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Ausgespielt

Bekannte Schauspieler kritisieren die Corona-Politik in vermeintlich ironischen Video-Clips

(c) SWR

Beifall löste die Aktion „#allesdichtmachen“ u.a. bei Hans-Georg Maaßen aus, dem ehemaligen Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz. Der musste sich vor drei Jahren den Vorwurf gefallen lassen, mögliche Verstrickungen von V-Leuten in die NSU-Morde nicht aufgeklärt und Sympathien für Rechtsradikale, insbesondere für die AfD, gezeigt zu haben. Darum war er im November 2018 endgültig für ein hohes Amt untragbar und in den einstweiligen Ruhestand entlassen geworden.
In einer solchen Nachbarschaft darf die AfD-Bundestagsabgeordnete Joana Cotar nicht fehlen. Sie twitterte: "Das ist intelligenter Protest." Sie feiere Jan Josef Liefers. Man darf darauf gespannt sein, ob der Angebetete diese Liebe erwidert.
 

Ohnehin müssen sich die beteiligten Schauspieler die Frage gefallen lassen, ob ihre Talente lediglich dazu ausreichen, Texte anderer aufzusagen und durch Bewegungen und Gesten zu verstärken. Oder ob sie auch zu verstehenden Interpretationen mit innerer Beteiligung in der Lage sind. Also fähig zu einer intellektuellen Transferleistung. Die Nachfrage geht (um nur einige besonders Prominente zu nennen) an Ulrich Tukur, Volker Bruch, Ulrike Folkerts, Richy Müller oder Jan Josef Liefers. Sie haben mit insgesamt 53 Berufskollegen unter den Hashtags „#allesdichtmachen“, „#niewiederaufmachen“ und „#lockdownfürimmer“ mit ironisch-satirischen Clips auf den Plattformen Instagram und Youtube Stellung bezogen zur Corona-Politik der Bundesregierung. Begleitet wurde die Aktion auf Twitter. Dabei haben sie mangelnde Kenntnis der Sachverhalte, politischen Dilettantismus und ungenügende dramaturgische Begabung offenbart.
 

Für das Publikum der erwähnten Internetforen mag das ausreichen. Schließlich sind sie besonders beliebt bei Ignoranten aller Couleur, Rechtsextremisten und Päderasten (Letzteres wies am letzten Donnerstag das Magazin „Panorama“ nach). Doch die Künstler, die möglicherweise ihren jeweiligen darstellerischen Höhepunkt längst überschritten haben, werden nicht zuletzt von öffentlich-rechtlichen Sendern engagiert. Das sollte ein Verantwortungsbewusstsein für das Allgemeinwohl voraussetzen.
 

Ulrich Tukur etwa forderte in Verkennung der Realitäten von der Regierung: „Schließen Sie ausnahmslos jede menschliche Wirkungsstätte und jeden Handelsplatz. Nicht nur Theater, Cafés, Schulen, Fabriken, Buchhandlungen, Knopfläden nein, auch alle Lebensmittelläden, Wochenmärkte und vor allem auch all die Supermärkte. Sind wir erst am Leibe und nicht nur an der Seele verhungert und allesamt mausetot, entziehen wir auch dem Virus und seiner hinterhältigen Mutantenbagage die Lebensgrundlage."

 

Jan Josef Liefers bedankt sich in seinem Clip „bei allen Medien unseres Landes, die seit über einem Jahr unermüdlich verantwortungsvoll und mit klarer Haltung dafür sorgen, dass der Alarm genau da bleibt, wo er hingehört, nämlich ganz, ganz oben."
Mittlerweile machte er einen Schritt zurück: „Eine da hinein orakelte, aufkeimende Nähe zu Querdenkern u.ä. weise ich glasklar zurück. Es gibt im aktuellen Spektrum des Bundestages auch keine Partei, der ich ferner stehe als der AfD. Weil wir gerade dabei sind, das gilt auch für Reichsbürger, Verschwörungstheoretiker, Corona-Ignoranten und Aluhüte. Punkt."
 

Heike Makatsch hingegen kündigte an, ihr Video löschen zu wollen. Sie distanziere sich eindeutig von rechtem Gedankengut, schrieb sie. „Ich erkenne die Gefahr, die von der Corona-Pandemie ausgeht und will niemals das Leid der Opfer und ihrer Angehörigen schmälern und sie womöglich dadurch verletzen. Sollte das geschehen sein, bitte ich um Verzeihung.“
 

Schauspieler Marcus Mittermeier kommentierte die Entgleisungen einiger seiner Kollegen so: "Niemand hat mich gefragt, ob ich bei »#allesdichtmachen« mitmachen will. Gott sei Dank!" Der Pianist Igor Levit machte seiner Empörung über so viel Unverstand Luft: Die stumpfeste Waffe gegen die Pandemie sei schlechter, bornierter Schrumpfsarkasmus, der letztendlich bloß fader Zynismus sei, der niemandem helfe, sondern nur spalte.

 

Christian Ulmen fühlte sich an den rechten Verschwörungserzähler Ken Jebsen erinnert: Dieser hätte „es nicht schöner sagen können". Nora Tschirner warf den Machern der Clips Handeln „aus Langeweile und Zynismus“ vor. Satiriker Jan Böhmermann kritisierte die unangebrachte Kritik mit einer Empfehlung. Das einzige Video, das man sich ansehen solle, wenn man Probleme mit Corona-Eindämmungsmaßnahmen habe, sei die ARD-Doku aus der Berliner Charité mit dem Titel "Station 43 – Sterben". Hans-Jochen Wagner zeigte sich peinlich berührt. Er verstehe sie nicht, schrieb der Schauspieler, der an Liefers gerichtet fragte: „Das kann doch nicht Dein Ernst sein."
 

Der Medienjournalist Stefan Niggemeier vom Onlinemagazin »uebermedien.de« diagnostizierte eine „eklige Ironie“ und sah einen „Dammbruch“, den man durchaus als bislang größten Erfolg der Querdenkerszene bewerten könne. Der EU-Abgeordnete Erik Marquardt (Grüne) kritisierte, er finde die Aktion inhaltlich und formal schlecht und sehe sie als Ausdruck einer zunehmenden Resignation von eigentlich Vernünftigen. Viele Twitter-Nutzer verwiesen in ihren Kommentaren auf die bislang mehr als 80.000 Toten im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie in Deutschland. Mit der Videoaktion würden die Opfer verhöhnt, ebenso die Maßnahmen, um weitere Tote zu verhindern.

 

Auch die Schauspielerin Meret Becker und ihr Kollege Ken Duken distanzierten sich von der Aktion, an der sie zunächst teilgenommen hatten. Kunst müsse Fragen stellen können, sagte Becker auf Instagram. "Aber diese Aktion ist nach hinten losgegangen." Sie werde das Video runternehmen lassen. „Und ich entschuldige mich dafür, dass das falsch verstanden werden konnte."

Duken schrieb auf Instagram, er distanziere sich von rechtem Gedankengut und rechten Ideologien. Die Gefahr, die von der Corona-Pandemie ausgehe, sei ihm mehr als bewusst. Er habe sich auch nicht über die Opfer oder ihre Angehörigen lustig machen wollen. "Ich befürworte sinnvolle Maßnahmen und eine Impfstrategie. Diese Aktion ist gründlich in die Hose gegangen. Ich entschuldige mich für jegliche Missverständnisse."

 

Der Hamburger Virologe Jonas Schmidt-Chanasit (Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin) lobte die Aktion als ein Meisterwerk, das sehr nachdenklich mache. Möglicherweise hat der Forscher einen elementaren Bestandteil aller wissenschaftlichen Arbeit nicht verstanden. Nämlich, dass Wissenschaft eben Wissen schafft. Und nicht zur Simplifizierung des Lebens beitragen darf.
 

Völlig falsch reagierte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Er machte den Initiatoren ein Gesprächsangebot. Es sind diese falschen Rücksichtnahmen, die zu Irritationen in der Bevölkerung wesentlich beigetragen haben. Denn ab einem bestimmbaren Punkt erweisen sich Diskussionen als kontraproduktiv. Weil sie Vorurteile unterstützen und Fortschritte in der Sache verhindern.

K.P.M. (c)
 

Nachtrag

Als ich den Artikel am 23. April veröffentlichte, wusste ich noch nicht sehr viel Konkretes über die Hintermänner und Hinterfrauen der Aktion „#allesdichtmachen“. Aber die Informationen, die mich am folgenden und übernächsten Tag erreichten, legen den Schluss nahe, dass der Beifall von rechts nicht zufällig kam, sondern dass er beabsichtig war und es sich um eine geplante Inszenierung handelte, exakt für das Publikum, das schließlich applaudierte.
Zunächst hatte ich in einer Art Vorahnung noch geschrieben: „Ja, dass sie [die Schauspieler] drehbuchfixiert sind und nicht mehr darauf achten, wer das Drehbuch verfasst hat.“
 

Mittlerweile ist klar, wer dieses Drehbuch erstellt hat. Nämlich „Tatort“-Regisseur Dietrich Brüggemann. Unter dem Pseudonym Noisy Nancy hat er bereits einen Song veröffentlicht, der zu den Hymnen der „Querdenker“-Querulanten zählt: „Steck euch euren Polizeistaat in den Arsch“. Muss der auch als Satire verstanden werden?
 

In der Giftküche Brüggemanns entstanden die meisten der Texte, die von den Schauspielern nach den Regeln ihrer Kunst aufgesagt wurden. Manuskripte, die von einigen der angefragten Darstellern selbst beigesteuert wurden und die nicht in die beabsichtigte Zielrichtung passten, wurden verworfen. So viel zu der von den Akteuren beklagten Gefahr, dass die Meinungsfreiheit bedroht sei. Sie nennen das „verengte Diskussionsräume“.
Doch so eng scheinen diese Räume nicht zu sein, wenn man sich den Umfang des widerlichen Unsinns in Erinnerung ruft, der unter „#allesdichtmachen“ die Welt der schlichten Gemüter erregte.