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Die schöpferische Kraft des Irrtums

Erinnerung an Otto Flake, der am 10. November 1963 starb

„Ich lag falsch im Rennen – ich lag falsch mein Leben lang, in diesem Land.“ So lautet das bittere Resümee, das der Schriftsteller Otto Flake in seiner Autobiografie „Es wird Abend“ zieht. Sie erschien 1960, drei Jahre vor seinem Tod. Nüchtern blickt er auf eine Zeit der Erfolge, aber auch eine voller Widrigkeiten und Enttäuschungen zurück. Unübersehbar ist sein Versuch, dem Vergessen entkommen zu wollen.
 

Otto Flake wurde am 29. Oktober 1882 in Metz geboren, der Hauptstadt Lothringens, damals Teil der Reichslande Elsass-Lothringen. Seine Schulzeit verbrachte er in Colmar; danach studierte er in Straßburg Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte, schloss diese Studien jedoch nicht ab, sondern versuchte sich mit mäßigem Erfolg als Hauslehrer in Sankt Petersburg. Von dort aus folgte sein Schritt zum freien Schriftsteller mit Stationen in Berlin, Rom, Paris, erneut Straßburg und Frankfurt am Main. In der autobiografischen Textsammlung „Das kleine Logbuch“ gewährte er Einblicke in sein turbulentes Künstlerleben.
 

Mit den elsässischen Schriftstellern René Schickele und Ernst Stadler gründete er 1903 die Zeitschrift „Der Stürmer“, die ein Jahr später in „Der Merker“ umbenannt wurde. Die besondere politische Situation Elsass-Lothringens ließ ihn zum „guten Europäer“ heranreifen, so der Titel einer späteren Essay-Sammlung. In Berlin war er seit 1911 regelmäßiger Mitarbeiter der bedeutenden Literaturzeitschrift „Neue Rundschau“ (S. Fischer Verlag).
Den Ersten Weltkrieg erlebte er als Angehöriger der deutschen Zivilverwaltung im vom kaiserlichen Deutschland annektierten Belgien. Gegen Ende des Weltkriegs begeisterte er sich für die Dadaisten um Hugo Ball und Hans Arp. Doch die Leidenschaft währte nicht lange, schon bald kehrte er zum linearen Erzählen zurück; der schriftstellerischen Disziplin, in der er sich uneingeschränkt entfalten konnte.
 

Auf Bitte seines Verlegers Samuel Bermann-Fischer unterschrieb er 1933 mit weiteren 87 Autoren eine „Loyalitätserklärung deutscher Schriftsteller“ an Adolf Hitler. Bermann-Fischer hatte sich davon Schutz für sich und seinen Verlag versprochen; denn er galt nach den Kategorien der Nazis als Jude. Flake wurde dafür von Schriftstellerkollegen heftig kritisiert. Das Regime selbst hat ihm diese Geste nicht honoriert; es verweigerte dem eigensinnigen und linksliberalen Autor regelmäßig das Papier zum Druck seiner Werke, sodass an die Veröffentlichung größerer Arbeiten nicht mehr zu denken war. Ja, er empfand es als widersprüchlich, dass die von ihm verachteten Nazis seine liberale politische Essayistik gar nicht zur Kenntnis nahmen und ihn persönlich unbehelligt ließen.
Flake bewahrte trotzdem seine freiheitliche Gesinnung und seinen Stolz. Dennoch hatten sich die Spuren des erzwungenen inneren Exils tief in ihm eingegraben. Neben die geistige Not trat häufig die materielle. Über Wasser hielt er sich mit Übersetzungen aus dem Französischen.
 

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde er, empfohlen von Alfred Döblin, Mitglied des antifaschistischen Kulturrats. Die französische Militärregierung berief ihn 1945 in den Kulturrat von Baden-Baden und betraute ihn mit der Durchführung von Ausstellungen und Vorträgen. Seinen Lebensunterhalt sicherte er sich auch weiterhin mit Übersetzungen (u.a. von Balzac, Montaigne, Dumas und Gobineau) sowie mit Rundfunkbeiträgen. Ab 1958 erlebte er wider Erwarten noch ein literarisches Comeback. Durch die Initiative des Verlagslektors und späteren Dramatikers Rolf Hochhuth kam es ab 1958 zu einer Neuauflage eines großen Teils seiner Werke im Bertelsmann Lesering, die erneut ein Millionenpublikum fanden. Der S. Fischer-Taschenbuchverlag hat nach dem Auslaufen der Hardcover-Ausgaben mittlerweile viele seiner Titel ins Programm genommen.
 

Als gebürtiger Lothringer setzte sich Otto Flake entschieden und nachhaltig für die Aussöhnung von Deutschen und Franzosen ein. 1954 erhielt er den Johann-Peter-Hebel-Preis des Landes Baden-Württemberg, 1955 das Große Bundesverdienstkreuz. Baden-Baden, das ihm zur zweiten Heimat wurde, würdigte ihn 1960 mit der Verleihung des Heimatpreises der Stadt. Dort starb er 1963.

 

Von seinen vielen biografischen Romanen und romanhaften Biografien, Erzählungen und Essays sind dies die bekanntesten:
 

Die Stadt des Hirns (Roman, 1919)

Das kleine Logbuch (Erinnerungen, 1921)

Ruland (Roman, 1922)

Die Simona (Roman, 1922)

Der gute Weg (Roman, 1924)

Hortense oder Die Rückkehr nach Baden-Baden (Roman, 1933)

Fortunat (Roman, 1946)

Die Monthiver-Mädchen (Roman, 1952)
 

Stefan Zweig attestierte ihm: "Ganz fremd ist Flake, ich weiß es, ganz isoliert mit dieser seiner Art in unserer neueren Literatur, aber notwendig, sehr notwendig, denn er beweist den Deutschen, denen Dichtung fast immer eins ist mit Dämmerung, am besten, dass Kunst auch Klugheit sein kann und Klugheit mit Kraft."
 

Kurt Tucholsky sah in ihm einen „deutschen Wegbereiter“, wie er 1921 in der „Weltbühne“ schrieb. Er schätzte an ihm besonders den analytischen Blick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse, vor allem auf den Anpassungsdruck, der innerhalb der Masse entsteht, und verweist in diesem Zusammenhang auf typische Äußerungen Flakes: „Der Skrupel flieht dahin, wo das Massengefühl die Sicherheit wiederherstellt.“ Oder: „Es wird sich zeigen, dass Ideen aus Dienern Herren machen und aus Herren mitunter Dämonen.“ Und eindringlich warnte er vor dem Glauben, man bräuchte nach politischen Katastrophen und Umwälzungen die Uhr einfach nur zurückdrehen: „Es ist eine falsche Rechnung, zu glauben, es sei nur Ruhe nötig, um wieder produzieren zu können; versucht es doch, ob die alten Ideen noch etwas hergeben; ihr werdet sehen, dass ihr euch nur nachahmen und wiederholen könnt. Wer heute nur Ruhe braucht, um geistig arbeiten zu können, ist verdächtig, denn den Guten und Wertvollen ist das Material ausgegangen.“ Und dann bringt er seine Einsicht auf den Punkt:

„Während die Welt weiterschreitet, werden wir unsre Kraft damit verbrauchen, die ältesten Ladenhüter von Freiheit zu sichern. Aufgabe der Empörer ist nicht, ein Maximalprogramm durchzusetzen, sondern den deutschen Charakter um und um zu pflügen.“

 

KPM