Einzelartikel aus „https://bruecke-unter-dem-main.de - Frankfurter Netzzeitschrift“

Das kritische Tagebuch

Fromme Einfalt

Evangelische Jugend gegen „Sprachverbote“

 

Laut einer Meldung der Zeitschrift „Evangelisches Frankfurt und Offenbach“ vom 1.12.2024 hat sich die Evangelische Jugend in Hessen und Nassau gegen staatliche Vorschriften bei der Verwendung von „geschlechtergerechter Sprache“ ausgesprochen. In einer Stellungnahme kritisiert der Verband einen Erlass der hessischen Landesregierung, die das Gendern in der Verwaltung, in öffentlich-rechtlichen Institutionen und an staatlichen Schulen verbietet. Dies sei „zutiefst queer- und frauenfeindlich“ so die evangelische Jugend. „Menschen werden immer wieder neue Ideen haben, wie sie gerne sprechen und schreiben möchten und wie sie eine gerechtere Welt schaffen können.“

 

Es hat den Anschein, dass diese Jugendorganisation nicht von dieser Welt ist. Mir jedenfalls sind Sprachverbote nicht bekannt. Es gilt lediglich die Vorschrift des Verwaltungsverfahrensgesetzes, die Deutsch als Amtssprache festlegt (§ 23) und die durch den erwähnten Erlass bekräftigt wird. Das Gesetz trat am 1.1.1977 in Kraft, die letzten Änderungen am 1.1.2024. Als Deutsch gilt die in Schulen und Hochschulen gelehrte Sprache, die sich auf anerkannte Standardwerke stützt (z.B. „Peter Eisenberg, Grundriss der deutschen Grammatik“ und „Amtliches Regelwerk der deutschen Rechtschreibung“, Letzteres in der Fassung von 2024). Dieses Hochdeutsch ist gemäß einer internationalen Vereinbarung in deutschsprachigen Ländern sowie in solchen mit deutschsprachigen Minderheiten gültig. Hierzu zählen die Bundesrepublik Deutschland, die Republik Österreich, die Schweizerische Eidgenossenschaft, die autonome Provinz Bozen-Südtirol, die deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens und das Fürstentum Liechtenstein. Vom Großherzogtum Luxemburg, wo Deutsch neben Luxemburgisch und Französisch dritte Verkehrssprache ist, werden diese Sprachregeln ebenfalls anerkannt. Durch einheitliche Sprachregeln soll sichergestellt sein, dass amtliche Texte (Gesetze, Vorschriften sowie die gesamte Kommunikation) überall verstanden werden können, vorausgesetzt, die Bürger und Leser verfügen über die Kulturtechnik des verstehenden Lesens. 

 

Inoffizielle Sprachen, gemeinhin als Privatsprachen bezeichnet, sind erlaubt. Allerdings gestaltet sich die Kommunikation zwischen Hochsprache und Privatsprachen schlecht, weil sie zwangsläufig zu Missverständnissen führt. Auch die evangelische Kirche bedient sich einer Privatsprache, die auf der Akzeptanz von Glaubensaussagen beruht, ohne deren Inhalte eindeutig zu definieren. „Wir stellen unseren heutigen Gottesdienst unter das Wort Gottes aus dem Evangelium des Lukas. Ich lese das 2. Kapitel, Verse 1 bis 20“ – so oder ähnlich hört man es von den Kanzeln. Für Mitglieder der Kerngemeinde mag das verständlich sein. Für sogenannte Randsiedler oder für Neugierige ist es häufig ausgrenzend. Wenn man der Allensbach Studie von 2021 folgt, liegt unter anderem in der Sprachlosigkeit der Kirchen und der sich darin ausdrückenden Geringschätzung anderer ein gewichtiger Grund für den Exodus der Mitglieder.

 

Selbstbewusste Frauen, die von Ideologen der feministischen Sprachwissenschaft zu *innen, also zu Anhängseln, degradiert werden, sind zu Recht beleidigt und fühlen sich diskriminiert. Sie können keine Geschlechtergerechtigkeit erkennen und fühlen sich im sexusindifferenten Epikoinon wohl. Sie anerkennen aber auch die Doppelnennung, etwa in „Leserinnen und Leser“. Luise F. Pusch, eine der Avantgardistinnen der feministischen Linguistik, kritisiert diese Art des Genderns. Es führe zu einer Hierarchisierung zu Lasten von emanzipierten Frauen. Solche Stimmen werden offenbar von den Apologeten des schlichten Christentums nicht zur Kenntnis genommen. Geschweige denn, dass die Vereinfacher sich mit der auf Gottlob Frege zurückgehenden Sprachlogik beschäftigen würden. In der Genderformel „Leser*in“ ist die angehängte Silbe abhängig von der Existenz des vorangehenden Substantivs. Ohne das bestimmende Substantiv ist der Anhang nichtexistent.
Die Nazis genderten zwar nicht im heutigen Sinn des Begriffs. Aber eine Frau konnte nur als Mutter eine anerkannte Rolle in der Gesellschaft einnehmen. Der Mann machte sie zur Mutter und blieb das gesellschaftlich dominierende Geschlecht. „Mütter im Vaterland“ hieß diese Abhängigkeit, die als ehrenvolles und leichtes Joch empfunden werden sollte. 

 

Apropos Sprachverbot: Es gibt tatsächlich verbotene Wörter. Nämlich antisemitische, rassistische und völkische Begriffe aus der Nazi-Sprache. Nicht verboten, aber im gesellschaftlichen Diskurs unerwünscht sind die im Dritten Reich bewusst vorgenommenen Übernahmen aus dem Militärischen in die Alltagssprache. Beispielsweise Einsatz, leistungsmäßig, Mädel, querschießen oder Kulturschaffende (Letztere ein Element aus der Phrase „Arbeiter der Stirn und der Faust“). Die Journalisten Dolf Sternberger, Gerhard Storz und Wilhelm E. Süskind haben sie in ihrer Analyse „Aus dem Wörterbuch des Unmenschen“ aufgelistet und ausführlich erläutert. 
Die Sprachmanipulation durch den NS-Staat zeigt, dass die Weiterentwicklung der deutschen Sprache (und jeder anderen) nur in genuiner Weise, nämlich aus sich selbst heraus, erfolgen kann. Synthetische Eingriffe sind der Tod einer lebenden Sprache. Und das Ende einer humanen Gesellschaft.

 

Wer sich mit dem Menschen, der Welt des Menschen und nicht zuletzt mit dem reflektierenden Selbstverständnis des Menschen (u.a. bei der Frage nach Gott) auseinandersetzt, sollte alles, was ich angeführt habe, kennen und danach handeln. Auch die evangelische Jugend. 

 

Der preußische König Friedrich Wilhelm III. ordnete in seiner Eigenschaft als „Summus episcopus“ 1817 die Vereinigung der reformierten und lutherischen Gemeinden zu einer unierten Kirche in Preußen an. Sie wurde später, ab 1922, als „Evangelische Kirche der altpreußischen Union“ bezeichnet. Friedrich Wilhelm III. regte zudem an, dass die Pfarrer während ihres Theologiestudiums auch die Fächer Erkenntnistheorie und Logik belegen sollten. Doch soweit kam es leider nicht. Diese Defizite sind bis heute spürbar. 

 

Deswegen ist es notwendig, dass kritische Geister wie ich in der Kirche bleiben und sich zu Wort melden. Sollten auch wir austreten, würden wir erst recht nicht ernstgenommen. Und die Glaubenden (jene, die sich zunächst um Wissen bemühen und dann glauben) blieben ungeschützt einer verelendeten Theologie ausgeliefert. 

 

 

Klaus Philipp Mertens