In den Türmen des alten Frankfurter Gaswerks am Osthafen gehen seltsame Dinge vor sich …
Alexander Bühler, ein Arzt ohne Approbation, behandelt dort Kriminelle, die schnelle medizinische Hilfe brauchen. Als der alternde Zuhälter Siggi die übel zugerichtete Zwangsprostituierte Adriana in die illegale Praxis schleppt, kann Bühler der Frau aber nicht mehr helfen. Während Siggi sich auf den Weg nach Groß-Gerau macht, um die Leiche auf dem alten Safariland-Gelände verschwinden zu lassen, macht Bühler eine verstörende Entdeckung: Offenbar irrt Adrianas kleiner Sohn irgendwo in Frankfurt herum und sucht seine Mutter.
Bühler findet das verstörte Kind und nimmt es mit zu sich nach Hause, ohne zu ahnen, dass der Junge der Schlüssel zu einer größeren Summe Geld ist, die Adriana kurz vor ihrem Tod einem Freier geklaut hat. Nicht nur Siggi, sondern auch der bestohlene Freier und ein ehemaliger Kiezkönig sind auf der Suche nach dem verschwundenen Geld und bereit, dafür über Leichen zu gehen…
Ralf Schwobs fesselnder Schreibstil und seine Kenntnis der Stadt und der Region machen diesen Krimi zu einem wahren Lesevergnügen. Der Autor bewegt sich gekonnt zwischen gesellschaftskritischem Roman und Actiontdhriller – für Freunde spannender Literatur eine echte Empfehlung.
Leseprobe
Prolog
Herbst 2020: Lockdown light
Frankfurt am Main, Zeilsheim
In der Jahrhunderthalle läuft gar nichts mehr und sogar den kleinen Zeilsheimer Weihnachtsmarkt hat der Vereinsring jetzt schon mal vorsorglich abgesagt, weil man die Auflagen des Ordnungsamtes nicht werde einhalten können. Und in der Gastronomie? Keine Geburtstage, keine Hochzeiten und erste recht keine Weihnachtsfeiern in diesem Jahr. Nix. Nada. Nothing.
Den ersten Lockdown im Frühjahr hat Wilfried Bolz noch klaglos mitgemacht, aber jetzt ist Schluss. Er steht in dem engen Gang zwischen Küche und Tresen, klappt die Sicherungen nach oben und die Lichter im Schankraum gehen an. Alles wie sonst auch, nur die Rollläden bleiben unten und die Vordertür geschlossen. Dafür ist das kleine Tor zur Hofeinfahrt geöffnet und jeder, der es wissen will, kann sich selbst zusammenreimen, was das heißt. Über den Hof gelangt man zum Hintereingang der Gaststätte und von dort über einen Flur in den Schankraum.
Es ist Freitagabend und Bolz muss nicht lange warten, bis die ersten Gäste eintrudeln, manche tragen Masken, andere nicht. Sie betreten den Schankraum zögernd, als hätten sie Angst, in eine Falle zu tappen. Er nickt ihnen aufmunternd zu, wartet geduldig, bis sie Platz genommen haben und kommt geht dann mit den Speisekarten an den Tisch.
„Schnitzelessen ist kein Verbrechen“, sagt er zur Begrüßung und die Gäste lachen und für einen Moment ist es so, als gäbe es die ganze Pandemiescheiße nicht.
„Wenn Sie drauf bestehen, setze ich natürlich so ein Ding auf“, sagt er und deutet auf die OP-Maske, die einer seiner Gäste gerade langsam vom Gesicht nimmt. „Aber wenn es Ihnen egal ist, ist es mir auch egal.“
Die Gäste lachen erneut und Wilfried Bolz reicht die Speisekarten herum.
In der Küche bereitet Maria die Fritteuse vor, wäscht den Salat und sieht nicht zu ihm auf, als er wenig später den Kopf in die Durchreiche steckt und ihr die Bestellungen zuruft. Ein kaum merkliches Kopfnicken ist alles, was er heute von ihr als Antwort bekommt.
Von mir aus, denkt Bolz, dann eben so.
Er zapft gerade die ersten Biere des Abends, als die Skatrunde eintrifft. Die Männer grinsen und zeigten ihm den erhobenen Daumen, bevor sie sich an ihrem Stammplatz niederlassen. Es wird ein stinknormaler Freitagabend werden, die Gespräche an den Tischen vielleicht ein wenig gedämpfter und die Skatbrüder etwas leiser beim Auftrumpfen als sonst, aber im Übrigen alles wie immer. Er steht hinterm Tresen, zapft und serviert, und Maria klopft in der Küche die Schnitzel.
Traditionsgaststätte Bolz, steht auf den Speiseekarten, seit 1924 in Familienbesitz. Sein Großvater hat das Lokal trotz Krieg, Zerstörung und Inflation für die nachfolgenden Generationen erhalten,
und er würde nicht zulassen, dass ein chinesischer Schnupfenvirus
vier Jahre vor dem 100-jährigen Jubiläum das Lebenswerk seiner ganzen Familie ruiniert. Mag ja sein, dass ein paar Hochbetagte und Schwerkranke daran sterben, aber gestorben wird schließlich immer und überall.
Maria stellt die ersten Teller mit den Salaten in die Durchreiche und zieht sich sofort wieder zurück. Aus der Küche hört er das Zischen der Fritteuse, am Tisch vorne links mischt einer die Karten für die erste Runde. Wilfried Bolz serviert die Salatbeilage und kehrt gerade hinter seinen Tresen zurück, als Herbert Schaller den Schankraum betritt und sich mit einem Gesicht umsieht, als habe er Zahnschmerzen.
Der Schreck, der Bolz in die Glieder fährt, währt nur kurz, dann hat er sich wieder im Griff. Er nickt Herbert zu, der im Türrahmen stehengeblieben ist, nimmt eine Pilstulpe aus der Halterung über der Theke und beginnt mit dem Zapfen.
„Wilfried“, sagt Herbert nach einer Weile, tritt an den Tresen heran und lässt die Arme hängen. „Wilfried, das geht so nicht.“
„Was meinst du? Du trinkst doch immer Pils, wenn du herkommst“, erwidert er ohne aufzusehen und gibt sich besondere Mühe bei der Schaumkrone.
„Du weißt genau, was ich meine …“
Bolz lässt das Glas noch einen Moment stehen und abtropfen, dann schiebt er es über den Schanktisch und sieht Herbert Schaller herausfordernd ins Gesicht. Nicht dass davon viel zu sehen ist, denn sein Gegenüber trägt eine FFP-2-Maske, die ihn ganz offenbar beim Atmen behindert. Jedenfalls schnauft der untersetzte Mann ganz beträchtlich und die Maskenflügel ziehen sich jedes Mal zusammen, wenn Schaller einatmet.
„Herbert, wie lange kennen wir uns jetzt schon?“, fragt Bolz betont ruhig und freundlich.
„Darum geht es nicht, darum darf es auch gar nicht gehen, das weißt du doch …“
„Ein Leben lang kennen wir uns schon, falls du es vergessen haben solltest.“
Schaller nickt. „Ja, ein Leben lang, ja. Aber das bedeutet nicht, dass ich für dich eine Ausnahme machen kann.“
„Ach ja? Spricht jetzt der Herr Oberamtsrat, oder was?“
Schaller sieht ihn unverwandt an, hebt die Schultern und lässt sie wieder fallen.
Bolz schiebt das Bierglas noch ein Stück weiter über den Tresen und verschränkt dann die Arme vor der Brust. „Warum trinkst du nicht einfach dein Bier wie sonst auch? Geht aufs Haus.“
Kleine Schweißperlen bilden sich auf Herbert Schallers Stirn. Im Schankraum ist es jetzt ganz still. Die Skatbrüder starren stumm in ihre Karten und die anderen Gäste sitzen wie gelähmt vor ihren unberührten Salaten. Ein junger Mann kommt durch den Flur in den Gastraum, sieht Schaller am Tresen stehen und geht wieder.
„Als du zum zweiten Mal geheiratet hast und noch bisschen klamm warst, wo hast du da gefeiert?“, fragt Bolz scheinbar beiläufig und sieht, wie Herberts Stirn und Hals sich rot verfärben. „Und was habe ich dir damals dafür als Pauschale berechnet?“
Die Gäste an Tisch vier lassen ihre Salate stehen und stehen langsam auf. Bolz sieht, wie einer von ihnen einen Geldschein auf den Tisch legt, dann verschwinden sie wortlos durch den Hinterausgang. Er sieht ihnen nach und murmelt: „Offenbar ist Schnitzelessen heutzutage doch schon ein Verbrechen.“
„Wilfried, sei doch vernünftig. Ich muss dich bitten …“
„Was musst du musst du mich bitten, Herbert? Was?“ Bolz schlägt mit der flachen Hand auf den Tresen. Schaller hebt beschwichtigend die Hände und tritt einen Schritt zurück. Er ist einen ganzen Kopf kleiner als der massige Wirt. Nun erheben sich auch die Skatbrüder und schleichen davon.
„Bist du jetzt zufrieden? Ja? Hast mir alle Gäste vergrault!“
„Du darfst derzeit gar nicht bewirten, das weißt du doch.“
„Und von was soll ich leben, du Schlaumeier? Du hast gut reden, sitzt dir den Arsch platt in deiner Amtsstube und kriegst jeden Monat pünktlich dein Gehalt, aber ich verdiene nichts ohne zahlende Gäste! Ich gehe vor die Hunde!“
„Du … du bekommst doch Überbrückungsgeld … der entsprechende Antrag ist doch …“
„Ich scheiß dir was auf Eure Almosen!“, schreit Bolz und kommt mit großen Schritten um den Tresen herum. Schaller weicht immer weiter vor ihm zurück in den Schankraum.
Ein Leben lang, denkt Wilfried Bolz und sieht die Angst in den Augen des anderen. Sie sind seit der Grundschule befreundet, und jetzt das.
„Willy, mach doch keinen Unsinn …“, stammelt Schaller und hebt erneut die Hände.
„Das reicht jetzt!“, hört Bolz plötzlich jemanden hinter sich sagen und dreht sich überrascht um. Maria steht in der Küchentür und hält ein kariertes Geschirrtuch in den Händen. „Es reicht!“
„Geh wieder in die Küche“, sagt Bolz, aber seine Frau schüttelt nur stumm den Kopf. Sie faltet das Geschirrtuch akkurat zusammen, legt es auf den Tresen und beginnt dann, sich die Schürze aufzuknoten.
„Maria, was machst du denn da?“
Erneut schüttelt sie den Kopf. Aus dem Augenwinkel sieht Bolz, wie Herbert mit kleinen, schnellen Schritten den Schankraum verlässt.
Wilfried Bolz versucht, seine Frau am Arm zu fassen, aber sie entzieht sich ihm und verlässt ebenfalls die Gaststätte. Er hört ihre kleinen, schnellen Schritte auf der Treppe, die zu ihrer gemeinsamen Wohnung über dem Lokal führt. Jetzt steht er ganz allein inmitten des Schankraums. Auf dem Tresen neben Marias Schürze und dem karierten Handtuch steht noch das Bier, dass er für Herbert gezapft hat. Die Schaumkrone ist in sich zusammengefallen.
„So ist das also“, knurrt Wilfried Bolz, „so ist das also … das habt ihr euch ja alle schön ausgedacht …“
Er geht ein paarmal gehetzt im Raum auf und ab, dann kehrt er zum Tresen zurück, nimmt das Bierglas und trinkt es mit großen Schlucken aus, betrachtet das leere Glas in seiner Hand, als sehe er es in diesem Moment zum ersten Mal, und wirft es dann an die gegenüberliegende Wand, wo es in einem Scherbenregen zersplittert.
„Haut nur alle ab!“, schreit er, „haut ab, ich brauche euch nicht, keinen von euch brauche ich! Keinen!“
ISBN 9783948997862
mainbook Verlag, Frankfurt am Main 2024
Ladenpreis 14,00 Euro