Das kritische Tagebuch

Die Wahl fällt schwer

Teil 1: Armin Laschet – Kronprinz oder Abwickler?

Armin Laschet bei der Pressekonferenz zum Wahlkampfauftakt der CDU © WDR

Hat man als Bundesbürger, der bei Verstand ist, eigentlich eine Wahl am 26. September? Die Parteiprogramme erscheinen bei genauer Lektüre als substanzlos, rufen in allen wichtigen Punkten mehr Nachfragen als Antworten hervor und sollen offenbar die tatsächlichen Absichten, aber auch die politischen Handlungsmöglichkeiten, verschleiern.

Die CDU sieht Erneuerungsbedarf vorrangig bei der digitalen Technologie, redet die Existenzängste der mittleren Schichten klein und hofft auf die Regeln des Marktes, der es schon richten wird. Eines Marktes, der überwiegend von Monopolunternehmen bestimmt wird, die für die bekannten Desaster verantwortlich sind.
Die SPD ist krampfhaft bemüht, die strukturellen Probleme des Landes nicht als Folgen einer Politik darzustellen, für die sie seit 1998 (mit Ausnahme einer Legislaturperiode) mitverantwortlich ist.
Die Grünen reden vom Klima, scheuen sich aber davor, logische Schlüsse aus der längst sichtbaren katastrophalen Entwicklung zu ziehen und setzen auf systemimmanente Lösungen, die es objektiv nicht geben kann. Globuli sind weder in der Medizin noch in der Politik eine seriöse Alternative.
Die FDP erweist sich erneut als ein Wahlverein für Krämerseelen, der unkontrolliert Geschäfte zu Lasten anderer, meist schwächerer, machen will.
 

Die Linke ruft die soziale Wirklichkeit einschließlich weiterer Gefahrenpotentiale auf ihren Aushängen überzeugend in Erinnerung, verdeutlicht dabei aber auch, dass es ihr an Persönlichkeiten und Vernetzungen in der Bevölkerung mangelt, um an den herrschenden Verhältnissen etwas ändern zu können.
Die AfD protokolliert auf ihren Plakaten, dass sie die rechtmäßige Erbin aller ist, die an ihrer je eigenen Unfähigkeit gescheitert sind, und träumt unverhohlen von einer Nacht der langen Messer, ähnlich wie 1933 (Gauland: „Wir werden sie jagen.“).
 

Die Kanzlerkandidaten von CDU/CSU, SPD und Grünen weisen in seltener Übereinstimmung eine konturlose Blässe auf, die mehr aussagt als die unverbindlichen Programme, die sie verkörpern sollen. Ich versuche in drei Beiträgen, die Kandidatenliste abzuarbeiten, und mache zuerst Halt bei Armin Laschet.
 

 

Der Kanzlerkandidat von CDU/CSU ist mir sympathisch, weil er ein grammatikalisch korrektes und verständliches Deutsch spricht und folglich nicht gendert. Er versucht erst gar nicht, bei den Vertretern sexualisierter Ideologien zu landen. Mir gefällt auch, dass er fröhlich lachen kann und insgesamt eher unkompliziert wirkt.
 

Sein Weg durch die Institutionen war nicht gradlinig, aber trotz Rückschlägen ging es voran, auch wenn ihm der Hauch des Provinziellen anhaftet. Sein Aufstieg ist eine typisch christdemokratische Karriere, wie sie zumindest zwischen Aachen, Kevelaer und Krefeld häufiger vorkommt. Die einzelnen Stationen könnten sogar eine beschränkte Allgemeingültigkeit beanspruchen: Erst Messdiener, dann Junge Union, danach der katholische Kegelklub, in dem man sich die Parteipöstchen zuschiebt. Und dabei das Gespür für den richtigen Augenblick entwickelt, an dem sich etwas Entscheidendes bewegen lässt. Im Sauerland (wo sein Erzfeind Friedrich Merz Intrigen gegen ihn schmiedet) läuft das ähnlich, auch im Münsterland.

Allerdings war der Wahlerfolg der CDU von 2017 in NRW auf eine inhaltlich und personell ausgeblutete SPD und auf eine neu erstarkte FDP zurückzuführen. Die Grünen büßten 40 Prozent der früheren Stimmen ein und die Linke scheiterte knapp an der 5-Prozent-Hürde, hingegen kam die AfD ins Landesparlament. Man kann also feststellen, dass die politischen Gestirne es gut meinten mit Armin Laschet, der seither das Land eher unauffällig regiert. Seine widersprüchlichen Positionen in der Corona-Pandemie nähren jedoch zunehmend Zweifel an seinen Führungsqualitäten.

Darum dürfte die Nachfrage berechtigt sein, ob diese Erfahrungen ausreichen, um die Regierungsgeschäfte der gesamten Bundesrepublik führen zu können. Bedarf es nicht größerer Schuhe, um in Berlin souverän nach innen und außen aufzutreten?
 

Und für was steht der Kandidat eigentlich? Man vermisst Führung, man vermisst klare Stellungnahmen, man vermisst vor allen Dingen klare Programmpunkte. Womit wollen die Unionsparteien punkten, womit wollen sie die Wähler mobilisieren? Allen voran jene, die als potentielle Sympathisanten gelten und die Partei ihres Herzens auch wählen würden – gäbe es nicht Vorbehalte gegenüber einem Kanzler Armin Laschet.

 

Einige vom konservativen Flügel raten darum, Stimmung gegen die SPD zu machen. Aber mit der sitzt man (noch) in einer Regierung. Deren Tun und Unterlassen wird beiden Partnern positiv und negativ angelastet werden können. Vielleicht reicht es für ein kurzes Gewitter mit wenigen Blitzen und viel Donnergetöse. Doch solche Wetterkapriolen werden nicht darüber hinwegtäuschen können, dass andere, bereits seit langer Zeit unerledigte Aufgaben dringend nach Lösungen verlangen: Wie rettet man das Leben der ehemaligen Ortskräfte in Afghanistan? An welche Kriterien müssten künftige Auslandseinsätze der Bundeswehr geknüpft werden? Welche klimapolitischen Konsequenzen zieht man aus der Flutkatastrophe an Erft und Ahr? Und ist es nicht höchste Zeit, das Hin und Her bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie durch eine offensive Gesundheitsvorsorge zu ersetzten? Gegebenenfalls durch eine Impflicht? Ganz abgesehen von all dem, was sonst noch unter den Nägeln brennt. Etwa eine ökologische Verkehrspolitik oder gute Wohnungen, die auch für Normalbürger bezahlbar sind, sowie eine öffentliche Daseinsvorsorge, die nicht zum Spielball kommerzieller Interessen wird. Bei nahezu sämtlichen dieser Fragen spielt auch die unzureichende Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung eine große Rolle.

Armin Laschet hat sich dazu in den bisherigen Fernsehdiskussionen sehr zurückhaltend geäußert. Möglicherweise, weil er die Spaltung seiner Partei in diesen Fragen nicht weiter vorantreiben wollte. Aber je näher der Wahltermin kommt, umso mehr muss er Stellung beziehen. Muss er unter Beweis stellen, dass er das Zeug zu einem Staatsmann besitzt. Dabei darf er durchaus unaufgeregter und deutlich sachlicher sein als die parteiinterne Konkurrenz. Er muss nicht Söder imitieren.

 

Möglicherweise könnte sich Laschet ein Beispiel an Olaf Scholz nehmen. Dessen Probleme mit der eigenen Partei sind nicht kleiner. Dennoch wird nach außen auf Solidarität gesetzt. Obwohl die Erwartungen von Saskia Esken und Kevin Kühnert an eine sozialdemokratisch geführte Bundesregierung ähnlich eindeutig sein dürften wie die von Laschets Intrigantenstadl (Merz, Linnemann, Söder & Co.). Der bürgerlich-hanseatisch wirkende Scholz lässt alle Mutmaßungen über geheim operierende linke Frondeure an sich abprallen. Geduldig erklärt er, warum er Mitglied der SPD ist und welche Annehmlichkeiten die Wähler von einer SPD-Regierung erwarten dürfen. Er gibt das Bild von einem Politiker ab, der auf die Sache konzentriert und deswegen glaubwürdig ist. Ob die CDU-Landesfürsten Armin Laschet die Möglichkeit einräumen, sich in gleicher Weise zu präsentieren, steht dahin.


"Das kritische Tagebuch" wird geführt von Klaus Philipp Mertens