Die Frankfurter Theaterdoppelanlage, die teilweise auf den Fundamenten des im Zweiten Weltkrieg stark beschädigten Vorgängerbaus errichtet und vor 60 Jahren eröffnet wurde, gilt als architektonisches Zeitdenkmal. Es ist angeblich nicht sanierungsfähig und soll abgerissen werden. Damit wären die Ausgaben für den 1991 fertiggestellten Neubau des Bühnenhauses der Oper nach dem Brand vom November 1987 und die 2011 abgeschlossene Erneuerung von Ober- und Untermaschinerie der Schauspielhaus-Bühne verschleuderte Steuermittel gewesen.
Dringend sanierungsbedürftig sind seit längerem das gesamte Leitungssystem einschließlich Klimaanlage sowie einige der alten Fundamente und das Flachdach. Während der letzten 30 Jahre erschien den jeweiligen Magistratsmitgliedern und Stadtverordneten das dazu notwendige Geld als keine sinnvolle Investition – was aber nicht laut gesagt wird. Die Theaterkultur besitzt in der Finanzmetropole anscheinend keinen politischen Stellenwert.
Vor diesem Hintergrund mutet es wie ein Wunder an, dass Schauspiel und Oper durch berühmte Intendanten, Regisseure und anerkannte Schauspieler und Sänger glänzen konnten und können. Wirkliche Kultur wächst von innen, von der Bühne her, nach außen. Und sie hat mit Sektempfängen für die selbst ernannte High Society in Repräsentationsbauten gar nichts zu tun. An diesem Missverständnis krankt das gesamte neue Konzept.
Nach einer äußerst fragwürdigen Ermittlung des Ist-Zustands des Gebäudes sowie der Sanierungs- und Neubaukosten schwärmen Funktionäre der Römer-Koalition von der Schaffung einer (kommerziell geprägten) Kulturmeile – nicht zum ersten Mal. Den Ausschlag gab die Möglichkeit, das Grundstück der Frankfurter Sparkasse in der Neuen Mainzer Straße für 199 Jahre in Erbpacht mieten zu können. Trotz der langen Laufzeit geht es um insgesamt 398 Millionen Euro plus einer einmaligen Zahlung von 35 Millionen Euro. Der Gesamtaufwand stiege dadurch auf ca. 1,8 Milliarden Euro. Namhafte Fachleute halten nach wie vor eine Sanierung für die finanziell günstigere und kulturell überzeugendere Lösung. All das lässt Schlimmstes befürchten.
Denn es ist nicht davon auszugehen, dass die damaligen Parlamentarier bei den letzten Kommunalwahlen durch klügere ersetzt wurden. So gilt beispielsweise der kulturpolitische Sprecher der Frankfurter SPD, Thomas Bäppler-Wolf, als niveaulos. Von der oppositionellen „Die Fraktion“ werden ihm sogar rechtsradikale und rassistische Positionen nachgesagt. Auch unter den Stadträten fallen einige vor allem durch Inkompetenz auf.
Die projektierte Kulturmeile könnte zu einer Konsummeile werden, der Schauspiel und Oper lediglich als Alibis dienen. Man darf sich auch fragen, was aus dem English Theatre wird, dem die Räume gekündigt wurden.
Richtet man seinen Blick auf die gesamte in- und ausländische Theaterlandschaft, so fällt auf, dass andere Bauten aus den 1950er und 1960er Jahren neben der vermeintlichen Ruine in Frankfurt geradezu jugendfrisch wirken. Das Heinz-Hilpert-Theater in Lünen (Westfalen), das im Stil an die Frankfurter Anlage erinnert, wurde 1958 errichtet. Der Wiederaufbau des Bochumer Schauspielhauses war 1955 abgeschlossen, der des Wiener Burgtheaters ebenfalls.
Frankfurt ist und bleibt eine Provinzstadt, vor welcher der Geist eher flüchtet, als dass er kommt und bleibt.
Klaus Philipp Mertens