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Die Zerstörung der Innenstädte

Die Deregulierung des Handels ruft Insolvenzen und Arbeitslosigkeit hervor

Kaufhof Köln Hohe Straße © Stadt Köln

Der Warenhauskonzern Galeria, der aus der Zwangsvereinigung der einstigen Giganten Karstadt und Kaufhof entstand, ist erneut insolvent. Die Verursacher der Misere überbieten sich mit falschen, ihrer jeweiligen Rechtfertigung dienenden Analysen und offenbaren dadurch, dass sie fachlich inkompetent sind und die ihnen anvertrauten Gelder, Waren und Betriebsstrukturen veruntreut haben. Und sie spielten Lotterie mit dem Schicksal ihrer Mitarbeiter.

 

Warenhäuser basieren auf der Idee vom Universal-Fachgeschäft, das der Kundschaft Wege und Zeit erspart und regelmäßig Preisvorteile offeriert. Die einst von Herbert und Leonhard Tietz um 1880 begründeten Textilkaufhäuser (Hertie und Kaufhof) wandelten sich rasch zu Spartenfachgeschäften und boten „tausendfach unter einem Dach“ (Kaufhof) ein Sortiment, das sowohl in die Breite als auch in die Tiefe ging. Damit haben sie sich im Verlauf weniger Jahrzehnte zu Einkaufszentren mitten in Groß- und Mittelstädten entwickelt. Um sie herum gruppierten sich Spezialgeschäfte und später auch Anbieter von Niedrigpreiswaren.

 

Versandhäuser wie Neckermann, Otto und Quelle haben das Warenkonzept für die Bedürfnisse ländlicher Regionen abgeändert. Stationäre Niederlassungen wurden durch Kataloge ersetzt, der Warentransport erfolgte durch die Post. Auch in ihrem Umfeld positionierten sich Spezialversender, die zumeist Textilien, Schmuck und Uhren, technische Artikel und Bücher anboten.

 

Dieses Gesamtgefüge geriet mit der Goldgräberstimmung nach der deutschen Vereinigung ins Wanken. Der Profit wurde zum Maßstab aller Dinge erklärt, Betriebswirtschaftslehre ersetzte die Warenkunde, über Generationen gewachsene Kundenbeziehungen wurden als nachrangig betrachtet. Hochwertige und hochpreisige Ware wurde durch sich rasch umschlagende Artikel ersetzt. Plötzlich konkurrierten beispielsweise Kaufhof und Woolworth miteinander, also zwei völlig unterschiedliche Warenhauskonzepte.

 

Diese Spannungssituation erhielt Auftrieb durch den Online-Handel. Dieser appelliert bei den meisten Angeboten an leichtgläubige, schlecht informierte und passive Konsumenten, die aber mittels Notebook oder Handy kommunizieren können. Er wäre mit gesetzlichen Mitteln zu regulieren gewesen. Nämlich dort, wo er öffentliches Terrain in Anspruch nimmt. Hätten die Kommunen das permanente Falschparken von Transportern und das Behindern von Fußgängern und Radfahrern einschließlich der Unfallrisiken nicht toleriert, wäre die Warenzustellung zu einem riesigen Kostenfaktor für die Versender geworden. Faktisch wurde und werden Energieverschwendung und Umweltzerstörung von der Gemeinschaft in Kauf genommen bzw. die Folgekosten von ihr bezahlt. Und die angeblich kostenbewussten jungen Familien protestieren nicht dagegen. Obwohl sie mit ihren Steuern kapitalkräftige Konzerne subventionieren und so manche Kita nicht betrieben werden kann, weil die städtischen Etats ausgeschöpft sind und Steuervermeider wie Amazon sich nicht an den Aufwendungen der Gemeinden beteiligen.

 

Amazon & Co hätten bei einer Regulierung der Zustellung Paketabholstationen dort aufbauen und unterhalten müssen, wo niemand behindert wird, also vorwiegend in Randzonen. Der Kostenaufwand dafür hätte häufig den Wert der Ware überschritten. Dadurch wäre das Geschäftsmodell Online-Handel im Wesentlichen auf die Bestellmöglichkeit rund um die Uhr reduziert worden. Ein Vorteil, den auch der stationäre Handel hätte anpreisen können.

 

Doch ausgerechnet jene Politiker, die jetzt die Verödung der Innenstädte beklagen, weil die Warenhäuser für den Verbraucher keine attraktiven Ziele mehr darstellen bzw. bald ganz fehlen, ließen Verstand und Perspektive für den Erhalt einer wirtlichen Innenstadt vermissen. Jetzt faseln sie von der Kombination von per Fahrrad erreichbaren Einkaufsstätten mit Kultureinrichtungen und Gaststätten. Auf der Zeil läuft man als Fußgänger bereits jetzt Gefahr, alle drei Minuten von einem Rad angefahren zu werden. Engmaschig verkehrende Straßen- und U-Bahnen plus sichere Fußwege zählen längst zu den Grundvoraussetzungen für eine moderne Metropole.

 

In Frankfurt am Main haben diese „Kulturexperten“ über 35 Jahre lang der Verwahrlosung der Theaterdoppelanlage zugesehen und verweigerten die Mittel für deren ständigen Unterhalt. Jetzt lassen sie Prestigebauten entwerfen, die mindestens 1,3 Milliarden Euro kosten werden, belassen es aber ansonsten beim äußeren Schein. Der bewussten Vernachlässigung innerstädtischer Einkaufsstraßen wie der Zeil wurde ebenfalls kein Einhalt geboten. Ganz zu schweigen von der hingenommenen Gentrifizierung des Stadtkerns und der innenstadtnahen Stadtteile durch Immobilienspekulation.

 

Klaus Philipp Mertens