Archiv "Vom Geist der Zeit" | Literatur und Kultur

Alter Hass in neuen Kleidern

oder Darf / kann man mit Rechten reden?

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Eine Münchener Buchhandlung bietet in einem schmalen Regal, das mit dem Schild „Neue Rechte, altes Denken“ versehen ist, Bücher von rechten Verlagen wie Antaios und Manuscriptum an. Die Autorin Margarete Stokowski sagte deswegen eine Lesung ab.

Die SPIEGEL-Online-Kolumnistin Margarete Stokowski bezieht klare Positionen. Sie schreibt gegen Sexismus, Rechtpopulismus und Rassismus. Ihr letztes Buch, das mehrere ihrer neueren Texte versammelt, trägt den beziehungsreichen Titel „Die letzten Tage des Patriacharts“. Davor hat sie sich in einem anderen Sammelband mit der Geschlechtergerechtigkeit kritisch auseinandergesetzt: „Untenrum frei!“. Für Ende November war eine Lesung in der Münchener Buchhandlung Lehmkuhl fest geplant. Diesen Termin hat die Autorin abgesagt, nachdem sie von dem „braunen Regal“ erfahren hatte. Sie empfände es als Zumutung, in der Nachbarschaft neurechter Ideologien über elementare Fragen der Zivilgesellschaft zu lesen und im Schatten der AfD mit dem Publikum zu diskutieren. Der Geschäftsführer der Buchhandlung, Michael Lemling, verweist hingegen auf die gesellschaftliche Aufgabe des Buchhandels, ein Ort für Debatten sein zu müssen. Diese Auffassung wird von Margarete Stokowski auch nicht bestritten. Aber sie macht deutlich, was in vielen Streitgesprächen, die vor dem Hintergrund der AfD des Milieus, das diese Partei repräsentiert, geführt werden, häufig übersehen wird. Dass eben nicht jeder Inhalt diskurswürdig ist. Vor allem dann nicht, wenn es um antidemokratische oder rassistische Parolen geht. Und dass es ein Unterschied ist, ob man rechte Literatur am Lager bevorratet oder lediglich auf ausdrücklichen Kundenwunsch bestellt.

Der Buchhandel, dessen Einmischung geradezu erwünscht ist, weil er wie kaum ein anderer die Masse an Veröffentlichungen zu diesem Themenkomplex überblickt, muss Stellung beziehen. Allein die Formulierung „Neue Rechte – altes Denken“ beinhaltet die Feststellung, dass man zwischen 1933 bis 1945, genaugenommen seit 1918, „gedacht“ habe. Nein, man hat Strategien entworfen, wie man die Demokratie vernichten und zum Obrigkeitsstaat zurückkehren konnte. Oder wie man Menschenrechte würde außer Kraft setzen können und wie die Teilhabe am Gemeinwesen von der Zustimmung zur Diktatur sowie der Zugehörigkeit zu einer Rasse abhängig gemacht werden konnte. Eine Branche wie der Buchhandel, die sich der Kultur verpflichtet fühlt und aktiver Bestandteil dieser Kultur ist, muss deutlich machen, dass ein liberales Kulturverständnis nicht mit jenem unreflektierten Pluralismus zu verwechseln ist, der allem, selbst dem Unsäglichen, ein Stimmrecht einräumt. Bei der Verleihung des Friedenspreises gelingt ihr das zumeist.

In diesem Kontext wirkt Michael Lemlings Äußerung gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“ ziemlich naiv: „Wir sind bei Lehmkuhl nicht in der Position, gesellschaftliche Gruppen auf- oder abzuwerten.“ Das Gegenteil ist der Fall. Eine Buchhandlung kann und sie muss Zeichen setzen und dadurch dazu beitragen, dass Debatten über den Zustand der Gesellschaft zustande kommen und auf einem akzeptablen Niveau geführt werden. Schließlich sind Buchhandlungen, die über den Kochbuch- und Ratgeberhorizont hinausblicken können, seit jeher typische Treffpunkte demokratiebewusster Bürger.
 

Überhaupt erscheint mir die Frage, ob man mit Rechten reden kann oder reden soll, als eine falsch gestellte. Denn worüber könnte man denn beispielsweise mit Götz Kubitschek (Leiter des Antaios – Verlags und Herausgeber der Zeitschrift „Sezession“), Dieter Stein (Chefredakteur der Wochenzeitung „Junge Freiheit“), Martin Sellner („Identitäre Bewegung“), den AfD-Repräsentanten Alexander Gauland, Björn Höcke, Jörg Meuthen, André Poggenburg, Alice Weidel und Beatrice von Storch oder den Unterzeichnern der „Gemeinsamen Erklärung 2018“ (Hendrik M. Broder, Michael Klonovsky, Vera Lengsfeld, Mattias Matussek, Thilo Sarrazin, Uwe Tellkamp) eigentlich reden? Vielleicht über Katastrophen, die Deutschland und Europa von diesen Damen und Herren drohen, welche die Ausmaße eines „Vogelschisses“ (Gauland) überstiegen, also zu noch mehr als 50 Millionen Toten führten? Vielleicht mit Jörg Meuthen über dessen neoliberales Rentenversicherungsmodell, das die Kapitulation der staatlichen Rente vor den Begehrlichkeiten der Versicherungswirtschaft bedeutet und auf die Verelendung künftiger Rentner hinausliefe? Möglicherweise mit den Herren Höcke und Poggenburg über das „Völkische“ und andere nicht existierende anthropologische Kategorien? Jede Diskussion liefe darauf hinaus, dem Ungeist von Vorgestern ein öffentliches Podium zu bieten, das diesem nicht zukommt. Denn die Bilanz dieser „Bewegung“ eignet sich nicht dazu, sie nachträglich in der Hoffnung zu frisieren, dass viele ihrer typischen Eigenschaften in Vergessenheit geraten sind. Nein, nichts ist vergessen von diesem Übermaß an Brutalität, Dummheit, menschlicher Entmündigung und Mord. Und es ist dabei völlig unerheblich, dass die AfD mittlerweile im Deutschen Bundestag und in 16 Länderparlamenten vertreten ist. Auch die NSDAP konnte 1933 bei einer demokratischen Wahl im Reichstag eine Stärke erringen, welche die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler ermöglichte.

Dem Buchhändler Michael Lemling in München sei geraten, statt einer Auswahl an neurechter Literatur eine Schautafel in seinem Geschäft anzubringen. Unter dem Brecht-Zitat „Der Schoß ist fruchtbar noch“ könnte auf die Querverbindungen zwischen AfD und anderen Organisationen des rechten Milieus samt deren Publikationen hingewiesen werden. Zusätzlich ließen sich die ideologischen Quellen (z.B. Konservative Revolution, Carl Schmitt) darstellen. Ein Verzeichnis an Primär- und Sekundärliteratur würde dieses Informationsangebot abrunden. So jedenfalls stelle ich mir eine Buchhandlung vor, welche die von ihr angebotene Literatur auch ernst nimmt.
 

Klaus Philipp Mertens