König Friedrich Wilhelm III. ordnete 1817 die Vereinigung der reformierten und lutherischen Gemeinden zu einer unierten Kirche in Preußen an. Sie wurde zur Quelle der späteren „Kirche der altpreußischen Union“ und dann der „Evangelischen Kirche der Union“. Von ihm ist in diesem Zusammenhang die Forderung überliefert, die Pastoren seiner Kirche sollten künftig neben Theologie auch Logik und Erkenntnistheorie studieren.
Doch das geschah, von wenigen Ausnahmen abgesehen, leider nicht. Auch in den 200 Jahren danach war und sind diese Fächer leider nicht Bestandteile der theologisch-akademischen Ausbildung. Denn hätte man die Intentionen Wilhelm III. befolgt, wären den evangelischen Christen in Hessen und Nassau möglicherweise Schlagzeilen wie die in der aktuellen „Impulspost“ an die Mitglieder erspart geblieben:
„Gesucht:
Dachdecker*innen, Kugelstoßer*innen, Zukunftsbauer*innen, Anwält*innen.“
Bei der letzten Begriffsbildung unterlief den Verfassern sogar ein doppelter Grammatikfehler. Der Plural von Anwalt heißt Anwälte. Allein die Deutschfehler erschweren das Weiterblättern. Wer sich dennoch nicht entmutigen lässt, stößt allerdings auf andere Ungereimtheiten, nämlich bei der Aufzählung sogenannter Sekundärtugenden:
So gibt es das Wort „Menschheitsliebe“ nicht. Es gibt Menschenliebe, menschlich, Menschheit oder auch Menschheitstraum.
Problematisch ist auch „Erdverbundenheit“. Es erinnert an „sturmfest und erdverwachsen“ im Niedersachsenlied und atmet den Geruch von Blut und Boden.
„Demut“ ist die Entschuldigungsformel von Politikern, die schwere Fehler begangen haben und sich scheuen, diese klar zu benennen. Das Wort ist ein Synonym für Hingabe und Opferbereitschaft. Eigentlich gewinnt es nur im Kontext ein klares Profil. Aber der wird meist verschwiegen.
Der Begriff „Einsatz“ (und auch Einsatzbereitschaft) ist militärischen Ursprungs. Die Nazis haben ihn in die Alltagssprache eingeführt und waren damit leider erfolgreich. Die Journalisten Dolf Sternberg, Gerhard Storz und Wilhelm E. Süskind haben das in Ihrer Dokumentation „Aus dem Wörterbuch des Unmenschen“ ausführlich beschrieben.
„Risikobereitschaft“ hat nichts mit Mut zu tun, vielmehr beschreibt es eine Haltung, die unverantwortlich alles aufs Spiel setzt, also dem Handeln des Hasardeurs entspricht.
„Verantwortung zu übernehmen“ klingt nach dem FDP-Politiker Christian Lindner, der ständig Gemeinnutz und Soziales diffamiert, weil diese durch Steuergelder finanziert werden müssen. Denn die Steuern möchte Herr Lindner gering halten, vor allem für Reiche.
Da die Autoren der „Impulspost“ das Gendern für eine von jedem verstandene Sprachvariante halten, erinnere ich an das logische Schließen, das den meisten aus dem Mathematikunterricht bekannt sein dürfte. Wendet man dieses Verfahren bei den Sonderzeichen (Asterisk, Doppelpunkt, Unterstrich) an, lautete die logische Schlussfolgerung: Nur wenn A dann B; umgekehrt: B wenn A. Während der dogmatische Feminismus einerseits die Autonomie der Frau behauptet (was ich für völlig richtig halte), benutzt er andererseits und paradoxerweise Sonderzeichen, welche auf die Kondition „wenn – dann“ und folglich auf eine Abhängigkeit hinauslaufen.
Aufgeklärte Frauen verstehen sich aber mehrheitlich nicht als Anhängsel.
Nach meiner Wahrnehmung verstehen sich die allermeisten evangelischen Frauen mit intellektuellem Hintergrund ebenfalls nicht als Zubehör oder Appendix. Die Zeiten sollten doch vorbei sein, in denen evangelische Christen biblische Texte wie Genesis 2, 23 als dogmatische Grundsätze der Kirche begriffen haben. Auch die Ehefrau des Pfarrers sollte längst keine „Rippe“ mehr sein.
Vor diesem Hintergrund ist nachzufragen, warum ausgerechnet die evangelische Kirche die Gesellschaft spalten will. Denn ohne allgemein akzeptierte Sprach-Codes (nämlich die in Jahrhunderten gewachsene und sich stets in genuiner Weise erneuert habende deutsche Grammatik) gibt es keine Verständigung und keinen Diskurs. Und das gilt nicht zuletzt auch für Seelsorge und Verkündigung.
Die Geschichte der evangelischen Kirche hat sich wegen solcher Nachlässigkeiten von ihren Mitgliedern entfernt; lediglich in der Diakonie scheint man den Menschen noch nahe zu sein.
Das gilt auch für die konfessionelle Publizistik, zu der ich publizistische Aktivitäten wie die „Impulspost“ zähle. Vorbei zu sein scheinen die wenigen Aufbrüche. Ich erinnere an den „Publizistischen Gesamtplan der EKD“ von 1979. Darin kann man noch heute nachlesen: „Als eine Weise kirchlichen Handelns kann evangelische Publizistik es sich leisten auszusprechen, was andere verschweigen. […] Das publizistische Handeln der Kirche wird darüber hinaus stellvertretendes Handeln sein, das sich im Namen jener äußert, die keinen Weg zur Öffentlichkeit finden.“
Doch die Instrumente einer menschenfreundlichen Publizistik sind verschwunden. Die Flaggschiffe wurden aufgegeben und eigenhändig versenkt. Das „Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt“ ebenso wie die „Evangelischen Kommentare“ und die „Lutherischen Monatshefte“. Der Monatsschrift „Zeitzeichen“, wo die Grundgedanken der „Kommentare“, der „Monatshefte“, der „Zeichen der Zeit“ sowie der „Reformierten Kirchenzeitung“ unzureichend komprimiert werden, haftet das Etikett „Schlussverkauf“ an. Eine Art letztes Aufgebot vor dem selbstverschuldeten Abgleiten in die Hölle. Die Publikation „chrismon“, die als kostengünstiger Ersatz für das „Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt“ gedacht war, erweist sich lediglich als Surrogat. Denn es hat die Anmutung eines Reader’s Digest für allzu anspruchslose Protestanten.
In der sich rapide verändernden Medienwelt machen sich mittlerweile das Fehlen von „medium“ (Fachzeitschrift für Hörfunk, Fernsehen, Film und Presse; eingestellt 1995) und „medien praktisch“ (Zeitschrift für Medienpädagogik; eingestellt 2003) schmerzlich bemerkbar. Doch die Verantwortlichen einschließlich jener, welche die falschen Argumente bis heute wiederholen, waschen ihre Hände in Unschuld.
Zugegeben: Damals, vor über zwanzig Jahren, mangelte es an finanziellen Mitteln. Ähnlich wie säkulare Kulturperiodika waren auch die der Kirche auf Subventionen angewiesen. Also wurde gespart – am falschen Platz. Den Ausfall von Mitgliedsbeiträgen (Kirchensteuern) von häufig besserverdienenden Nachdenklichen und kritischen Wohlwollenden, dem kirchenaffinen Bildungsbürgertum, hat man seinerzeit offenbar nicht hochgerechnet. Ähnlich wie bei der Dauerkrise von Galeria Karstadt-Kaufhof. Als man dort auf Druck neuer Eigentümer das Sortiment auf Allerweltsware reduzierte, blieben die Kunden weg und versorgen sich seither bei Internethändlern. Die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck wird 30 Prozent ihrer Liegenschaften aufgeben. Deutlichere Schatten kann eine intellektuelle Kapitulation nicht werfen.
Der Basler Kirchenhistoriker Franz Overbeck, ein Freund Nietzsches, hielt in seiner 1873 erschienenen Schrift „Über die Christlichkeit unserer heutigen Theologie“ seine Erkenntnis aus 30 Jahren Lehrtätigkeit in dem Satz fest: „Anders als durch Verwegenheit ist Theologie nicht wieder zu gründen.“
Ja, Verwegenheit tut not. Auch in der „Impulspost“ der EKHN. Und in der gesamten Kirche. Leider ist zu befürchten, dass beide den vielfältigen Warnungen der Propheten nicht folgen werden.
Klaus Philipp Mertens