Am Ende der 1970er Jahre erschienen mir die grün-alternativen Listen, die ich zuerst in Norddeutschland kennengelernt hatte, als dringend notwendige politische Antworten auf die sich damals längst abzeichnenden Strukturprobleme der Industrie- und Konsumgesellschaft. Der 1972 veröffentlichte Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit („Die Grenzen des Wachstums“) hatte einen Erkenntnisprozess unter aufgeklärten Bürgern in den westlichen Demokratien ausgelöst, der jedoch von der offiziellen Bundesrepublik nicht wirklich ernst genommen wurde. Die damals regierende sozial-liberale Koalition unter Kanzler Willy Brandt führte Ende 1973 lediglich einige autofreie Sonntage ein. Aber nicht wegen der Umweltbelastung durch fossile Brennstoffe, sondern wegen der Lieferbeschränkungen der erdölfördernden Länder als Antwort auf den Israel-Krieg.
Erst durch den zunehmend kritischen Blick auf die Kernenergie (ich denke an das geplante, aber nie gebaute AKW Wyhl in Südbaden) entstand allmählich ein neues Umweltbewusstsein, das sich in der 1980 gegründeten grünen Partei manifestierte.
Den aufgeklärten Bürgern im Land dämmerte es: Der grob-fahrlässige Umgang mit den natürlichen Ressourcen konnte nicht so weitergehen. Denn diese sind nicht beliebig vermehrbar. Das gilt für die gesamte Flora und Fauna, insbesondere für die Luft (Atmosphäre) und das Wasser samt der Weltmeere. Sie entziehen sich kommerzieller Verwertung. Dennoch hat sich die Wirtschaft ihrer bemächtigt und bewertet sie mittlerweile als industrielle Vorprodukte. Ähnliches gilt für Grund und Boden, der vor allem in den Städten zum Spekulationsobjekt geworden ist. Dabei gehört auch er zur staatlichen Daseinsvorsorge und könnte allenfalls für 30 bis 50 Jahre verpachtet werden.
Würde mich anlässlich der hessischen Landtagswahl (die am 8. Oktober 2023 stattfindet) ein prominenter Grüner, etwa Tarek Al-Wazir, um seine Stimme bitten, stellte ich ihm drei Fragen.
Wann werden die hessischen Grünen wieder grün?
Nach Wahrnehmung vieler grüner Stammwähler (zu denen ich mich mit Unterbrechungen zählte) beteiligen sich die Grünen in Hessen am Frevel gegen Mensch und Umwelt, zumindest wird er von ihnen nicht entschieden angegangen. Der Gift und Lärm ausstoßende Frankfurter Flughafen, die Vertreibung von normalverdienenden Mietern aus den Städten, das Rasen auf den Straßen als Symptom einer von anti-gemeinnützigen Interessen geleiteten Verkehrspolitik, die Tolerierung von Rechtsradikalen durch den Koalitionspartner CDU (NSU- Morde, Mord an Walter Lübcke, ungeklärte Fragen an den hessischen Verfassungsschutz) oder die vielen Schulen in verwahrlosten Gebäuden und ohne ausreichend Lehrer sind das Gegenteil dessen, was ich als grüne Politik bzw. grüne Antwort auf eine verfehlte Politik verstehe. Wann also werden die hessischen Grünen wieder grün?
Oder planen die hessischen Grünen eine Verschmelzung mit konservativen Parteien?
Plant die Partei gar eine Verschmelzung mit CDU und FDP sowie dem rechten Flügel der SPD, ähnlich wie bei der Abwahlkampagne gegen Frankfurts Ex-Oberbürgermeister Peter Feldmann, wo es sogar zu antisemitischen Aktionen kam (z.B. „Entsorgt Feldmann“)?
Sollten kerngrüne Wähler besser auf eine neue freiheitlich-linke Umweltpartei hoffen?
Wäre es für kerngrüne Wähler wünschenswerter, auf eine neue Partei zu hoffen, die sich aus Wert-Grünen, demokratischen Linken und traditionsbewussten Sozialdemokraten zusammensetzt, ähnlich wie 1980? Allerdings ohne Nazi-Altlasten wie Baldur Springmann oder die AUD (Aktionsgemeinschaft unabhängiger Deutscher).
Ich ahne, was er mir antworten würde. Etwa, dass ich einen falschen Blick auf die Tatsachen würfe. Oder an überwundenen Grundsätzen festhielte; denn die Grünen gingen mit der Zeit, seien auf Veränderung eingestellt. Vermutlich käme auch ein Hinweis auf die Verantwortung für Arbeitsplätze, beispielsweise am Flughafen. Die vermuteten Antworten stünden jedoch im Gegensatz zur Realität. Dort zeigt sich eine unkritische Haltung gegenüber jenem Teil der Wirtschaft, der offensichtlich nichts dazu gelernt hat und lediglich in Bereichen, wo es kaum etwas kostet, Kosmetik betreibt. Sicherlich würde er auch die vielen neuen Radwege ansprechen, die jedoch mehrheitlich nicht neu sind, sondern rot bemalt wurden und nach Kompromiss zwischen Autostraße und Radstreifen aussehen. Kein Wunder, dass viele Radler lieber Gehsteige benutzen und den Fußgängern zur Last fallen. Irgendwie scheinen die Veloristen ein Symbol für die neuen Grünen zu sein: nach oben buckeln, nach unten treten.
Klaus Philipp Mertens