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Lyrik in den Zeiten von Corona

Gedichte von Ernst Hilmer

Ich bin jung

Ich bin jung
und alt – das sind die andern
das zu sagen war tabu

Wohlgefällig mit dir selbst
und großes Mitleid in der Mine:
Bist wohl auch nicht mehr der Jüngste
und hast ein hohes Risiko

Lass dir sagen junger Freund:
mein Risiko das weiß ich selbst
doch gefährdet ist in dieser Krise
dein Taktgefühl – es stirbt
im Nu.

© Ernst Hilmer
(April 2020)

 

 

 

Quarantäne im Frühling


Forsythiengelb, Japankirschenrosa
wetteifern mit dem Sanddornweiß
doch niemand hebt den Blick

Freunde gehn sich aus dem Weg
Kein herzlich Drücken, keinen Kuss
für Internierte kein Zurück.

Acrylgrün leuchtet uns der Rasen
den wir nicht betreten
Wie frisch gebohnert der Asphalt

Persil-Weiß akkurat gezogene Linien
niemand wird sie heute übertreten -
die letzten Schritte sind verhallt.

Gut getrimmt warn unsre Glieder
selbstoptimiert selbst die Organe
und von allem Mythos längst befreit.

Doch dann geschah das Unfassbare
für alle Unvorhersehbare:
Die Menschen in den Metropolen
trotz Ausgangssperren, Polizeikontrollen
fieberhafter Arbeit aller Virologen
sind ausgeliefert ohne Gnade
dem tödlich` Wettlauf mit der Zeit.

Heute Morgen:
Zahl der Infizierten angestiegen: 50 %
Todesfälle: 800
Gibt es noch ein Morgen?

Am 22. März 2020

© Ernst Hilmer

 

 

 

Ringelblume, mitten im Februar

 

Mitten im Februar
wenn niemand dich erwartet
unterm kahlen Apfelbaum
dem du nicht angehörst
unterm grauen Himmel
ein Fleckchen leuchtendes Gelb

Der Sonne Ebenbild
denke ich
eingefangen in der Camara Obscura
in noch freundlicheren Zeiten.

Ringelblume,
nicht achtend der Stürme
bist du gekommen

Zu heilen
wer berichtete dir
von den Verletzungen

Des noch währenden Winters?
bist du gekommen
zu bleiben?

 

© Ernst Hilmer
(Februar 2020)

 

Pfauenauge

flattere ohne Ziel und ohne Schwere,
lass schaukeln dich im Sommerwind.
mit weichem Schlag der Flügel
lass dich nieder wie im Spiele
trunken in den Duft der Blütenmeere.

Leichtfuß, der du ohne Mundschutz fliegst,
trinkst in der Pest aus tausend Kelche
und kein Gebot des Abstands kümmert dich.
Zart und verletzlich wie du bist
Täuscht du den Feind mit Trug und List.

Erinnerst dich
wie`st früher
vege-tiert
im Wohlstand
nur geschwelgt
gehaust
geraupt
gefuttert
und verdaut
das Dunkle
nur gesucht
das Sonnenlicht
gescheut?

Bevor die Welt ward öd und kahl gefressen
sagst du stopp - und gingst in Quarantäne
drei Wochen Fasten, Sammlung, In-sich-gehen,
entpuppst, entfaltest und erschaffst dich neu
auf wunderbare Weise,  in ein göttlich Wesen.

Falter lieb, bedenk, dein wahrer Feind der liebt das Geld,
der Mensch, den schreckt dein Pfauenauge nicht,
und kein Mäzen bezahlt für deine Sonnenflügelkunst.
Im Anthropozän die stählern Raupen dulden nicht
deine Nesselbrut auf leerem unbestellten Feld.


© Ernst Hilmer, Mai 2020
 

Ernst Hilmer ist pensionierter Pädagoge, lebt in Griesheim bei Darmstadt und veröffentlicht regelmäßig Gedichte und Prosatexte.