Die Politik der Grünen erscheint dem aufmerksamen Beobachter häufig als disparat. In der Bundesregierung verkörpern Annalena Baerbock und Robert Habeck eine progressive Linie mit sozialer Färbung. Zumindest programmatisch halten sie am umfassenden Umweltschutz fest, warnen in der Energiefrage eindringlich vor dem Festhalten an fossilen Trägern und sind vehemente Gegner neuer Kernkraftwerke. Ausgebremst werden sie von einer orientierungslos erscheinenden SPD und einer radikal-neoliberalen FDP.
Während der zehn Jahre dauernden schwarz-grünen Koalition in Hessen schienen sie ökologischen Forderungen abgeschworen zu haben. Sie plädierten für Radwege und sahen im Gendern einen Weg zur Geschlechtergerechtigkeit, klammerten aber die ökonomische Abhängigkeit vieler Frauen völlig aus. In Nordrhein-Westfalen gebärden sie sich selbst beim Braunkohleabbau als Gefolgsleute der dominierenden CDU. In Baden-Württemberg regiert der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann so, als sei er direkt aus der CDU hervorgegangen. Und wer die Schröder-Fischer-Ära miterlebt hat, erinnert sich noch an den grünen Beifall für die „Agenda 2010“.
Wie ist eine Partei einzuschätzen, die dann, wenn es ernst wird, also bei einer Regierungsbeteiligung, anscheinend ihre Kernüberzeugungen preisgibt?
Bei ihrer Parteigründung 1980 speisten sich die Grünen aus drei hauptsächlichen Quellen. Erstens aus Umweltschützern und Kernkraftgegnern vom linken Rad der SPD sowie (nord- und südwestdeutschen) Umweltschutzlisten. Zweitens aus Wertkonservativen mit hoher Sensibilität für ökologische Fragen, allen voran der CDU-Politiker Herbert Gruhl und seine 1978 gegründete Partei „Grüne Aktion Zukunft GAZ“. Drittens aus Nationalkonservativen mit deutlich nationalsozialistischen Einschlägen wie die „Aktionsgemeinschaft unabhängiger Deutscher AUD“, die im Gefolge von Personen und Aktionen der damals nur noch rudimentär existierenden Neutralitätsgruppen („Dritter Weg“) auftrat.
Bereits vor der Gründung gab es ab 1977 bei Landtags- und Kommunalwahlen Listenverbindungen zwischen regionalen Umweltschützern und der GAZ sowie der AUD, die in einigen Regionen relativ erfolgreich waren. Während ein überwiegender Teil der Mitglieder der „grünen Listen“ und der GAZ allmählich zu den noch nicht offiziell konstituierten Grünen wechselten, löste sich im Januar 1980 die AUD zu Gunsten der neuen Partei vollständig auf. 90 Prozent der Mitglieder erwarben innerhalb kürzester Frist das grüne Parteibuch. Das betraf vor allem die Landesverbände Baden – Württemberg und Bayern. Der ehemalige AUD-Vorsitzende August Haußleiter wurde einer der drei Bundesvorsitzenden und avancierte zum Chefredakteur des Parteiblatts „Die Grünen“. Von seinem Parteiamt musste Haußleiter zwar wenige Monate später wieder zurücktreten, denn seine Rollen in der NSDAP-Publizistik und nach dem Zweiten Weltkrieg in der rechten Sammlung „Deutsche Gemeinschaft“ ließen sich nicht länger kleinreden. Aber der Einfluss von rechtsnationaler, einer Blut und Boden-Ideologie verhafteten Ökologie war und blieb im Südwesten und Süden immens. Dort waren und sind die Grünen eher anthroposophisch als antikapitalistisch. Politiker wie Boris Palmer sind dort eher die Regel als die Ausnahme.
Bundesweit bekannt wurde auch der Öko-Bauer Baldur Springmann, der von der AUD zu den Grünen gewechselt war, aber nur ein halbes Jahr dort blieb. Dennoch wurde er von der Öffentlichkeit als ein typisch Grüner wahrgenommen, vor allem wegen seines proklamierten bio-dynamischen Landbaus. Daran änderte auch sein offener Rassismus und Antisemitismus nichts. Zudem bekannte er sich offen als Holocaust-Leugner.
Die Partei hat bis heute die Ära Haußleiter, Springmann und die Nähe zur Anthroposophie nicht aufgearbeitet.
Das Verschweigen und Beschönigen faschistischer Entgleisungen gab und gibt jenen Auftrieb, welche Ökologie durch eine Form des Sozialdarwinismus ersetzen wollen. Besonders spürbar wurde das beim einstigen öko-libertären Flügel der Partei innerhalb des ersten Jahrzehnts nach der Parteigründung, der beispielsweise durch Winfried Kretschmann repräsentiert wurde und noch wird. Faktisch wurde dieser Kreis ersetzt durch die sogenannten Realos. Sie plädieren für eine „ökologische Marktwirtschaft“ und sind Partner in schwarz-grüne Koalitionen. In Frankfurt am Main dominieren sie den Magistrat, in Hessen waren bis zum Herbst 2023 über zehn Jahre Regierungspartner der CDU.
Klaus Philipp Mertens