Einzelartikel aus „https://bruecke-unter-dem-main.de - Frankfurter Netzzeitschrift“

Aktuelle Themenwoche

117. PRO LESEN-Themenwoche. 16. – 21. Dezember 2024

Die Sache mit Gott

Theologische Aufklärung zur Advents- und Weihnachtszeit

Eine Spurensuche für die Gebildeten unter den Verächtern

 

 

Religiöse Überzeugungen, die das Wesen des Menschseins zum Inhalt haben, sind legitim. Sie müssen sich aber einer Grundfrage stellen: Wie ist ihr Verhältnis von Wissen und Glauben. Ist das Wissen eine Grundvoraussetzung für Glauben? Oder wird geglaubt, was man (noch) nicht wissen kann oder was man nicht wissen will? Die Theologie kann nicht einfach für ihre Aussagen die Forderung des Glaubens erheben, denn man kann nicht an den Glauben appellieren, wenn es zunächst darum geht, seine Inhalte zu bestimmen. Man kann nicht sagen: Ich glaube, dass ich weiß, was ich meine, wenn ich glaube; denn man muss zumindest verstehen, was man annimmt oder ablehnt, wenn man den Glauben annimmt oder ablehnt.

 

Bei objektiver Betrachtung lässt sich die Bibel begreifen als eine Sammlung von Erzählungen, historischen Berichten, Briefen und Biografien, Gedichten und Liedern, in deren erstem Teil, dem Alten Testament, sich die Geschichte eines Volkes, der Israeliten, spiegelt. Alle Texte der Hebräischen Bibel (des Alten Testaments) sind Ausdruck einer einzigartigen Einheit von Volk, kultischer Ordnung (dynamischer Monotheismus) und einem von diesem Gott verheißenen Land. Und so beschreiben sie in literarischer Weise, vielfach unvollendet und inhaltlich disparat, ein Paradoxon. Nämlich das von Erinnerungen an die Zukunft (messianische Zeit), die sich aus einer erhofften, weithin lediglich in Gleichnissen und Sagen vorhandenen, Vergangenheit speisen. Über einen Zeitraum von über eintausend Jahren wurde an dieser Perspektive immer wieder neu festgehalten. Durch hinzugefügte Schriften oder durch die Bearbeitung älterer. 

 

Das Neue Testament hingegen ist in weniger als einhundert Jahren entstanden. Es greift den Gottesgedanken des Judentums auf, konkretisiert die Erlösergestalt des Messias durch die Person Jesus, wobei der Anbruch des Gottesreiches von einer deutlichen Naherwartung geprägt ist. Und es belebt die Hoffnung auf eine lebensähnliche Existenz nach dem Tod. 

 

Die Bibel erfüllt sämtliche Kriterien, die man üblicherweise an Literatur stellt. Und sie weist sogar eine eigene Literaturgeschichte auf. Denn sie ist nicht vom Himmel gefallen. Eine Vielzahl von Autoren und Bearbeitern haben zu diesem Werk aus 79 Einzelbüchern beigetragen (unter Berücksichtigung der alttestamentlichen Apokryphen und Pseudepigraphen, auf welche die Luther-Bibel verzichtet und darum lediglich 66 Einzelschriften zählt). Und gar nicht selten offenbaren sich Widersprüche in den Aussagen über die Schöpfung der Welt, über das Gottesbild, über ethische Maßstäbe, über die gesellschaftliche Ordnung oder über die Zukunft des Menschen. Zwar haben nachbiblisches Judentum und christliche Theologen vergangener Jahrhunderte durch die „Inspirationslehre" behauptet, dass die Bibel vom Heiligen Geist oder einem Engel den Propheten und Evangelisten wortwörtlich in die Feder diktiert sei (wie es mittelalterliche Buchmalerei in naiver Anschaulichkeit darstellt); die historisch-kritische Forschung hat uns aber eines anderen belehrt. Sie hat nicht nur den langwierigen Werdegang der einzelnen Schriften erforscht, sondern zugleich aufgedeckt, dass diese Inspirationslehre keineswegs dem Selbstverständnis der biblischen Schriftsteller entsprochen haben kann. 

 

Zu Beginn unserer Zeitrechnung befand sich Palästina im Umbruch. Politisch gesehen war trotz der rebellischen Gesinnung einzelner israelitischer Kreise und kleinerer Auf­standsversuche die römische Herrschaft festgefügt. Umso unruhiger und unüber­schaubarer aber war das geistige Leben - und das vollzog sich als dogmatische Bekräftigung oder mehr oder weniger deutliche Infragestellung des überkommenen religiösen Kults. 

 

Ein eindrückliches und anschauliches Beispiel dafür bieten die erst 1949 aufgefundenen Schriften der Sekte von Qumran am Toten Meer. Hier hatte sich an abgelegenem Ort eine Gemeinschaft zusammengefunden, die, von fanatischem Eifer für das Gesetz des Mose getrieben, die Masse des israelitischen Volkes samt der priesterlichen Führungsschicht in Jerusalem als vom Glauben abgefallen und für das Heil verloren ansah und nun als Gemeinde eines „neuen Bundes" auf den baldigen Anbruch einer totalen Gottesherrschaft wartete. 

 

Den Mitgliedern der Qumran-Bewegung steht eine Gestalt nahe, die im NT erwähnt wird: Johannes der Täufer. Dieser sonderbare Mann hauste ebenfalls abseits des besiedelten Landes in einem wüstenähnlichen Landstrich am Jordanufer zusammen mit einigen Anhängern. 

 

Auch er erwartet den baldigen sichtbaren Anbruch des Reiches Gottes, dem ein Weltgericht vorangehen würde. Voraussetzung an der Teilhabe an diesem Reich Gottes auf Erden ist nach seiner Überzeugung die Bereitschaft zur Buße. Als Zeichen der Bereit­schaft zur Umkehr (Griechisch: Mentanoia) verlangt Johannes von jedem, sich einem Taufbad zu unterziehen, das er im Anschluss an seine Predigten jeweils im Unterlauf des Jordans vornimmt. 

 

Auch der mutmaßlich aus dem nordpalästinensischen Nazareth stammende Handwerkersohn Jesus hatte sich offenbar um das Jahr 30 nach der Zeitenwende von Johannes taufen lassen und bald danach begonnen, selbst öffentlich zu predigen und zur Umkehr aufzurufen. Dies dauerte wahrscheinlich nur ein einziges Jahr an. Dann wurde Jesus durch die misstrauische, einem religiösen Dogmatismus verpflichtete Jerusalemer Führungsschicht vor dem römischen Statthalter Pilatus wegen angeblichen Aufruhrs gegen die politische Gewalt angezeigt und von ihm nach kurzem Prozess zum Tode verurteilt und am Kreuz hingerichtet.

 

Jesus selbst hat keine einzige Zeile niedergeschrieben bzw. etwas Eigenes hinterlassen. Nachdem die Ostererscheinungen die Apostel hatten annehmen lassen, dass ihr Meister in der Sphäre Gottes weiterleben und als Menschensohn und Weltenrichter als­bald wiederkehren würde, werden seine Worte und bald auch die Erzählungen über seine Taten als religiöses Vermächtnis gepflegt und zunächst mündlich überliefert. 

 

Die ersten schriftlichen Berichte und Glaubenszeugnisse sind in Briefen dokumentiert, die an erste, noch überwiegend judenchristliche, Gemeinden adressiert sind. Der 1. Thessalonicherbrief aus dem Zeitraum 51/53 ist der erste dieser Briefe und das älteste schriftliche Dokument der Christenheit; in kurzen Abständen folgen weitere, darunter auch der berühmte Paulus-Brief an die Römer. 

 

Erst für das Jahr 60 lässt sich eine erste Niederschrift von überlieferten Sprüchen und Erzählungen über Jesu Wirken, das Markus-Evangelium, nachweisen. Auf die Jahre 65 bis 70 lassen sich das Matthäus- bzw. das Lukasevangelium datieren, letzterem folgt zeitgleich die Apostelgeschichte. 

 

Diese drei Evangelien stimmen sowohl im formalen Aufbau als auch weithin in der inhaltlichen Ausrichtung der Reden- und Erzählteile überein, auch wenn es unterschiedliche Akzentuierungen gibt. Die Forschung fasst sie unter dem Begriff Sy­noptische Evangelien zusammen, was vom griechischen Wort Synopsis „Zusam­menschau" abgeleitet ist. Meist kann man einen Abschnitt aus einem dieser Evangelien neben den entsprechenden aus dem anderen Evangelium zum Vergleich anordnen. Durch den Seitenblick auf die Parallele wird oft die Überlieferungsgeschichte eines Ab­schnitts klarer und das Verständnis erleichtert. 

 

Die Quelle für Matthäus und Lukas war einmal das Markusevangelium. Es ist das kürzeste und älteste Erzählwerk über Jesus. Wo Matthäus oder Lukas vom Text des Markus abweichen, lässt sich fast immer ein besonderes schriftstellerisches Interesse nachweisen. Nämlich auf Erwartungen der Gemeinden eingehen zu wollen und die Vorgänge um Jesus in einen heilsgeschichtlichen Kontext zu stellen. Doch nicht alles, was die beiden über Markus hinaus beinhalten, erklärt sich als eine „verbesserte und erweiterte Auflage" des Markusevangeliums. 

 

Sowohl Matthäus als auch Lukas sind fast doppelt so umfangreich als Markus. Während Markus mit der Wiedergabe von Jesus-Reden sehr sparsam ist, finden sich solche bei den anderen viel häufiger. Diese Redepartien stimmen oft wörtlich überein und machen zudem einen altertümlichen Eindruck. Das führt zu dem zwingenden Schluss, dass das Markusevangelium nicht allein als Quelle benutzt wurde, sondern dass Matthäus und Lukas darüber hinaus eine Spruchquelle benutzt haben, eine aramäische Sammlung jesuanischer Aussprüche (auch Logienquelle Q genannt). Eingehende Untersuchungen haben nachgewiesen, dass die Spruchquelle noch früher abgefasst sein muss als das Markusevangelium. Leider lässt sie sich nicht mehr in ihrem gesamten Umfang rekonstruieren. Es gibt auch wissenschaftliche Zweifel, dass sie als selbstständige Quelle überhaupt existiert hat.

 

Das vierte Evangelium, dessen Autor als Johannes bezeichnet wird, bringt wenig Erzählstoff und gibt die Reden Jesu in einer sehr deklamatorischen, von einer göttlichen Offenbarung geprägten Sprache wieder. Das Judentum als religiösem Hintergrund des neuen Glaubens wird erkennbar als Gegner gesehen. Auch in seinem geplanten Aufbau (Prolog, Offenbarungen in Form von Reden, Wundern, Passion) unterscheidet es sich stark von den anderen Evangelien. Es ist höchstwahrscheinlich kurz vor oder nach dem Jahr 100 n.Chr. in der Umgangssprache der Spätrömischen Antike, in Koine-Griechisch, niedergeschrieben worden und orientiert sich stark an altgriechischen religiösen Vor­stellungen. So wird im ersten Kapitel von einem präexistierenden Logos gesprochen, also einem von Beginn der Welt an existierenden göttlichen Wort, das in der Person Jesu Gestalt angenommen habe. 

 

Die Texte des Neuen Testaments (mit Ausnahme des Johannesevangeliums) wurden mutmaßlich zunächst in aramäischer Sprache mündlich tradiert, danach erfolgte die schriftliche Fixierung in der altgriechischen Umgangssprache der Zeit (Koine-Griechisch). Bereits am Ende des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts lag eine lateinische Übersetzung des NT vor, die ab 385 von Hieronymus bearbeitet wurde (unter Einschluss des AT). Diese Überarbeitung (Vulgata) wurde für lange Zeit die verbindliche Bibel der Katholischen Kirche. Die Übersetzung Martin Luthers basiert auf der griechischen Textrevision des Erasmus von Rotterdam vom Ende des 15. Jahrhunderts. Für die Übersetzung des AT benutzte Luther sowohl die Septuaginta als auch das hebräische Original. 

 

Der Luthertext wurde im Verlauf der letzten fünfhundert Jahre mehrfach überarbeitet (revidiert). Gegenwärtig ist die Textrevision des Jahres 1984 sehr verbreitet. Wegen ihrer besonderen sprachlichen Kraft, die an die Urübersetzung erinnert, wird auch die Revision von 1912 geschätzt. Im evangelisch-freikirchlichen Bereich sind vor allem die Elberfelder Bibel und die Schlatter-Bibel verbreitet, die sich um Urtextnähe bemühen, was häufig zu Lasten der Verständlichkeit geht.

 

Im katholischen Bereich gilt die Einheitsübersetzung (der katholischen Bistümer) von Altem und Neuem Testament als Standardbibel. Sie verbindet eine relative Nähe zum Urtext mit einem verständlichen Deutsch. 


Die sowohl in evangelischen Landeskirchen als auch in der katholischen Kirche viel gelesene GUTE NACHRICHT versucht die Verbindung von Urtext und deutscher Alltagssprache, was nicht immer gelingt.

Im wissenschaftlichen Bereich hat sich die aus der reformierten Tradition der Schweiz hervorgegangene ZÜRCHER BIBEL überwiegend durchgesetzt.

 

 

Die moderne Theologie bzw. die philosophisch-theologische Religionskritik lässt sich vorrangig an den Werken dieser Gelehrten festmachen. Sie werden in der Veranstaltung am 19. Dezember 2024 kurz vorgestellt:

 

Hermann Samuel Reimarus: Die Vernunftlehre als eine Anweisung zum richtigen Gebrauch der Vernunft in der Erkenntnis der Wahrheit (1756)

 

Friedrich Schleiermacher: Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern (1799)

 

Die Historisch-kritischen Methode zur Erforschung der Bibel fußt auf Reimarus‘ Werk und wurde maßgeblich beeinflusst von Johann Salomo Semler (Abhandlung von freier Untersuchung des Kanons, 1771) und erfuhr eine weitere Prägung durch Ferdinand Christian Baur (Die christliche Lehre, Dogmengeschichte, 1838 – 1847).

 

David Friedrich Strauß: Das Leben Jesu (1835/36)

 

Ludwig Feuerbach: Da Wesen des Christentums (1841)

 

Albert Schweitzer: Geschichte der Leben-Jesu-Forschung (1913)

 

Rudolf Bultmann: Neues Testament und Mythologie (1941) 

 

Dietrich Bonhoeffer: Religionsloses Christentum (Briefe 1944)

 

Paul Tillich: Systematische Theologie (1951 – 1963)

 

John A. T. Robinson: Gott ist anders (1963)

 

Herbert Braun: Jesus, der Mann aus Nazareth und seine Zeit (1969)