Archiv "Vom Geist der Zeit" | Gesellschaft und Politik

Der Aufstand der Hinterhöfe

Die Abwahlkampagne gegen Peter Feldmann bringt ihr letztes Aufgebot in Stellung

Peter Feldmann mit Anwalt im Landgericht Frankfurt a.M. © hr

Ein glückloser Literaturvermittler namens Peter Ripken tut den „lieben Frankfurter Mitmenschen und den sehr geehrten Bürgerinnen und Bürgern Frankfurts“ in einer von Tippfehlern übersäten E-Mail kund, dass er sich noch wohler in Frankfurt fühlen würde, falls es keinen Oberbürgermeister Feldmann mehr gebe.
 

Letzterem unterstellt er, ein „Obernarzisst“ zu sein, der „von einer Peinlichkeit zur nächsten schwankt“ und sich auf politischen Lorbeeren ausruhe, die anderen gebührten. Möglicherweise hat Peter Feldmann durch seine Neubewertung von gesellschaftlichem Engagement trüben Lichtern wie Ripken die letzte Strahlkraft genommen und sie der endgültigen Bedeutungslosigkeit überantwortet.
 

Auch ein anderer Zukurzgekommener meldete sich in der Woche vor dem Bürgerentscheid mittels teurer Anzeigen in der Presse zu Wort und rief zur Abwahl Feldmanns auf. Nämlich Rainer M. Ballwanz, Immobilienmakler in Frankfurt, der an der immer stärker um sich greifenden Entmietung und Gentrifizierung aktiv beteiligt ist. Falls es Peter Feldmann gelänge, den Kampf um bezahlbares Wohnen erfolgreich zu Ende zu bringen, müssten sich Geschäftemacher wie Ballwanz nach einer seriösen Arbeit umsehen. Doch wer stellt solche Typen ein?
 

Über einen anderen Brunnenvergifter, nämlich Axel Hellmann, Vorstandssprecher von Eintracht Frankfurt, ist eigentlich kein weiteres Wort mehr zu verlieren. Sein Unvermögen, die Schlägertruppe des Vereins auszusondern, kaschiert er mit Diffamierungen des Oberbürgermeisters. Mit einfachen Sprüchen der besonders dummen Art sichert er sich den Zuspruch der Einfältigen. Insbesondere mit der Mär vom „gestohlenen“ Europa-Pokal. Den wollte Feldmann so wie einst Ministerpräsident Bouvier den DFB-Pokal auf den Römer-Balkon tragen. Doch bei Hellmann muss man tiefschwarz sein, um eine Fußballmonstranz tragen zu dürfen.

 

Um einen anderen, der maßgeblich an Feldmanns OB-Stuhl gesägt hat, ist es stiller geworden. Dabei hätte er die Kampagne abwenden können. Ich meine Mike "Judas" Josef. Für eine Handvoll Silberlinge hat er seine Partei, die SPD, an die Finanz- und Immobilienspekulanten verraten. Dieser Verrat wird den Frankfurter Sozialdemokraten noch auf Jahrzehnte nachhängen. Denn dieser Judas hinterlässt eine tiefgespaltene Partei. Eine Gruppe von Abwahlgegnern, die sich am Freitagvormittag vor dem Römer spontan einfand und die anschließend vom HR für die Hessenschau am Samstagabend interviewt wurde, sah vor allem die SPD als Verlierer und hielt Neuwahlen in sämtlichen Frankfurter Ortsvereinen für dringend geboten.

 

Zu einem letzten Halali vor der Abstimmung am Sonntag blies Georg Leppert am 4. November in der „Frankfurter Rundschau“. Er lobte die in typischer NS-Manier durchgeführte Bierdeckel-Aktion der Grünen, die Unwissen und Verleumdung in demagogischer Absicht miteinander verbindet. Sollte Lepperts These zutreffen, dass eine Mehrheit (die nicht unbedingt dem geforderten Quorum entspricht) gar nicht genau sagen könnte, was sie an Feldmann stört, wäre das ein Beleg für die geschürte Irrationalität. Die Menge (an Vorurteilen), auf einen Bierdeckel gekratzt, würde es machen.
Das meinte in einem anderen Zusammenhang auch Heinrich Heine, dessen Gedicht ich leicht verändert habe:
 

„Ich rate euch, nehmt euch in Acht,
Es bricht noch nicht, jedoch es kracht;
Und es ist Frankfurts Main mit Stufen und Tor
Noch immer so groß und so weit wie zuvor,
Und man könnt euch abrupt hineinschmeißen,
Euch alle, die uns quälen und zerreißen –
Die Menge tut es.“

 

Damit will ich sagen: Frankfurt wird nach der Abstimmung eine andere Stadt sein, ganz unabhängig davon, wie der Bürgerentscheid ausgeht. Sollte sich Peter Feldmann durchsetzen, könnte er die Dezernenten entlassen, die ihn besonders drangsaliert haben und vorläufig durch ehrenamtliche Stadträte ersetzen. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit während der ihm verbleibenden Restamtszeit ist nicht vorstellbar.
Sollte er hingegen abgewählt werden und eine Oberbürgermeisterwahl anstehen, werden sich die temporären Bündnispartner gegenseitig zerfleischen. Denn sie haben lediglich geklärt, wen sie nicht wollen. Wen sie statt Peter Feldmann präferieren, ist - internen Informationen zufolge - nicht erörtert worden. Möglicherweise wird Frankfurt für einige Zeit zu einer unregierbaren Stadt. Eine Stadt, in der die sozialen Antagonismus noch härter als bislang aufeinandertreffen. Rainer Werner Fassbinder attestierte Frankfurt in seinem Theaterstück „Der Müll, die Stadt und der Tod“ bereits 1975: „Die Stadt frisst ihre Kinder, wo sie sie auch findet“.

 

"Das kritische Tagebuch" führte Klaus Philipp Mertens