Der moderne Staat hingegen muss auf immer komplexere Vorgänge adäquat reagieren, dabei aber die Grundsätze von Demokratie und Menschenrechten ohne Einschränkung einhalten. Er muss die freiheitlichen und sozialen Errungenschaften gegen innere und äußere Feinde verteidigen. Muss seriöses Wirtschaften ermöglichen und Profitgier verhindern. Muss die diversen Strukturen des Landes hegen und ausbauen, muss ein klassenloses Bildungs- und Gesundheitssystem garantieren und für umweltverträgliche Mobilität sorgen. Und er muss, weil allein Umwelt und Klima es erfordern, Wachstum vor allem an der Qualität der Güter und Dienstleistungen messen. Nur dort wird er mit staatlichen Mittel die Eigenaufwendungen von Betrieben unterstützen dürfen. Und in diesem Zusammenhang das Wesen staatlicher Kreditaufnahme neu zu definieren haben. Denn die Schulden des Staats sind die Differenz zwischen Einnahmen und notwendigen Ausgaben und letztlich die Summe jener Steuern, die den Zahlungskräftigen über Jahrzehnte erlassen wurden.
Diesem modernen Staat stehen die Interessensvertreter des Gestern und Vorgestern entgegen. Beispielsweise das Politbüro der marktradikalen Ökonomie, das Walter Eucken-Institut in Freiburg. Es ist längst aus der Zeit gefallen; seine Finanz- und Volkswirte sitzen nur noch auf der hinterletzten Bank der Wirtschaftswissenschaft. Das macht die Gruppe jedoch nicht ungefährlich, im Gegenteil. Denn hier ist das einflussreiche Lobby-Netzwerk NOUS angesiedelt. Partner des Instituts ist das Atlas Network, das weltweit neoliberale und libertäre Organisationen gründet, fördert und koordiniert. Der Leiter des Instituts, Prof. Lars P. Feld, ist auch Co-Vorsitzender von NOUS. Christian Lindner holt sich von ihm regelmäßig Ratschläge.
Möglicherweise hat Lindner seine Nähe zum Walter Eucken-Institut dazu animiert, sich positiv zu äußern über die ultraliberale und rechtspopulistische Politik des argentinischen Präsidenten Milei und des US-Unternehmers Musk, der in Kürze offizieller Berater in Donald Trumps Regierung wird. „Mehr Milei oder Musk wagen“ – so lobte der FDP-Vorsitzende in der ARD-Sendung „Caren Miosga“ zwei halbseidene Figuren mit Nähe zu kriminellen Milieus. Später versuchte er zu relativieren, vergrößerte dadurch jedoch den von ihm angerichteten politischen Flurschaden. Er sei sich im Klaren über die „Scharfkantigkeit“ der beiden. „Ich verkenne nicht, dass es hier auch Problematisches gibt. Aber was mich beeindruckt, ist dort die Kraft zur Disruption, eine Wende herbeizuführen, wenn ein Abstieg droht. Und das fehlt uns in Deutschland.“ Das ist eine eindeutige Aufforderung zum Verfassungsbruch.
Die ehemalige FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger kritisierte die Äußerungen ihres Noch-Parteichefs: „Milei will den Staat zerstören, er ist frauenfeindlich und hat mit liberaler Demokratie nichts am Hut. Es ist absolut indiskutabel, dass die FDP sich in diese Richtung entwickeln wird." Auch Elon Musk verfolge radikal eigene Geschäftsinteressen und lehne staatliche Kontrolle ab. „Der hat mit unserer Demokratie nichts zu tun." Der Rechtspopulist Milei schreddert das bislang relativ gut funktioniere Sozialsystem in Argentinien und reduziert den Staat auf ein Skelett aus Armee und Polizei. Ansonsten herrscht totale Marktradikalität.
Die FDP wird sich entscheiden müssen. Will sie ein Leben zu Lasten anderer, vor allem Schwächerer, propagieren oder Teil der auf Gerechtigkeit und Zukunft ausgerichteten politischen Kräfte sein?
Klaus Philipp Mertens