Archiv "Vom Geist der Zeit" | Gesellschaft und Politik

Gnädig mit sich selbst

Annette Kurschus, Ratsvorsitzende der EKD und Präses der Evangelischen Landeskirche in Westfalen, trat von ihren Ämtern zurück

Kirchenamt der EKD in Hannover © M&M

Der Fall Annette Kurschus offenbart die Krise der evangelischen Kirche, die jener der katholischen sehr ähnlich ist. Pfarrerinnen und Pfarrer haben sich von ihren Gemeinden entfremdet. Sie sehen nicht genau hin, sie hören nicht zu, sie erkennen Missstände nicht, und wenn sich solche nicht vertuschen lassen, reden sie sie schön. Vor allem erteilen sie die Absolution, obwohl sie nicht zuständig sind. Denn sexuelle Nötigung oder Gewalt sind Sache des Staates. Der muss ermitteln und gegebenenfalls freisprechen oder bestrafen.

Frau Kurschus hätte die Synode der EKD, die eine Woche vorher tagte, zum Forum für ihre Rücktrittserklärungen wählen sollen. Und sie hätte nicht die allzu billige Gnade mit sich selbst ausüben dürfen (nämlich vorzugeben, persönlich und vor dem geglaubten Gott im Reinen zu sein), sondern als geläuterte Sünderin auftreten müssen. Dann hätte ihr verspäteter Schritt noch einen gewissen Respekt verdient und wäre ein ehrenvoller Gang nach Canossa gewesen.

So aber hinterlässt sie eine Kirche, die neben den bekannten Zweifeln an ihren theologischen Fundamenten auch zunehmend Skepsis an ihrer Mitmenschlichkeit hervorruft. Vor dem Hintergrund dieser und anderer Ereignisse gelange ich wie Erich Kästner zu dem Schluss: „Verlasst euch nicht auf Gott und seine Leute, verdammt, wenn ihr das je vergesst!“

 

Klaus Philipp Mertens