Das kritische Tagebuch

Hamburg macht den ersten Schritt…

…um eine Covid-19-Katastrophe noch abzuwenden

Hamburg - Auf Übermut folgt die Notbremse (c) ndr

Die Corona-Infektionen steigen wieder exponentiell an. Das war die einhellige Botschaft von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, dem Vizepräsidenten des Robert Koch-Instituts Lars Schaade und dem SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach. Auf der Bundespressekonferenz am 19. März plädierten sie dafür, „Schritte rückwärts zu gehen“.
 

Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher zieht indes bereits die „Notbremse“, also jenes Instrument, das bei der letzten Runde von Bundeskanzlerin und Ministerpräsidenten als Notausgang aus dem gelockerten Lockdown beschlossen worden war. Vorausgesetzt, die Sieben-Tage-Inzidenz von 100 und mehr Ansteckungen pro 100.000 Einwohner verharrt drei Tage in Folge auf dieser Marke oder steigt sogar weiter an. Tschentscher sagte dazu: "Ich befürchte, dass sich die Lage weiter verschlechtert. Wir haben es mit einer sehr ansteckenden Virus-Variante zu tun." Deswegen gelten in Hamburg ab Samstag, dem 20. März, wieder die Regeln von vor dem 8. März.
Im Einzelhandel ist dann statt "Click & Meet" nur noch "Click & Collect" (Abholung bestellter Ware) möglich. Private Kontakte müssen sich wieder auf eine Person außerhalb des eigenen Hausstandes beschränken, wobei Kinder bis zum vollendeten 14. Lebensjahr nicht mitgezählt werden. Soweit Schulen bereits geöffnet wurden, sind sie einstweilen nicht betroffen. Der Sport im Freien soll angeleiteten Kindergruppen auch weiter möglich sein. Die zulässige Gruppengröße wird jedoch von 20 auf 10 Kinder verringert.
 

Laut Minister Jens Spahn stehe Deutschland vor "ziemlich herausfordernden Wochen". Er hält angesichts des steigenden Inzidenzwerts ein teilweises Zurück bei den Corona-Öffnungen für möglich. Die dritte Corona-Welle könne nicht durch Impfungen gestoppt werden. Wörtlich sagte er: "Zur ehrlichen Lageanalyse gehört: Es gibt in Europa noch nicht genügend Impfstoff, um die dritte Welle allein durch Impfen zu stoppen." Selbst wenn die Lieferungen aus EU-Bestellungen zuverlässig einträfen, werde es noch Wochen dauern, bis die Risikogruppen vollständig geimpft seien, so der Gesundheitsminister. Er zeigte sich offen für die rasche Einbeziehung von Hausärzten in die Impfkampagne, das solle möglichst noch vor Mitte April erfolgen.
 

Der Epidemiologe Karl Lauterbach konstatierte bei der Pressekonferenz, dass Deutschland am Beginn "einer fulminanten dritten Welle" stehe und sich in einer "sehr prekären Situation" befände. Angesichts der aktuellen Entwicklungen seien Mitte April ein Inzidenzwert von 200 und eine Überlastung der Intensivstationen zu erwarten. Und es müsse mit mehr Todesopfern gerechnet werden; betroffen sein könnten die 50- bis 80-Jährigen, aber auch jüngere. Darum sei nach seiner Einschätzung ein erneuter harter Lockdown unvermeidlich. Dieser müsse sofort erfolgen; ein späterer Zeitpunkt werde zu einer endlosen Fortsetzung der unbefriedigenden Situation aus Lockdown, Lockerung und erneutem Lockdown führen. Daneben seien Tests und Impfungen wichtige Gegenmittel. Es müsse so viele Erstimpfungen wie möglich geben, die bisherige Impfreihenfolge sollte aber eingehalten werden. Zwar könnten Tests allein das Wachstum nicht bremsen, zwei Tests pro Person und Woche in Betrieben und vor allem Schulen seien aber ein wichtiges Gegenmittel. Der SPD-Politiker betonte außerdem, Reisen seien "dringend zu vermeiden". Sie erhöhten die Gefahr, dass verstärkt weitere Mutationen nach Deutschland eingeschleppt würden. Rückkehrende müssten getestet werden. "Aus epidemiologischer Sicht macht es keinen Sinn zu warten", sagte er abschließend.
 

Auf Stimmen aus Bereichen der Wirtschaft und der FDP, welche die Abschaffung des Inzidenzwertes als "Maß aller Dinge" fordern, hatte Karl Lauterbach bereits vorher gekontert: "Schafft endlich die Thermometer ab. Dann ist der Klimawandel bewältigt! Die Lösung kann so nahe liegen...".
 

Lars Schaade, der Vizepräsident des Robert Koch-Instituts, sagte den Pressevertretern, es sei angesichts des exponentiellen Wachstums der Neuinfektionszahlen "sehr gut möglich", dass es zu Ostern eine Lage wie zu Weihnachten geben werde. Diese Entwicklung lasse sich aber abfedern. Er rief die Bürger dazu auf, die Abstands- und Hygieneregeln konsequent einzuhalten, die Ostertage nur im engsten Kreis zu verbringen und auf Reisen ins In- und Ausland zu verzichten.
 

Im Gegensatz zu Hamburg ist in Hessen von neuen Verschärfungen erst einmal keine Rede. Es hat den Anschein, dass sich Vertreter der Hessischen Wirtschaft durchgesetzt haben. So begrüßte der Hessische Industrie- und Handelskammertag (HIHK), dass es bei "Click&Meet" im Handel bleibe und weitere Schulöffnungen erstmal vom Tisch seien. Zuvor hatte die „Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW)“ allerdings die Umsetzung einer Notbremse für Schulen gefordert.
 

Angesichts der Diskussion über Osterurlaube hält der Essener Virologe Ulf Dittmer nicht nur Urlaub auf den Balearen für keine gute Idee, sondern rät generell von Reisen zu Ostern ab: "Virusverbreitung und Infektionszahlen haben etwas mit Mobilität zu tun. Und natürlich würde das die Mobilität erhöhen."
 

Die europäische Arzneimittelbehörde (EMA) hält an ihrer Empfehlung für den Impfstoff des britisch-schwedischen Herstellers AstraZeneca fest. Das Vakzin sei "sicher und wirksam", so EMA-Chefin Emer Cooke nach einer Sondersitzung der Behörde am Donnerstagnachmittag. Es gebe keine Hinweise darauf, dass von dem Impfstoff ein erhöhtes Risiko für Blutgerinnsel ausgehe. Die Vorteile des Vakzins würden die Risiken übersteigen.
 

Greifswalder Forscher haben offenbar die Ursache für die Thrombose-Fälle gefunden, die nach einer Impfung mit AstraZeneca sehr vereinzelt aufgetreten waren. Das Vakzin löst bei einigen Menschen anscheinend einen Abwehrmechanismus aus, der zu einer überhöhten Blutgerinnung führt mit der Folge einer Verstopfung in den Hirnaterien. Es gäbe einen Wirkstoff, den man Betroffenen mir großer Erfolgsaussicht verabreichen könne.

Das "Kritische Tagebuch" wird geführt von Klaus Philipp Mertens