Das kritische Tagebuch

„Möge die Macht mit Dir sein!“

Die Grünen am Scheideweg

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Die Kulisse, vor der sich Annalena Baerbrock und Robert Habeck auf dem virtuellen Parteitag der Grünen bewegten, war an Spießigkeit nicht zu überbieten. Ein Banausen-Wohnzimmer, das Einrichtungsscheußlichkeiten aus sieben Jahrzehnten vereinigte und ohne ein einziges Buch auskam. Der Prototyp eines grünen Krähwinkels, das selbst bei der TV-Übertragung noch den Duft von Räucherstäbchen verströmte. Wahrlich keine politische Arena und völlig ungeeignet für Botschaften, welche die Welt verändern könnten.
Robert Habecks Kampfansage wirkte denn auch blutleer und kraftlos, auch wenn er sich große Mühe gab, das Zwergen-Ensemble mit Gigantismus zu füllen. Und es klang nach Realsatire, als er verkündete: „Optimistisch arbeiten wir an Lösungen und kämpfen um die Macht. Macht, das ist in unserem Kosmos oft ein Igitt-Begriff gewesen, aber Macht kommt ja von 'machen'. Na ja, der Schriftsteller Habeck sollte eigentlich wissen, dass Macht vor allem ein Synonym für Herrschaft ist. Oder geht es ihm und den Seinen um die Befreiung von jedweder Herrschaft?
 

Kaum hatte er das Macht-Wort ausgesprochen, assoziierte ich unwillkürlich „Möge die Macht mit Dir sein!“, das berühmte Mantra aus „Star Wars“. Habeck in der Rolle des Luke Skywalker? Annalena Baerbrock in der von Prinzessin Leia? Und allüberall im Land die grünen Jedi-Ritter an ihren flimmernden Monitoren, die so gar nichts mit blitzenden Lichtschwertern zu tun hatten; geschweige denn mit Geistesblitzen, die Zukunft der Menschheit betreffend. Und wo steckte Darth Vader, der Erzbösewicht, der das Imperium verkörpern könnte, gegen das die neu motivierten Grünen antreten wollen oder vor dem sie in bewährtem Opportunismus (siehe Hessen) zurückweichen sollen? Ja, wer ist denn überhaupt der politische Gegner?
 

Annalena „Leia“ Baerbock hat darauf eine Antwort, die aus dem Orbit gefallen zu sein scheint: „Entwickeln wir unsere Marktwirtschaft weiter zu einer ökologischen Marktwirtschaft.“ Aha, das ist eine Entlarvung der besonderen Art, die offenherzige Erläuterung des Parteitagsmottos „Jede Zeit hat ihre Farbe. Diese Zeit hat unsere Farbe“. Konkret: Gestern war grün, heute ist schwarz-grün (angesagt).
Die Vorsitzende ist anscheinend der Meinung, dass soziale Marktwirtschaft herrscht. Zu der jeder die gleichen Zugangsvoraussetzungen hat und sich zwischen Angebot und Nachfrage ein ausgewogener Gütertausch vollzieht. Ohne jeglichen Anflug von Konsumterror. Ohne eine Warenproduktion, die keine falschen Bedürfnisse weckt, welche die natürlichen Ressourcen nicht ausbeutet und sich weder auf heimische Tariffreiheit, Leiharbeit und 450-Euro-Jobs noch auswärts auf Sklavenlöhne stützt? Ökologisch soll sie sein, das könnte auch bedeuten, dass lediglich die Farbe gewechselt wird. Sich aber nichts ändern wird an der Verfügung über Ressourcen, Produktionsmittel und Finanzen. Sodass alles beim Alten bliebe!?.
 

Nicht ganz. Denn Prinzessin Annalena Leia sagte auch: „Veränderung, Innovation und Bewegung sind nicht für alle eine Verheißung, sondern für viele auch eine Zumutung. Wir müssen die Gewinner des Wandels genauso sehen wie die potenziellen Verlierer." Sie sprach das erwartungsgemäß mit modernem Gender-Slang aus – mit vorgeblich gerechter Sprache, aber mit ungerechter Perspektive. Und verharmloste dadurch das Wesentliche. Nämlich, dass die Grünen die Loser zwar sehen, aber an deren Schicksal nichts ändern wollen. Sie stellen zwar die ökologische Frage im Sinn eines Farbenwechsels. Aber ein neues System, eine gerechtere Gesellschaft, halten sie nicht für notwendig; sie halten es noch nicht einmal für geboten, eine solche zu fordern. Das neue Parteiprogramm heißt dann auch kryptisch „Veränderung schafft Halt". Tatsächlichen Halt für jeden würde ein soziales Netz schaffen, durch das keiner hindurchfiele. Ebenso eine Bildungspolitik, die jeden zur gesellschaftlichen Teilhabe befähigte. Ökologie bedeutet bekanntlich „Lehre vom Haushalt“, womit das gesunde Wechselverhältnis von Mensch und natürlicher Umwelt gemeint ist. Da stellt sich unabweisbar die Frage, wem das Haus gehört, das man erhalten will - und auch der Grund und der Boden? Doch zu solch naheliegendem Nachdenken habe ich nichts vernommen. Auch nicht dazu, ob ein Klimawandel zusammen mit den alten Klimaverbrechern durchgesetzt werden kann. Ich vermute nicht.
 

Und exakt diese Vorbehalte äußern auch andere, die bislang eher zu den Stützen der Grünen zählen. Vor allem der sich bewegende Teil der jungen Menschen, für den eine lebenswerte Zukunft im ganz persönlichen Interesse liegt. Bei „Fridays for Future“ deklarieren sie bereits seit vielen Monaten, was sie von der Politik erwarten. Und nicht zuletzt von den Grünen. Deren hessischer Landesverband zeigt in diesen Wochen, was ihm seine Schwüre von gestern heute noch wert sind. Beispielsweise beim Ausbau des Frankfurter Flughafens, der im Augenblick durch die Folgen von Corona ausgebremst wird, aber leider nicht von grüner Vernunft. Oder beim Ausbau der Autobahn 49, für die ein gesunder Wald geopfert und die Forderungen nach Verkehrswende und Klimaschutz ad absurdum geführt wird.
 

Nachzufragen ist auch, wo und wem die nicht mehr grundsätzlich infrage gestellten Auslandseinsätze der Bundeswehr Halt geben sollen. Gerade das Militärische darf nicht zur Selbstverständlichkeit werden. Hier ist Haltung gefragt, nichts anderes. Vor allem wäre der dümmliche Spruch von der „Übernahme von Verantwortung“ endlich als Phrase des Jahrhunderts zu geißeln. Im Alltag sind Verantwortung und Zivilcourage notwendig. Darin liegt die wahre Machtfrage.

 

K.P.M.