Archiv "Vom Geist der Zeit" | Gesellschaft und Politik

Vom Umgang mit Verfassungsfeinden

Der Fall Hans-Georg Maaßen

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Erinnern Sie sich noch an diese Liedzeile: „Und dann zieht der Kommunist die Unterwanderstiefel an und dann geht er an sein illegales Untertagwerk ran.“? Sie entstammt der „Erschröcklichen Moritat vom Kryptokommunisten“, mit welcher der linke Liedermacher Dieter Süverkrüp in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre sehr erfolgreich war. Er gab damit einer verbreiteten Hysterie Ausdruck, die einerseits von der Bundesregierung, nicht zuletzt aber auch vom Verfassungsschutz des Bundes und der Länder angefeuert wurde. Ich habe noch immer ein Flugblatt vor Augen, das im Treppenhaus meines Gymnasiums 1962 auslag und in dem es hieß: „Versuche dein Talent und finde den Agent!“

Die Angst vor einer kommunistischen Unterwanderung des Staatsdienstes wuchs seit der 1968er Studentenrevolte vor allem in CDU/CSU und im rechten Flügel der SPD (den „Kanalarbeitern“). Dort war der von den demonstrierenden Studenten verbreitete Aufruf zum „Marsch durch die Institutionen“ nicht nur als Unterwanderung des gerade erst stabilisierten Kapitalismus verstanden worden, sondern auch als Unterminierung von Parteien, Justiz und öffentlicher Verwaltung.

Zwei Monate vor dem gescheiterten Misstrauensvotum gegen die Regierung Brandt/Scheel beschlossen die Ministerpräsidenten der Bundesländer am 18. Februar 1972 den so genannten Radikalenerlass. Er sollte die Beschäftigung von Verfassungsfeinden im öffentlichen Dienst verhindern. Nominell richtete er sich gegen Links- und Rechtsextremisten gleichermaßen, tatsächlich betraf er vor allem Mitglieder der Deutschen Kommunistischen Partei, die im einfachen und mittleren Dienst bei Bundesbahn und Bundespost tätig waren. Aber auch 1.250 angehende Lehrer und Hochschullehrer wurden nicht eingestellt, da man ihnen linksradikales Gedankengut vorwarf, das sie sich mutmaßlich im Umfeld des Sozialistischen deutschen Studentenbundes angeeignet hatten.
Legendär wurden zahlreiche Briefzusteller der Deutschen Bundespost, die ihre Arbeitsplätze verloren, ohne dass sie gegen ihre Pflichten verstoßen hätten. Verfolgt wurden sie ausschließlich wegen ihrer Mitgliedschaft in einer politischen Partei, die nicht verboten war, die aber wegen ihrer Nähe zur SED angefeindet wurde. Ungefähr 260 Personen aller Laufbahnen wurden zwischen 1972 und 1991 entlassen.

Ab 1979 wurde der Beschluss in Ländern, die von der SPD (teilweise in Koalition mit der FDP) regiert wurden, nicht mehr angewandt; Bayern zog erst 1991 nach (die Seehofer, Scheuer oder Dobrindt kommen schließlich nicht von ungefähr). Etwa 3,5 Millionen Personen waren damals mittels einer „Regelanfrage“ an den Verfassungsschutz überprüft worden.
Die Berufsverbote wurden auch im westlichen Ausland, vor allem in Frankreich, heftig kritisiert. Sie hätten in dieser Form nie eingeführt werden dürfen, weil sie nicht die Antwort auf dienstliche Vergehen waren, sondern sich faktisch ausschließlich gegen linke außerparlamentarische Oppositionelle richteten.

Würden die Kriterien des damaligen Radikalenerlasses bei der Beurteilung des bisherigen Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz Hans-Georg Maaßen zugrunde gelegt, hätte dieser nach seinen Äußerungen zu den Vorgängen in Chemnitz unverzüglich entlassen werden müssen. Selbstverständlich bei Verlust seiner Bezüge und sämtlicher Pensionsansprüche. Eine weitere Verwendung in allen Bereichen des öffentlichen Dienstes, gar eine Neueinstellung, wären wegen der besonderen Schwere des charakterlichen und fachlichen Versagens ausgeschlossen gewesen.

Denn Maaßen ist dienstrechtlich nicht sein konservatives und antiintellektuelles Weltbild vorzuwerfen. Vielmehr ist ihm anzulasten, dass er mit einer rechtsradikalen und erklärtermaßen verfassungsfeindlichen Partei, der AfD, sympathisiert (Gauland und Weidel: Wir werden sie vor uns herjagen - gemeint waren Bundeskanzlerin und Bundesregierung). Ja, dieser Gruppierung sogar Ratschläge erteilte, wie sie einer Überwachung durch den Verfassungsschutz entgehen könnte. Seine Diffamierung von Menschen, die in Chemnitz von Rechtsradikalen durch die Straßen gehetzt und mit Gewaltanwendung bedroht wurden, ist an Erbarmungslosigkeit kaum noch zu überbieten. Das öffentliche Bezweifeln der Authentizität eines Videos liegt auf der Linie jener „alternativen Fakten“, die von Donald Trump praktiziert wird. Seine voreilige juristische Beurteilung des Tötungsdeliktes, das die von Neonazis gesteuerten Vorgänge auslöste und das von der Staatsanwaltschaft bis jetzt noch nicht abschließend bewertet werden kann, widerspricht allen Grundsätzen der Rechtspflege. Diese Haltung und diese Praxis offenbaren: Hans-Georg Maaßen ist ein Verfassungsfeind. Dass er künftig in einer Staatssekretärsfunktion im Bundesinnenministerium den Staat weiter unterwandern darf, erschüttert die Grundfesten der Demokratie und des Rechtsstaats.

In dieser Situation erwarte ich jenen „Aufstand der Anständigen“, den der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder vor dem Hintergrund des Anschlags auf die Düsseldorfer Synagoge im Oktober 2000 einforderte.

Klaus Philipp Mertens