Vom Geist der Zeit | Die Meinungsseiten

Peter Feldmann geht in Revision

Der Bundesgerichtshof soll entscheiden

Frankfurts abgewählter Oberbürgermeister Peter Feldmann hat seine Anwälte beauftragt, das Urteil des Frankfurter Landgerichts wegen offensichtlicher Rechtsfehler vom Bundesgerichtshof überprüfen zu lassen.

Feldmanns Rechtsbeistände hatten bereits zu Beginn des Prozesses einen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter der Wirtschaftsstrafkammer gestellt. Denn dieser hatte mehrere Jahre ein enges persönliches Verhältnis zu einem Oberstaatsanwalt gepflegt, dem mittlerweile vorgeworfen wird, sich durch die Vermittlung überteuerter Aufträgen für Justizgutachten persönlich bereichert zu haben. Der Schaden beläuft sich laut „Transparency International Deutschland“ auf insgesamt mehr als zehn Millionen Euro. Davon habe der Staatsanwalt 280.000 Euro an Provisionen erhalten. Beobachter aus Politik und Rechtspflege gewannen den Eindruck, dass dem Richter von höherer Stelle bedeutet wurde, sich durch ein hartes Urteil gegen Feldmann intern rehabilitieren zu können.

Einen weiteren unangenehmen Beigeschmack rief der Umstand hervor, dass der Richter mit der Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft verheiratet ist. Also mit einer Vertreterin der Behörde, welche die Ermittlungen im Strafverfahren gegen Feldmann führte. Und die über die offizielle Anklageerhebung die Medien informierte – noch bevor der Angeklagte und dessen Anwälte in Kenntnis gesetzt worden waren.

Es war offensichtlich: Die politischen, juristisch dürftig ummantelten Schüsse auf Peter Feldmann waren in Wiesbadener Regierungskreisen abgefeuert worden.

Doch die zuständige Disziplinarkammer des Landgerichts hatte den Befangenheitsantrag abgelehnt.

Ein weiterer gravierender Rechtsfehler ist die Behandlung von Zübeyde Feldmann, die faktisch einer öffentlichen Ehrabschneidung entspricht. Denn Staatsanwaltschaft und Gericht verlangten die Aussetzung der Gleichberechtigung. Also den Verlust von Privatautonomie und Vertragsfreiheit, falls Frauen mit Amtsträgern verpartnert oder verheiratet sind. Sollen sie künftig ihre Arbeitsverträge ihren Ehemännern zur Prüfung vorlegen und von ihnen abzeichnen lassen? Bis zum 30. Juni 1958 war das allgemein der Fall. Einflussreiche Nazi-Juristen (darunter einer der Kronjuristen des Dritten Reichs, Carl Schmitt, dessen Gift nach wie vor unter einigen Juristen kursiert) hatten die Regelungen des NS-Staats in die neue Republik hinübergerettet. Die Empfehlung im Urteil, Feldmann hätte den Arbeitsvertrag der Ehefrau mit der AWO einer Behörde anzeigen sollen, macht es nicht besser. Denn sie setzt sich über die Bestimmungen der Datenschutzgrundverordnung hinweg, berücksichtigt also nicht die Interessen der Ehefrau.

Juristisch delikat ist auch die Konstruktion einer so genannten stillschweigenden Unrechtsvereinbarung zwischen AWO-Geschäftsführerin und Peter Feldmann. Dieser sei von ihr mit Privilegien „angefüttert“ worden, um sich seine Unterstützung zu sichern. Zum einen beim Arbeitsvertrag mit der Ehefrau. Aber auch beim vereinbarten Rückkehrrecht auf seinen früheren AWO-Posten. Wenn Bundestagsabgeordnete nach Beendigung ihres Mandats in ihre Anwalts- und Steuerberaterkanzleien oder in ihre Beamtenpositionen problemlos zurückkehren können, ruft das keine offiziellen juristischen Bedenken hervor. Ebenso löst die Rückkehr von Abgeordneten in Führungspositionen in der Wirtschaft keinen rechtlichen Eklat aus. Nur das „kleine Würstchen“ (so AWO-Geschäftsführerin Hannelore Richter bei ihrer Zeugenvernehmung) Peter Feldmann darf das nicht.

Die Entscheidung des Landgerichts war von politischen Interessen bestimmt. Beabsichtigt war eine öffentliche soziale Hinrichtung eines Kleinbürgers, der sich als nicht mehr anpassungswillig entpuppte. Einer der Finanziers der Abwahlkampagne war typischerweise ein bekannter Frankfurter Immobilienmakler, der den Fortfall seiner lukrativen Pfründe befürchtete.

Ohne jegliche rechtliche Grundlage ist auch der Versuch, eine von Hannelore Richter initiierte Spende für Feldmanns Wahlkampf 2018 in den Kontext dieser nicht nachweisbaren „Unrechtsvereinbarung“ einzuordnen. Nach meinen Informationen sind entsprechend ausgewiesene Gelder an die SPD geflossen, deren Oberbürgermeisterkandidat Peter Feldmann war. Die Partei war anscheinend nicht Gegenstand von Ermittlungen. Möglicherweise hat sie sich durch die Teilnahme an der Abwahlaktion „reingewaschen“.

Auch die Erwartung von Staatsanwaltschaft und Gericht, Oberbürgermeister Peter Feldmann hätte auf diverse SMS-Nachrichten von Hannelore Richter (Bitte um Unterstützung von AWO-Projekten) reagieren müssen, entbehrt jeglicher juristischer Grundlage. Feldmann hat richtig reagiert, indem er nicht reagierte. Dadurch hat er sich der Sache entzogen und deutlich gemacht, dass er weder verfügbar noch zuständig oder gar käuflich war. Eines Neins hätte es nicht bedurft. Vielmehr hätte eine Reaktion auf diese Anbiederungsversuche letztere sogar aufgewertet.
Formaljuristisch ist das Schweigen im Bürgerlichen Recht und Handelsrecht ein rechtliches Nullum, das keine Wirkung entfaltet. Ausgenommen sind Verträge, die gemäß der geschlossenen Vereinbarung einer zusätzlichen Zustimmung bedürfen, ohne dass eine bestimmte Form vorgeschrieben ist.
Im Verwaltungsrecht sind solche Regelungen nicht bekannt, hier gilt von vornherein Eindeutigkeit. Meine Recherche in der Datenbank der „Neuen Juristischen Wochenschrift NJW“ sowie in mehreren Handbüchern zum Verwaltungsrecht (z.B. „Ehlers/Plünder, Allgemeines Verwaltungsrecht“) brachten nichts zutage, was die Einschätzungen des Gerichts stützen würden. Denn die dort aufgeführten Kategorien verwaltungsrechtlicher Willenserklärungen tangieren weder die Vorschriften der hessischen Gemeindeordnung noch das Disziplinarrecht des Bundeslands, dem ein Oberbürgermeister bzw. eine Oberbürgermeisterin unterworfen sind.
 

Deswegen ist davon auszugehen, dass die im Urteil postulierte Lauterkeit zu jenen Konstruktionen zählt, die Staatsanwaltschaft und Gericht in ihrer „Lex Feldmann“ beliebig und willkürlich formulierten, um trotz fehlender Beweise Anklage und Verurteilung zu rechtfertigen.

Als völlig untauglich erweist sich auch das Heranziehen des Anscheinsbeweises („prima-facie-Beweis“), der vor allem bei der strafrechtlichen Ahndung von grob fahrlässig oder vorsätzlich verursachten Verkehrsunfällen eine Rolle spielt. Der ehemalige Bundesrichter Prof. Dr. Reinhard Greger schrieb dazu:
„Der Anscheinsbeweis wird in der gerichtlichen Praxis vielfach angewendet, um bei nicht vollständig aufklärbaren Geschehensabläufen eine Verurteilung auch dann zu ermöglichen, wenn ein schuldhaftes Verhalten des Beklagten oder die Kausalität eines solchen für den Schaden des Klägers nach allgemeiner Erfahrung mit hoher Wahrscheinlichkeit gegeben ist. Um nicht Verantwortlichkeiten zu verschieben und Beweislastgrundsätze auszuhebeln, darf der Anscheinsbeweis jedoch nur unter engen Voraussetzungen herangezogen werden, insbesondere muss nach weitestmöglicher Aufklärung des Sachverhalts ein typischer Geschehensablauf festzustehen.“
Folglich mahnte der Bundesgerichtshof bereits vor Jahren:
„Bei der Anwendung des Anscheinsbeweises ist grundsätzlich Zurückhaltung geboten, weil er es erlaubt, bei typischen Geschehensabläufen auf Grund allgemeiner Erfahrungssätze auf einen ursächlichen Zusammenhang oder ein schuldhaftes Verhalten zu schließen, ohne dass im konkreten Fall die Ursache bzw. das Verschulden festgestellt ist“ (BGHZ 192, 84 = NJW 2012, 608).

Weder Staatsanwaltschaft noch Gericht haben den Nachweis von Dienstverstößen erbringen können. Der Vorwurf der lediglich vermuteten, aber nicht nachgewiesenen Käuflichkeit orientiert sich ausschließlich an den mutmaßlichen Begehrlichkeiten einer Person, konkret an den von Hannelore Richter. Darum erscheinen sämtliche Vorwürfe bei genauer Betrachtung als kalkulierte Rufschädigung durch die Rechtspflege. Viel tiefer kann ein nominell demokratisch verfasstes Gemeinwesen nicht sinken. Der Bundesgerichtshof hat nun die Möglichkeit, sämtliche Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit in Deutschland zu beseitigen, indem er das Frankfurter Urteil aufhebt.

Klaus Philipp Mertens