Das kritische Tagebuch

Die LINKE im Spannungsfeld interner Auseinandersetzungen

Neustes Beispiel: Die Wahl des Bundespräsidenten. Wird Gerhard Trabert instrumentalisiert?

Der Kandidat der LINKEN für das Amt des Bundespräsidenten © Gerhard Trabert

Die LINKE tritt bei der Wahl des Bundespräsidenten mit einem eigenen Kandidaten an. Das klingt angesichts der Mehrheitsverhältnisse und eingedenk des Umstands, dass mit einer Wiederwahl von Frank-Walter Steinmeier die Demokratie sicherlich nicht bedroht sein würde, nach einer Trotzkopf-Strategie. Oder nach einer Lust am eigenen Untergang. Ich kenne sehr viele nachdenkliche Staatsbürger, die sich darauf nur einen Reim machen können. Nämlich dass sich die Fraktionsvorsitzenden Amira Mohamed Ali und Dietmar Bartsch sowie die Co-Parteivorsitzende Janine Wissler als endgültige Totengräber einer Partei verstehen, die ihre Zukunft hinter sich hat. Und welche die meisten Hoffnungen, die bei ihrer Gründung aufkamen, nicht erfüllen konnte.
 

Mittlerweile erinnert mich nahezu jedes Statement der Parteiführung an ein Gedicht von Kurt Tucholsky, dessen letzte Zeilen lauten:
„Ihr seid um die Frucht eures Leidens gebracht. / Das macht: Ihr konntet euch nicht befrei‘n / von dem Feind aus den eigenen Reih‘n.“
 

Und die LINKE erweckt sogar in manchen ihrer laienhaft formulierten Forderungen den Eindruck, sie stünde an der Seite von Corona-Leugnern und Impfgegnern. Zu allem Überfluss bedient sie sich dabei einer ideologischen Sprache, die durch Beschönigen und Verschweigen gekennzeichnet ist, sie gendert.
 

Man kann den Mainzer Sozialmediziner Prof. Dr. Gerhard Trabert bereits jetzt bedauern. Zwar klingt die Begründung für seinen Antritt ehrenwert: „Ich möchte die Kandidatur nutzen, um auf die Armut und soziale Ungerechtigkeit in diesem Land hinzuweisen, und um als Fürsprecher von Menschen aufzutreten, die zu wenig gehört werden."
Doch sein Engagement für Obdachlose, Arme und Geflüchtete wird im Prozedere der Wahl gar nicht zur Sprache kommen. Allein schon, weil die Bundesversammlung kein Parlament ist und nicht dem Streit um politische Überzeugungen dient. Gerhard Trabert ist nicht nur chancenlos (was ihm auch klar ist), er besitzt auch vor dem Wahlgang kaum eine realistische Möglichkeit, seine Stimme wirksam für die Benachteiligten zu erheben und damit Signale zu setzen, die er und andere für dringend notwendig halten. Doch exakt das wäre die Daueraufgabe der Partei, die ihn in die aussichtslose Wahl schickt. Genau an dieser Stelle weist sie Defizite auf. Denn sie kommt seit längerem über perspektivlose Hartz-IV-Klagegesänge nicht hinaus. Und darum erweckt sie mit der Nominierung eines Kandidaten den Verdacht, aus der Not eine Tugend machen zu wollen.
Doch es wird ihr nicht gelingen, seinen Glanz auf sich zu lenken. Es wäre etwas anderes, falls Trabert Parteimitglied wäre, dem rheinland-pfälzischen Landesvorstand angehörte und sich laufend mit sozialpolitischen Vorschlägen an die Öffentlichkeit wenden würde. Dann könnte in Teilen der Gesellschaft die gewünschte Assoziation herbeigeführt werden: Trabert = DIE LINKE, DIE LINKE = Trabert.
Allerdings müssen Identifikationsfiguren in den vorgesehenen Zielgruppen ohne wesentliche Vorbehalte akzeptiert sein. Und es gibt ein weiteres Hindernis: Es ist vorstellbar, dass Gerhard Trabert mit anderen Menschen zusammenarbeitet, die völlig andere politischen Präferenzen haben und sich deswegen distanzieren könnten, was kontraproduktiv wäre für die beabsichtigte Wirkung.
 

Günter Grass befand sich beim Bundestagwahlkampf 1961 in einer anderen Situation. Ihm gelang es, einen nennenswerten Teil der Intellektuellen für die SPD zu mobilisieren. „Ich rat Euch ES-PE-DE zu wählen“, lautete sein Ratschlag, der zusammen mit den Voten anderer Schriftsteller in einem Rowohlt Taschenbuch veröffentlicht wurde. Günter Grass plus Willy Brandt - das erschien damals als die kongeniale Verbindung von Geist und Macht. Für linke Parteien ist eine solche Nähe unverzichtbar. Denn ihre Anliegen speisen sich aus Entwürfen großer Denker, gewachsenen ethischen Normen und deren kritischer Reflektion. Doch allzu viele Linke sind von der LINKEN gerade deswegen enttäuscht.

 

 

Zu Gerhard Trabert

 

Die LINKE wird versuchen, sich in den Wochen vor der Wahl des Bundespräsidenten über Gerhard Trabert zu definieren, was diesem nicht gerecht wird, sein Anliegen sogar reduziert. Denn der sozial engagierte Mediziner zeigt an der Korrelation von Armsein und Kranksein exemplarische Strukturen einer ungerechten Gesellschaft auf.
 

Er selbst fasst es so zusammen: „Armut macht krank und Krankheit macht arm. Seit Jahrzehnten ist es mein wichtigstes Anliegen, diesen Missstand in die Öffentlichkeit zu tragen und zu versuchen, betroffenen Menschen als Sozialarbeiter und Arzt ein Stück Würde zurückzugeben.“
 

Der von Trabert gegründete Verein „Armut und Gesundheit in Deutschland“ beschreibt auf seiner Internetseite sein Wirkungsfeld:
Obwohl zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen den Zusammenhang von Armut und Krankheit nachweisen, wird diesem Kontext in der Öffentlichkeit zu wenig Beachtung geschenkt. Dem Gründer und Vorsitzenden ist es daher ein Anliegen gewesen, diesen Missstand in die Öffentlichkeit zu tragen und auch aktiv an einer besseren medizinischen Versorgung zu arbeiten. Mit seinen fachlich ausgezeichneten Praxismodellen zur Gesundheitsversorgung und Gesundheitsförderung hat er viele Menschen davon überzeugen können, dass unsere Arbeit wichtig und unterstützenswert ist.
 

Angefangen hat es zu nächst mit dem „Mainzer Modell“ für wohnungslose Menschen auf der Straße. Gerhard Trabert suchte nicht nur Anlauf- und Beratungsstellen der Wohnungslosenhilfe auf, sondern inkludierte ein Arztmobil, eine rollende Ambulanz, mit der er die Menschen an den bekannten Verweilplätzen in Form von „medical streetwork“ aufsucht.
Der Bedarf an medizinischer Hilfe war und ist groß. Inzwischen gibt es ca. 2500 – 3000 Behandlungen bei ca. 600 Patienten im Jahr.
Daher hat Dr. Trabert als erster Arzt in der Bundesrepublik von der Kassenärztlichen Vereinigung eine Ermächtigung - speziell und ausschließlich als Wohnungslosenarzt - bekommen. So können entstandene Kosten mit der Kassenärztlichen Vereinigung, der ARGE oder dem Sozialamt abgerechnet und zumindest ein Teil unserer Arbeit finanziert werden.

Seit Gründung des Vereins hat Dr. Trabert und sein Team weitere Projekte ins Rollen gebracht: Eine feste Ambulanz an der Mainzer Zitadelle, ein Street Jumper-Modell und weitere Projekte zur Förderung der Gesundheitskompetenz bei Kindern und Jugendlichen.

 

Die Internetadresse des Vereins lautet:
https://www.armut-gesundheit.de/der-verein/

 

Das „Kritische Tagebuch“ führt Klaus Philipp Mertens