschaft ordnet die erwähnten und alle ähnlichen Hefte der Trivialliteratur zu. Der Begriff intendiert, dass es Texte gibt, die sich auf einem niedrigen ästhetischen Niveau bewegen. Das gibt Anlass, über das Typische der trivialen Literatur nachzudenken. In der Literaturwissenschaft gilt sie als Schemaliteratur. Ihre Merkmale sind schematischer Spannungsaufbau, melodramatische und sentimentale Handlungen, Schwarz-Weiß-Zeichnung bei Charakteren, Vermittlung eindeutiger moralischer Ansichten und Vortäuschung eines Weltbildes, das eindeutig der Rechtfertigung herrschender Zustände und nicht dem Wunsch nach Veränderung zugerechnet werden kann. Beispielsweise einer Zukunft, die durch soziale Gerechtigkeit geprägt wäre.
Diese Schemata drängen nach Konfektionierung und unterstützen inhaltlich ihre ständige Reproduzierbarkeit, was sich in der Erscheinungsweise als Fortsetzungsromane, Romanhefte oder Taschenbuchserien und Mainstream-Comics ausdrückt. Andererseits erfüllt diese Literatur kollektive Leserbedürfnisse, die durch ein starkes Verlangen nach identischen Grundmustern geprägt sind. Und die der Verdrängung des Alltags dienen soll.

 

Frauen stellten im 18. und 19. Jahrhundert den größten Teil des Lesepublikums der Vorläuferpublikationen, weil ihnen die Teilhabe an den Arbeitsprozessen verwehrt wurde und sie ihre freie Zeit ausfüllen wollten. Ihrer gesellschaftlichen Rolle entsprachen auch die Inhalte der ihnen zugedachten Literatur, die von Frauenschicksalen und Liebesromanzen bestimmt waren. Trotz der erheblichen Veränderungen in der Arbeitswelt dominieren solche Stoffe die noch erscheinenden Heftromane, aber auch solche Taschenbücher und Hardcover-Ausgaben, die als Frauenliteratur angepriesen werden.

 

Heinz J. Galle ist in seiner Untersuchung „Volksbücher und Heftromane“ (erschienen bei edfc in Passau, 1999) ausführlich auf diese Phänomene eingegangen. Ähnlich wie Jens-Ulrich Davids auf „Das Wildwest-Romanheft in der Bundesrepublik“ (Untersuchungen des Ludwig-Uhland-Instituts der Universität Tübingen, Band 24, 2. Auflage 1975).
 

Der Schemata-Literatur steht die literarisch ambitioniertere Literatur gegenüber. Dieses Genre lässt Raum für veränderbare gesellschaftliche Normen, baut auf der Originalität des Geschilderten auf, vielfach auch auf dessen Einmaligkeit, schafft Querverbindungen zu den verschiedenen Handlungselementen der jeweiligen Erzählung und ist auf Innovation angelegt.

Legt man diesen Maßstab an jene Unterhaltungsliteratur an, die längst nicht mehr als Hefte oder preiswerte Taschenbücher auf dem Markt ist und von so genannten Bestseller-Autoren verfasst wurde und wird, kann man rasch den Eindruck gewinnen, dass der Unterschied zwischen den Autoren der Billy Jenkins-Hefte und (beispielsweise) dem Fantasy-Autor Wolfgang Hohlbein gar nicht so groß ist. Weder in der literarischen Form noch in der inhaltlichen Aussage. Eine ähnliche Konfektionsware sind die erfolgreichen Taunuskrimis von Nele Neuhaus oder die so genannten Frauenromane von Hera Lind.

 

Auf andere Akzente stößt man hingegen in den Thrillern von Andreas Eschbach (Eine Billion Dollar, Das Jesus-Video, Teufels Gold, Exponential Drift, NSA) und Dan Brown (Illuminati, Sakrileg, Origin). Sprachlich vermeiden sie das allzu Schlichte, auch wenn sie erkennbar Spannung aufbauen; inhaltlich greifen Sie Themen auf, die für die Menschheit von existenzieller Bedeutung sind. Nämlich Demokratie als einzig legitime Ordnung und in ihrer Folge die Humanisierung der technischen, insbesondere die der digitalen Entwicklung. Und die Verteilung der Güter in der jetzigen sowie in einer künftigen Gesellschaft.

Von besonderem schriftstellerischen Format sind die Romane von Umberto Eco (Der Name der Rose, Das Foucaultsche Pendel, Baudolino), die historische Themen aufgreifen. Dieser Autor vermag in vollendeter Weise zu fabulieren, versteht es aber auch, fachlich korrekte Informationen über historische Ereignisse und technische Konstruktionen in seine Erzählungen einzubauen. Dadurch kommt er Biografen gesellschaftlicher Epochen wie Balzac, Theodor Fontane, Thomas Mann oder Alfred Döblin sehr nahe.

 

Werfen wir bei dieser Gelegenheit auch noch einen Blick auf die Comics jenseits von Akim, Sigurd oder Silberpfeil.
 

So wurde die bereits ab 1929 erschienene Serie des belgischen Zeichners Hergé um einen jungenhaft wirkenden Reporter und seinen Hund in Deutschland neu entdeckt. Statt „Tintin“ heißen die Alben im deutschen Sprachraum „Tim und Struppi“. Auch die 1959 von René Goscinny und Albert Uderzo geschaffene Reihe „Asterix“ setzte neue Maßstäbe bei den Comics. Zwischen 1963 und 1990 erschien die Serie „Leutnant Blueberry“. Jean-Michel Carlier hatte sie entwickelt, Jean Giraud setzte sie fort. Das Gesicht des Westernhelden Blueberry war dem des französischen Schauspielers Jean Paul Belmondo nachempfunden.
Ein Kind der unmittelbaren Nachkriegszeit ist „Lucky Luke“, jener Cowboy, der schneller schießt als sein Schatten und von Morris und René Goscinny humorvoll und mit Bezügen zu historischen Ereignissen des Wilden Westens in Bild und Text gesetzt wurde. „Lucky Luke“ ist nach Asterix die erfolgreichste Comic-Alben-Serie.

Sowohl das attraktive Erscheinungsbild der Alben, die überwiegend in den Verlagen Ehapa und Carlsen erscheinen, als auch ihr kommerzieller Erfolg trugen mit dazu bei, dass sie allmählich nicht mehr der Schundliteratur zugerechnet wurden.
 

Die Literatur in der jungen Bundesrepublik war neben den Heftromanen zunächst bestimmt von Autoren, die als „stille Emigranten“ in Nazi-Deutschland überlebt hatten. Werner Bergengruen, Georg Britting, Hans Carossa oder Albrecht Goes sind ihre typischen Vertreter. Formal bewegen sich ihre jeweiligen Schreibstile auf literarischem Niveau, inhaltlich idealisieren sie gesellschaftliche Zustände, die nie existierten. Erst Autoren wie Heinrich Böll, Wolfgang Borchert, Günter Grass, Siegfried Lenz oder Wolfgang Koeppen konnten für eine tatsächliche Wende in der Literatur sorgen, weil sie den von Nazis hervorgerufenen moralischen, politischen und wirtschaftlichen Untergang und seine zunächst unvollkommene Bewältigung während der Adenauer-Zeit thematisierten.
 

Dennoch gab es noch lange Störfeuer von rechts. Autoren, die im Dritten Reich Erfolge verzeichneten, versuchten, an diesen nach 1945 anzuknüpfen. Oder ihre Verlage setzten auf das kurze Gedächtnis des Publikums. Beispielsweise Karl Aloys Schenzinger. Er war nicht nur Autor des Nazi-Romans „Hitlerjunge Quex“, sondern hatte auch Romane über die Geschichte der Chemie („Anilin“) und der Technik („Metall“) verfasst, die in den 50er und 60er Jahre erneut hohe Verkaufsauflagen erzielten. Aus den Tiefen des Antisemitismus tauchte auch Felix Dahns „Ein Kampf um Rom“ wieder auf. Jüngere, die zwischen 1933 und 1945 ihr schriftstellerisches Handwerk erlernt hatten, aber in dieser Zeit noch nicht reüssieren konnten, betätigten sich danach als erfolgreiche Verdränger der historischen Wahrheit. Einer von ihnen war Heinz G. Konsalik, der mit Titeln wie „Der Arzt von Stalingrad“ oder „Das Herz der 6. Armee“ bekannt wurde. Sie entsprachen formal und inhaltlich den berüchtigten „Landser“-Heften und bestätigen die Erkenntnis, dass Triviales, sogar völlig Geistloses, auch im Hochglanz-Umschlag daher kommen kann. Ihnen gegenüber standen Autoren wie Johannes Mario Simmel, Peter Bamm oder Rudolf Hagelstange, die bewusst den populären Unterhaltungsroman pflegten, aber nicht die unkritische Akzeptanz der Verhältnisse im Sinn hatten.

 

Die Überschrift dieses Artikels ist einem einst populären Stegreif-Gedicht entnommen, das Peter Rühmkorf in seine Sammlung „Über das Volksvermögen“, (erschienen 1969 bei Rowohlt) als typisch für den literarischen Untergrund der 1950er und 1960er Jahre aufnahm. Es lautet vollständig:
 

Ein Schuss erkrachte,
Billy Jenkins erwachte.
Er trat ans Fenster
und sah Gespenster.
Er nahm sein Gewehr,
der Lauf war leer.
Er nahm sein Messer,
war auch nicht besser.
Er nahm seinen Colt -
Fortsetzung folgt.

 

 

Klaus Philipp Mertens