Archiv "Vom Geist der Zeit" | Gesellschaft und Politik

Peter, Mike und Ina

Das Frankfurter Dreigestirn vor der Trennung

Das System schlägt zurück © MRG

„Übergriffig immer schon“ – so urteilte Christian Thomas in der „Frankfurter Rundschau“ (Ausgabe vom 7. Juni) über Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann, den man aus dem Amt drängen will. Wäre der Beitrag bereits vor fünf Jahren erschienen, so hätte es sich zumindest bei jenen Teilen, die nichts mit der aktuellen juristischen Auseinandersetzung um das Stadtoberhaupt zu tun haben, um eine investigative journalistische Glanzleistung gehandelt. Denn er beschreibt treffend den Mief der sozialdemokratischen Schickeria und speziell deren Kulturverständnis. Wobei Kultur hier als Synonym für ein Defizit verstanden werden muss. Eines, das in schierer Verkennung zum positiven Alleinstellungsmerkmal umgepolt wird.
 

In der konkreten Situation hingegen haftet dem Artikel jedoch der Geruch des Nachtretens an. Nachtreten auf einen, der am Boden liegt, weil ihn seine Parteifreunde in jede Falle laufen ließen, vor allem in jene, die sie selbst aufbauten. Um sich jetzt teils kleinlaut, teils vollmundig davon zu distanzieren.
 

Peter Feldmann ist das Produkt einer Partei, die einerseits den deutschen Spießbürger zum Vorbild erkoren und andererseits der Kultur sowie den Intellektuellen den Krieg erklärt hat. Christian Thomas belegt das exemplarisch an der Frankfurter Theaterdoppelanlage, die seit drei Jahrzehnten dem baulichen Verfall überlassen wird, obwohl sie vergleichsweise jung ist, nämlich aus den frühen 1960er Jahren stammt und die es verdiente, auch als Baudenkmal erhalten zu bleiben. Ähnlich marode ist die Mehrzahl der Schulgebäude, die aber bezeichnenderweise nicht erwähnt wird.
Tatsächlich fremdelte Feldmann von Anfang an mit der Kultur, vor allem mit Schauspiel und Oper. Die Parteifreunde, die das anders sahen und sehen, sind eine Minderheit, die er im politischen Tagesgeschäft vernachlässigen konnte. Statistisch besuchen jährlich nur etwa 40.000 Bürger die Aufführungen der Städtischen Bühnen. Das sind rund 5 Prozent der Bevölkerung. Für Pragmatiker wie Peter Feldmann ergaben sich dadurch zwangsläufig andere Prioritäten, nicht zuletzt die Schaffung von Wohnraum für Normalverdiener. Folglich wurde eine Außenseiterin mit geringem Einfluss in der Partei zur Kulturdezernentin ernannt, nämlich die Literaturwissenschaftlerin Ina Hartwig. Das Technische des Kulturbetriebs sollte Planungsdezernent Mike Josef bearbeiten, der als Vorsitzender der Frankfurter SPD über eine Hausmacht verfügt.
 

Mike Josef passt in jene sozialdemokratischen Strukturen, die von Karrieristen und Mitläufern geprägt sind und die eine im Kern positionslose und nicht innovative SPD immer häufiger hervorbringt. Zufälliger- oder bezeichnenderweise wird Josef in derselben FR-Ausgabe völlig unkritisch als Macher vorgestellt („Erfolgsgeschichte mit Pausen“).
 

Letzteres trotz seines Eintretens für die Erweiterung des Hessen-Centers in Bergen-Enkheim im Jahr 2016, das der einseitigen Kaufkraftabschöpfung eines Finanzkonzerns dienen sollte, nicht aber den Marktinteressen der Konsumenten (das Projekt wurde vor allem wegen des Protests aus der Nachbarstadt Hanau aufgegeben). Diese peinliche journalistische Lobhudelei unterschlägt zudem Josefs Widerstand gegen die Bürgerinitiative „Mietentscheid“ ebenso wie den jüngst vorgelegten irrealen Mietspiegel. Auch das Unvermögen des Dezernenten, in Neubauprojekten überwiegend geförderten Wohnraum festzuschreiben, wird marginalisiert. Gleichfalls dessen Plan für einen Stadtteil auf der „grünen Wiese“ nahe der Autobahn 5, der ein Tiefschlag gegen Ökologie und Klimaschutz sein würde. Es ist an der Zeit, Mike Josef auf einen Parteifunktionär zu reduzieren, der gegen die Interessen der Mehrheit seiner Wähler handelt. Und er könnte mutmaßlich jener Brutus sein, der Feldmann stürzen und die Frankfurter SPD endgültig unwählbar machen wird.
 

„Die Erde ist unbewohnbar wie der Mond“ nannte Gerhard Zwerenz sein Buch, das u.a. kritisch mit dem Immobilienwahnsinn im Frankfurt der 1970er Jahre umgeht. Rainer Werner Fassbinder machte es später zur Grundlage seines Dramas „Der Müll, die Stadt und der Tod“. Auf das Kulturbewusstsein der Frankfurter SPD haben beide keinen Einfluss gehabt. Ich habe sogar Mandatsträger getroffen, die weder das eine noch das andere kannten.

 

Es ist nicht auszuschließen, dass der bildungsferne und oft linkische Peter Feldmann, der in jedes Fettnäpfchen trat, in 30 Jahren als die letzte Hoffnung der Sozialdemokratie gegen die Immobilienmafia verklärt wird. Einer SPD, die man dann möglicherweise nur noch aus Geschichtsbüchern kennt.

 

In meinem persönlichen politischen Tagebuch habe ich unter dem 4. Juni 2016 (!) vermerkt:

 

Kultur als Schmiermittel. Das Menschenbild mancher Sozialdemokraten ist offensichtlich nach wie vor mit dem des Spießbürgers des 19. Jahrhunderts verwandt. Wer Kultur als Schmiermittel versteht und nicht als jenen Sand, den man den herrschenden Verhältnissen regelmäßig ins Getriebe schütten muss, kommt auf abstruse Ideen. Da hilft es auch nichts, wenn man eine Kulturpolitik entwirft, die sich „dezidiert an sozialen und demokratischen Aspekten“ orientieren und die „weit weg von den neoliberalen und diskursverhindernden Auswüchsen des letzten Jahrzehnts“ sein soll (wie es in der E-Mail an Parteimitglieder heißt, die von Martin Wimmer, dem Leiter des Oberbürgermeister-Büros, verbreitet wurde). Droht uns jetzt ein Frankfurter „Ohne-Sorg-Theater“, das vom Schauspielhaus aus eine Gastspielreise durch die Stadtteile unternimmt und seinen alljährlichen künstlerischen Höhepunkt auf der „Dippemess“ feiert? Wimmer kreiert sogar ein Mantra: „Peter, Mike und Ina“ und nimmt dadurch dem Kulturprogramm die Kultur.

 

Andererseits ist die Namensreihung „Peter, Mike und Ina“ schon wieder literatur-, also kulturverdächtig. Ich bin spontan an einen populären Schlager des Jahres 1954 erinnert. Sein Titel lautete; „Jim, Jonny und Jonas“. Ich habe ihm eine zusätzliche Strophe hinzugefügt:
 

Peter, Mike und Ina
erklär‘n uns, wie Kultur künftig geht.
Peter, Mike und Ina
zeigen‘s, damit‘s jeder versteht.
Peter, Mike und Ina
war‘n in der Szene nur selten zu sehn.
Und deshalb wird wohl zukünftig
der Geist noch viel spärlicher weh‘n.

 

 

„Das kritische Tagebuch“ führte Klaus Philipp Mertens