Archiv "Vom Geist der Zeit" | Gesellschaft und Politik

Welchem Recht fühlt sich die hessische Justiz verpflichtet?

Die Anklageerhebung der Frankfurter Staatsanwaltschaft gegen den Frankfurter Oberbürgermeister wirft grundsätzliche Fragen auf

Titelseite der „Deutschen Juristen-Zeitung“ vom 1.8.1934 mit dem Aufsatz von Carl Schmitt (historisches Dokument)

Was ist von einer Staatsanwaltschaft zu halten, die per Hessischem Rundfunk (!) durchsickern lässt, dass sie eine Anklage gegen den Frankfurter Oberbürgermeister vor Gericht bringen wird, bevor sie den Angeschuldigten davon in Kenntnis gesetzt hat?
Nichts. Denn sie operiert mit dem Instrument Verleumdung. Vladimir Putin praktiziert das in Russland, siehe den Fall Nawalny. Ist die hessische Justiz auch so tief gesunken?
Formaljuristisch ist die öffentliche Bekanntmachung einer noch nicht rechtskräftig zugestellten Anklage ein schwerer Formfehler, aufgrund dessen das zuständige Gericht die Annahme der Klageschrift zu verweigern hat. Sollte das Gericht sie dennoch annehmen, wäre das eine Steilvorlage für den Prozessvertreter des Oberbürgermeisters (hoffentlich beauftragt er keinen Parteigenossen).
 

Wer sich wie die Frankfurter Staatsanwaltschaft nicht an die Bestimmungen der Strafprozessordnung hält, hat den Bereich der demokratischen Rechtspflege bewusst verlassen und sich auf das Gebiet politischer Auseinandersetzungen begeben. Dieses aber ist kein Terrain der richterlichen Gewalt, sondern obliegt Legislative und Exekutive. Das Bundesverfassungsgericht hat das in mehreren Entscheidungen, die in anderen Zusammenhängen ergingen, deutlich gemacht. Daran ändert auch nicht, dass staatliche Ermittlungsbehörden den Justizministerien unterstehen und weisungsgebunden sind.
 

Bekanntlich steht die hessische Landesregierung vor einer Wende. Der Ministerpräsident tritt ein Jahr vor der nächsten Landtagswahl zurück und übergibt an einen Nachfolger, der sich aber nach Ablauf der Legislaturperiode (voraussichtlich im Oktober 2023) dem Votum der Wähler stellen muss.
Im Frühjahr 2024 steht die Wahl des Frankfurter Oberbürgermeisters an. Sowohl im Bundesland als auch in der Mainmetropole setzt die CDU auf Sieg. Die Mehrheit in Hessen ist ihr jedoch keineswegs sicher und in Frankfurt sieht es aktuell überhaupt nicht danach aus.
Es sei denn, man könnte einen Skandal vom Zaun brechen. Der nicht immer gut beratene Peter Feldmann bietet sich dazu an. Denn falls das Gericht die Klage annimmt, könnte er falsch reagieren. Also sein Amt ruhen lassen oder gar zurücktreten. Würde er in einigen Monaten von allen Vorwürfen freigesprochen (was aufgrund der bekannt gewordenen Fakten naheliegt), hülfe ihm das nicht mehr. Und auch nicht der SPD. Für die CDU hingegen wäre das Kalkül aufgegangen. Man setzt ein Gerücht in die Welt und lässt es staatsanwaltschaftlich beglaubigen.
 

Deswegen sollte der Oberbürgermeister Haltung zeigen und im Amt bleiben, denn seine politischen Gegner sind durchtrieben. Eine politische Belastung für Frankfurt und Hessen würde nur dann entstehen, wenn sich eine Gefälligkeits- und Gesinnungsjustiz durchsetzen könnte.
 

Viele Demokraten sorgen sich, dass Rechtsverstöße, gar Rechtsbeugung durch die Justiz um sich greifen könnten. Zwei exemplarische Fälle belegen, dass es sich um realistische Befürchtungen handeln könnte:
 

Die Krawalle am Rande des G20-Gipfels im Juli 2017 in Hamburg kommentierte ein Finanzberater aus Limburg an der Lahn, Mitglied der CDU und für gute Geschäftskontakte zur SPD- und FDP-Prominenz bekannt, wenige Tage nach den Vorfällen in seinem Internet-Blog so:
»Da brauchen wir schnellstens eine internationale Sonderkommission, die da mal einen (ich formuliere das mal bewusst provokativ) „kleinen Holocaust“ veranstaltet und diesen Puff ausräuchert.«
 

Wenn man die Rechtsprechung zum Straftatbestand „Verharmlosung des Holocaust“ verfolgt (ich beziehe mich hierbei auf das Fachblatt „Neue Juristische Wochenschrift“), dürfte formalrechtlich zumindest Anlass für einen Anfangsverdacht bestehen. Dieser Auffassung waren auch mindestens zwei Personen, die unabhängig voneinander Strafanträge bei der Staatsanwaltschaft Limburg stellten. Doch die lehnte die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ab und begründete das u.a. so:
»Ohne Frage ist die Verwendung des Begriffs „kleiner Holocaust" in Bezug auf Menschen eine sprachliche Entgleisung. Solche Entgleisungen stellen aber nicht zwangsläufig einen Straftatbestand dar. Aufgabe des § 130 StGB, der Volksverhetzung, ist im Wesentlichen der Minderheitenschutz vor grober Verunglimpfung.«
 

Die Staatsanwaltschaft Limburg an der Lahn übersah dabei, dass mit der Neufassung des Gesetzes, das am 21.01.2015 in Kraft trat, eine Verschärfung einhergegangen ist. § 130, Absatz 2, bezieht sämtliche öffentlichen Äußerungen in Wort, Schrift und Bild, welche die in Absatz 1 genannten Tatbestandsmerkmale erfüllen, in die Strafandrohung ein. Absatz 3 schließlich erweitert den Personenkreis eindeutig auf alle, die „eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 Völkerstrafgesetzbuch bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung billigen, leugnen oder verharmlosen.“
Der von den Beschwerdeführern Beschuldigte hätte sich zudem darüber im Klaren sein müssen, dass die Todesstrafe in Artikel 102 GG abgeschafft ist und dass die systematisch betriebene Vernichtung von Menschenleben (denn nichts anderes war der Holocaust) seither außerhalb jeder Rechtsvorstellung liegt. Ebenso hätte er berücksichtigen müssen, dass das gültige Strafrecht eine Kollektivstrafe verbindlich ausschließt. Insbesondere über die Notwendigkeit zur Einführung eines „kleinen Holocausts“ bedarf es keines durch vermeintlich freie Meinungsäußerung ausgelösten Meinungsbildungsprozesses; denn auch ein solcher ist durch die Rechtslage verboten. Zwar schützt das Recht auf Meinungsfreiheit auch das Äußern falscher Tatsachen. Wenn diese Tatsachenbehauptungen jedoch Tatbestände enthalten, die durch § 130 StGB verboten sind, ist Artikel 5, Absatz 1 und 2 GG zu vernachlässigen.
 

Wenn Juristen angesichts zunehmender rechtsextremer Gewalttaten die Anwendung vorhandener Gesetze hintertreiben, kann man eigentlich nur noch Rolf Hochhuth zitieren, der in seinem Roman „Eine Liebe in Deutschland“, der von der Verstrickung von Juristen im NS-Unrechtsstaat handelt (konkret von Hans Filbinger, dem ehemaligen NS-Militärrichter und späteren Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg), von „furchtbaren Juristen“ sprach.

 

Auch in einem anderen Fall mit Bezügen zum Rechtsextremismus reagierte eine Staatsanwaltschaft (die in Frankfurt am Main) völlig unangemessen. Ein in der Bildungsarbeit ehrenamtlich Engagierter, der regelmäßig die Themenpalette „Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Neonazis“ in öffentlichen Einrichtungen zur Sprache bringt, wurde im Oktober 2016 im Außenbereich seiner Wohnung in Frankfurt-Sachsenhausen von einem Unbekannten niedergeschlagen und erheblich am Kopf verletzt. Es gelang ihm noch, den Polizeinotruf auf seinem Mobiltelefon auszulösen, sodass innerhalb weniger Minuten zwei Streifenwagen vor Ort waren. Während sich die zwei männlichen Beamten umsichtig des Verletzten annahmen, beschränken sich die zwei weiblichen darauf, sich den Vorgang jeweils aus der Sicht des Opfers und des Täters beschreiben zu lassen. Letzterer behauptete sogar, er sei selbst angegriffen worden - in einer privaten  Wohnanlage, die zu betreten er kein Recht hatte! Die Polizistinnen ignorierten auch den Hinweis des Opfers, dass in dessen Briefkasten offenbar kurz vor der Tat Propagandamaterial der AfD eingeworfen worden war. Sie kündigten ihm lediglich an, dass er zu einer Vernehmung in das zuständige Polizeirevier geladen würde.
Um die Sache zu beschleunigen, sandte er am Folgetag Fotos seiner Verletzungen, ein ärztliches Attest sowie ein selbst erstelltes Protokoll an das Polizeirevier per E-Mail. Eine Vorladung oder zumindest Rückäußerung von dort erfolgte nie.
Nach zwei Monaten ging bei ihm ein Bescheid der Amtsanwaltschaft Frankfurt ein, dass das Verfahren gegenseitiger (!) Körperverletzung eingestellt worden sei, weil sich weder die eine noch die andere Tatversion beweisen lasse. Auf die umgehende Beschwerde des Geschädigten bei der Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft, antwortete ihm diese, dass er erst im Nachhinein Angaben zum widerrechtlichen Eindringen in seine Wohnung gemacht habe. Auch Dokumentationen zu seiner Verletzung lägen nicht vor. Dieses traf nicht zu, was sich allein anhand der E-Mail-Protokolle nachweisen ließ. Daraufhin erfolgte die Information, dass die Generalstaatsanwaltschaft die Sache zur endgültigen Klärung an die Amtsanwaltschaft zurückverwiesen habe. Diese schrieb wenige Wochen später, dass der Straftatbestand des Einbruchs und des Hausfriedensbruchs nicht gegeben sei. Zu den anderen Punkten, insbesondere zur angeblichen gegenseitigen Körperverletzung, äußerte man sich nicht. Das Verfahren blieb eingestellt.
Der Geschädigte hielt in einem Beitrag für ein Online-Magazin fest: „Theoretisch wäre mir das Rechtsmittel der Klageerzwingung möglich gewesen. Doch ein solches Verfahren ist langwierig und kann teuer werden. Zudem hatte ich den Eindruck, dass Beweismittel bewusst unterschlagen worden waren. Mein ausführlicher Brief an den Staatssekretär im hessischen Justizministerium wurde nie beantwortet. Seither hat sich mein Eindruck verfestigt, dass in Teilen der hessischen Justiz Willkür herrscht.
Dieser wird bestärkt durch einen laxen Umgang einiger Behörden mit dem Waffenrecht (siehe den Mord an Regierungspräsident Walter Lübcke) oder den unberechtigten Zugriff auf persönliche Daten von Politikern und Anwälten an hessischen Polizei-Computern, durch wen auch immer.“
 

Dem gut informierten und sachkundigen Beobachter der Causa Feldmann fällt auf, dass rechtsradikale Täter in Hessen eine besondere Art von Narrenfreiheit genießen, während andererseits die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf den Stand von vor dem 3. Mai 1957 (als der Bundestag die volle Gleichberechtigung durchsetzte) zurückgefahren werden soll. Ja, es hat sogar den Anschein, dass der Kronjurist des NS-Staats, Carl Schmitt, immer noch in den Köpfen einiger Juristen herumgeistert. Der hatte am 1.8.1934 in der „Deutschen Juristen-Zeitung“ geschrieben „Der Führer schützt das Recht“.

 

Klaus Philipp Mertens