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Der hr ist Hessens Radio, anspruchslos im Nirgendwo

Über die Selbst-Simplifizierung eines Senders

hr-hessenschau.de fragt seine Nutzer wegen Facebook © hr

Wer den Informationskanal „hessenschau.de“ des hr vormittags im Internet verfolgt, wundert sich regelmäßig über einige der Nachrichten. Beispielsweise darüber, dass die Moderatorin oder der Moderator es für mitteilenswert halten, sich gerade ein Frühstücksbrötchen plus Kaffee oder Tee aus der Kantine besorgt zu haben. Dazu passt gut, wenn die Hörerinnen und Hörer, die Leserinnen und Leser, nach den von ihnen favorisierten Longdrinks gefragt werden: Whisky-Cola? Wodka-Lemon? Rum-Cola? Wodka-O? Gin Tonic? Eigentlich würde in diesem Kontext die Nachfrage passen, wie die Hörer- und Leserschaft denn die Nacht verbracht hat. Mit oder ohne Alkohol? Mit oder ohne Geschlechtsverkehr?
 

Und als die Welt vor wenigen Tagen anscheinend vor dem materiellen und intellektuellen Zusammenbruch stand, erkundigte man sich fürsorglich: „Wie hat Sie der Ausfall der Facebook-Dienste getroffen?“ Die Antwortmöglichkeiten beschränkten sich auf Unsägliches wie: „Es war wirklich schlimm“. Oder: „Ich hatte auf einmal ganz viel Zeit – herrlich.“ Oder: „Ausfall? Habe gar nichts davon mitbekommen.“
 

Auf die Idee, dass es Menschen gibt, die auf diese Medien verzichten, ja, sie ganz bewusst außen vor lassen, scheint bei den verantwortlichen Redakteuren niemand gekommen zu sein. Folglich wurde dieses anscheinend dissoziale Verhalten erst gar nicht abgefragt. Während sich zeitgleich der politisch bewusste Teil der Weltbevölkerung über die autoritären Strukturen der Fa. Facebook empört, die durch eine Whistleblowerin bekannt wurden, wird im Frankfurter Funkhaus an der Betramstraße nur der technische Ausfall des Datenkraken zur Kenntnis genommen und kommentiert.
 

In einer derart von vermeintlichem Unheil verfolgten Welt, die sich aber dennoch für die beste aller Welten hält, darf der Bericht eines Besuchs der Programmdirektorin Gabriele Holzer in der „Social-Media-Redaktion“ nicht fehlen. Frau Holzer hat bekanntlich bei der Amputation von hr2-kultur federführend mitgewirkt. Wenn ich am Morgen die unvermittelt auf mich einströmende Musik aus der Klassik-Konserve höre, die ohne Hintergrundinformationen zu den Kompositionen läuft (andernfalls ginge das verordnete Einsparkonzept nicht auf), werde ich an die immer deutlicher werdende demonstrative Infragestellung der Kultur durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk erinnert. Somit war auch nicht zu erwarten, dass die hr-Nutzer über das „Social-Media“-Angebot des Senders aufgeklärt wurden.
 

Hinzuweisen wäre beispielsweise darauf, dass der Begriff Social-Media aus dem US-Amerikanischen kommt und kommerzielle Internetplattformen meint, vorrangig Facebook samt Tochterfirmen Instagram und WhatsApp sowie Google und YouTube. Diese lassen sich ihre technischen Leistungen mit der Privatsphäre ihrer Nutzer bezahlen. Die personenbezogenen Daten werden an die Konsumgüterindustrie, den Versandhandel oder an Versicherungen verkauft. Aber auch an politische Gruppierungen, vor allem an solche im rechtsextremistischen Sektor. Damit erzielen Facebook & Co. Milliardenumsätze.
 

Die digitalisierten Lebens- und Konsumgewohnheiten derer, die sich freiwillig ausspähen lassen, werden selten bis gar nicht gelöscht. Auf diese Weise wird die uralte Hoffnung der Menschheit auf ein ewiges Leben in allerdings unzureichender Weise erfüllt. Denn Daten haben kein Bewusstsein, sie leben nicht. Aber die Kategorisierung der Vorfahren könnte bis ins siebte Glied und noch darüber hinaus fortgesetzt werden (um eine biblische Drohung aufzugreifen). Der hr-Nutzer wird darüber im Unklaren gelassen.

 

Bereits vor der Umfrage zum Ausfall von Facebook sind mir die Logos dieser „Dienste“ aufgefallen, die der hr auf seinen Internetseiten veröffentlicht. Bislang war ich der Meinung, dass es sich dabei um eine sozialpädagogische Maßnahme handelt, mit der sogenannte Randsiedler in die Gemeinschaft der Rundfunknutzer integriert werden sollen, um sie dann Schritt für Schritt an den Umgang mit seriösen Meldungen und Kommentaren heranzuführen.

 

Ich selbst habe keinen Umgang mit solchen Bedauernswerten, welche die Geschäftsidee, die sich hinter Facebook & Co. verbirgt, nicht erfassen können oder es nicht wollen. Ja, ich kenne tatsächlich niemanden aus meinem ziemlich großen Bekannten-, Kollegen- und Freundeskreis, alles medienaffine Frauen und Männer sämtlicher Altersstufen, der dort jemals einen Account eröffnet hätte.
 

Unsere Binnenkommunikation läuft ab über E-Mails, Telefonate, SMS und nicht zuletzt über persönliche Treffen. Wir informieren uns im seriösen Teil des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Zusätzlich lesen wir Tageszeitungen sowie Kultur- und Politikzeitschriften. Nicht zu vergessen Homepages aus dem Non-Profit-Bereich, die aufklärerische Basisarbeit leisten (z.B. weltexpresso.de, trommeln-im-elfenbeinturm.de, bruecke-unter-dem-main.de). Sollte uns dabei etwas von Relevanz entgangen sein?
 

Wobei ich darauf hinweisen möchte, dass uns die Themen, welche von AfD & Konsorten, den typischen Facebook-Anwendern, gesetzt werden, nicht interessieren. Ebenso nicht die Gender-Propaganda des Feministischen Staats, die wesensverwandt ist mit derjenigen der Neuen Rechten. Oder die Softporno-Connaisseurs, die sich auf Instagram tummeln.

 

Wer also könnte im Hessischen Rundfunk für Aufklärung und für eine Wende sorgen? Die sich anpassenden Schreibmägde und Schreibknechte scheinen zu einer politischen Analyse nicht fähig zu sein. Chefredaktion, Programmdirektion und Intendanz hingegen richten sich nach der direkten oder indirekten Erwartung der Politik. Seit Roland Koch 1999 hessischer Ministerpräsident wurde, lässt sich eine Konversion des Hessischen Rundfunks feststellen. Aus einem bildungsbürgerlichen Selbstverständnis wurde sehr rasch ein schwarz-diffuses. Die Grünen haben als Koalitionspartner diese Umwertung sogar noch verstärkt.
 

Fairerweise ist festzuhalten, dass es im hr auch Redaktionen gibt, die nach journalistischen Kriterien arbeiten, also kompetent sind und sich ihre Unabhängigkeit bewahrt haben. Ich denke beispielsweise an die Wissenschaftsredaktionen, speziell die für Wetter, Natur und Börse und nicht zuletzt an hr-info. Auch im Kulturbereich sind noch Relikte früherer Kompetenz erkennbar (die Beiträge von Karl Corino und seinem Stab waren legendär!). Doch das wird nach meiner Meinung nicht ausreichen, um den gewollten publizistischen Niedergang aufzuhalten.

 

Allzu gern würde ich an einem hoffentlich nicht fernen Tag hr einschalten und mit dem leicht veränderten Song von Leinemann aus dem Jahr 1980 (deutschsprachige Version von „Midnite Dynamos“) begrüßt werden:

 

„Hier ist das Volldampfradio
Country, Politik und Rock'n'Roll
Hier ist das Volldampfradio, ohne Facebook, Instagram und Co.
Hier ist das Volldampfradio
Mit Kultur und Fats Domino
Hier ist das Volldampf-, hier ist das Volldampf-, Volldampfradio.“

 

Klaus Philipp Mertens

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