Im konkreten Fall, einem offenen Brief, in dem vor Kumpaneien mit der AfD gewarnt wird, ist das leider geschehen. Denn die Formulierung „Autor*innen“ bedeutet eine Hierarchisierung, also die sprachlogische Unterordnung von Frauen und deren Degradierung zum Anhängsel. Die Verursacher solcher Missgriffe bedienen sich üblicherweise eines phrasenhaften Satzbaus, einer verkümmerten Grammatik und Sprachlogik sowie eines monströsen und zugleich krüppelhaften Wortschatzes.
Gegen Rangordnungen und Unterordnungen in der Sprache, die Geschlechter, Ethnien und soziale Schichten diskriminieren, wehrte sich bereit vor 35 Jahren die feministische Linguistin Luise F. Pusch.
Und der Sprachlogiker und Mathematiker Gottlob Frege hat ca. 110 Jahre vor den ersten Genderversuchen mangelhafte sprachliche Präzision mittels logischer Schlüsse entlarvt: „Wenn A, dann B“ und „B falls A“ .
Auch Bertrand Russells und Alfred North Whiteheads Untersuchung „Principia Mathematica“, welche die Aussagenlogik von Kultursprachen anhand mathematischer Axiome analysiert, basiert darauf. Ebenso Ludwig Wittgensteins „Tractatus logico-philosophicus“. Und der Nestor der deutschen Grammatik-Wissenschaft, Peter Eisenberg, hat das Unaufgebbare der deutschen Sprache in seinem „Grundriss der deutschen Grammatik“ festgehalten. Die beiden Bände gelten nach wie vor als Standardwerk für Germanisten und Sprachwissenschaftler.
Selbstverständlich verändern sich Sprachen. Aber das muss in genuiner Weise, also aus sich selbst heraus, geschehen. Aufgepfropfte (synthetische) Veränderungen der Sprache dienen lediglich der ideologischen Instrumentalisierung. Eckhard Meineke hat vor zwei Jahren in seinem Sammelband „Studien zum genderneutralen Maskulinum“ auf entsprechende Irrwege in der feministischen Sprachwissenschaft hingewiesen.
Wer sich zu Recht gegen völkische und rassistische Parteien wendet, darf deren Artikulation nicht kopieren. Bereits kurz nach dem Ende der NS-Diktatur haben die Journalisten Dolf Sternberger, Gerhard Storz und Walter E. Süskind gemahnt: „Der Verderb der Sprache ist der Verderb des Menschen. Seien wir auf der Hut!“. In ihrer Textsammlung „Aus dem Wörterbuch des Unmenschen“ haben sie typische Beispiele beschrieben. Einige synthetische Begriffe, die allesamt in Joseph Goebbels Giftküche entstanden sind, haben den 8. Mai 1945 überlebt. Etwa „Kulturschaffende“, „Einsatz“, „Frauenarbeit“, „Mädel“, „querschießen“ oder „Sektor“. Die amerikanische Feministin Claudia Koonz hat sich Anfang der 1990er Jahre mit dem deutschen Sprachfeminismus beschäftigt und alte „Vorbilder“ wiedergefunden. Nämlich das Schlagwort von den „Müttern im Vaterland“ (so auch der Titel ihres Buchs). „*in“ und „*innen“ liegen voll auf dieser Linie.
Die Literaturzeitschrift „BRÜCKE unter dem MAIN“, die zusammen mit dem Förderverein PRO LESEN, Frankfurt am Main, überwiegend an der Basis arbeitet, nämlich in kommunalen Büchereien und Stadtteilbuchhandlungen, macht seit Jahren paradox anmutende Erfahrungen. Die Rechten (AfD & Konsorten) können nicht logisch begründen, warum sie gegen das Gendern sind. Und vermeintlich Progressive und Intellektuelle können nicht wissenschaftlich belegen, warum sie dafür sind. Es hat den Anschein, dass die vor 60 Jahren von Georg Picht vorausgesagte „deutsche Bildungskatastrophe“ nunmehr endgültig das Land im Griff hat.
Deswegen melden wir uns von Fall zu Fall zu Wort und verleihen Autoren und Autorinnen, die Frauen zu Anhängseln reduzieren und Raubbau an der deutschen Sprache betreiben, unseren Negativpreis „Analphabetos“.
Frankfurt am Main, 4. Februar 2025
BRÜCKE unter dem MAIN
(https://bruecke-unter-dem-main.de)
Gegründet 2001 in Frankfurt am Main als Forum für Literaturkritik.
Seit 2016 Organ von PRO LESEN e.V.,
Hrsg. von Pro Lesen - Förderverein für Literatur und Kultur in Frankfurt am Main und das Bibliotheksszentrum Sachsenhausen e.V.
© Redaktion ProLesen Frankfurt a.M. / 2025
Klaus Philipp Mertens