Das kritische Tagebuch

Im Land der Eichen und der Linden…lässt sich kein linker Grüner finden

Die Grünen als künftiger Partner der "Ampel"_Koalition

„Alte Kameraden“ der Grünen: August Haußleiter und Joseph Beuys © AUD- Aktionsgemeinschaft unabhängiger Deutscher, 1976

Hat es denn wirklich gut informierte und wachsame Staatsbürger überrascht, dass die Grünen bei den Koalitionsverhandlungen elementare Bestandteile ihres Partei- und Wahlprogramms verleugnet haben? Und es dürfte eigentlich keine Überraschung sein, dass in der derzeitigen Führung der Grünen, einschließlich der künftigen grünen Regierungsmitglieder, keine Linken vertreten sind. Heinrich Heines aus anderem historischen Zusammenhang zitierter und leicht abgewandelter Vers trifft die Realität des Jahres 2021.
 

Eva Quistorp, eine Grüne der ersten Stunde, enge Freundin von Petra Kelly und von 1986 bis 1988 Mitglied des Bundesvorstandes, verurteilte bereits während ihrer Amtszeit das ungehemmte Schachern um Macht, um Posten, um Karrieren bei den vermeintlich Alternativen. Also Verhaltensweisen, die man vorher zu Recht den politischen Konkurrenten vorgeworfen hatte. Doch anstatt die herrschenden Verhältnisse zu ändern, passte sich die neue Partei diesen immer mehr an.
 

Die Umweltschutzpartei, die ursprünglich ein Sammelbecken für kritische Bürger mit sehr unterschiedlichen Motiven für ökologisches Engagement war, geriet im Verlauf ihrer nunmehr über 40-jährigen Geschichte zu einem Prototyp für politische Beliebigkeit. In den grün-alternativen Listen, die sich in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre im Umfeld geplanter bzw. bereits gebauter Atomkraftwerke gebildet hatten (Wyhl, Brokdorf, Esenshamm), gehörte die Analyse des ursächlichen Zusammenhangs von Kapital, Umweltzerstörung, Konsumfetischismus und neokolonialer Ausbeutung zum Grundverständnis. Allerdings vollzog sich bereits bei der Parteigründung am 12. und 13. Januar 1980 in Karlsruhe ein sichtbarer Wandel. Neben antikapitalistischen Spontis und linken SPD-Abweichlern wurde die „Grüne Aktion Zukunft“ des ehemaligen CDU-Politikers Herbert Gruhl zu einer wesentlichen Quelle der neuen Partei. Letztere erwies sich auch als Türöffner für sozialdarwinistische und antisolidarische Positionen von Anthroposophen und Esoterikern. Dort herrschte ein Verständnis von ökologischer Landwirtschaft vor, das mit dem Blut-und-Boden-Kult der Nazis verwandt war. Mit dem nahezu geschlossenen Beitritt der rechtsnationalen „Aktionsgemeinschaft unabhängiger Deutscher AUD“ erhielten die Grünen sogar direkten Zufluss von Rechtsaußen. Auf der zweiten Bundesversammlung am 21. und 23. März 1980 in Saarbrücken avancierte der ehemalige AUD-Vorsitzende August Haußleiter, dessen Weg vom Nationalismus des NS-Staats hin zum Umweltschutz verlaufen war, für drei Monate zu einem der Bundessprecher und für längere Zeit zum Chefredakteur der Parteizeitung. Die schwarz-braunen Einflüsse machen sich bis heute insbesondere in Baden-Württemberg und Bayern bemerkbar. In Schleswig-Holstein hielt lange ein anderer Alt-Nazi die national-ökologische Wacht, nämlich der Öko-Bauer Baldur Springmann.
 

Bei dem vorangegangenen Abschnitt beziehe ich mich auf „DER SPIEGEL“ Nr. 27/1980, der sich aus Anlass der dritten Bundesversammlung der Grünen (21. und 22. Juni 1980 in Dortmund) mit der AUD und deren Vorgängerorganisation Deutsche Gemeinschaft beschäftigt hat und sich dabei auch auf eine Untersuchung von Richard Stöss beruft: »Vom Nationalismus zum Umweltschutz. Die Deutsche Gemeinschaft / Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher im Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland«, Westdeutscher Verlag, Opladen 1980.
 

Eine Partei mit derart gegenläufigen inneren Strömungen musste zwangsläufig zu einer politischen Gruppe ohne verbindliche Grundsätze und Programme werden und sich selbst entpolitisieren. Ihr Hauptziel war und ist die Regierungsbeteiligung, wann und wo auch immer. Ob mit SPD, CDU oder mit FDP bleibt letztlich bedeutungslos. Kosmetische Operationen lassen sich schließlich mit jedem Partner vereinbaren. Folglich haben die Grünen für jeden etwas im Angebot. Und können mit austauschbaren Personen wie Annalena Baerbock, Robert Habeck, Cem Özdemir oder Tarek Al Wazir aufwarten. Allesamt sind sie keine Rechten, selbst Boris Palmer dilettiert nur auf einer schwäbisch-evangelikal-konservativen Bühne. Aber sie sind Politiker ohne Eigenschaften im Sinn von Charakter und Tugend. Ihnen fehlt ein tiefes demokratisches Profil, sodass sie nur Gutgläubigen vertrauenswürdig erscheinen. So ist es kein Zufall, dass sich Robert Habeck und FDP-Chef Christian Lindner gut verstehen. Der eine ein Philosoph des Oberflächlichen, der andere ein Hedonist wie er im Buche steht. Letzterer erinnert mich stets an Drückerkolonnen, die Bewohner von Altenheimen mit aggressiven Sprüchen belästigen und ihnen Abos aufschwatzen.
 

Linke wie Christian Ströbele, Jürgen Trittin oder Anton Hofreiter scheinen ausgedient zu haben und taugen nur noch als Alibifiguren, um „Fridays for Future“ als naive Wahlhelfer bei der Stange zu halten.

 

Das „Kritische Tagebuch“ führt Klaus Philipp Mertens