Das kritische Tagebuch

Die Dummheit wohnt im Osten. Der Westen kann noch hoffen.

Was die Europawahl an den Tag gebracht hat

CDU/CSU sind bei der Europawahl mit dem sprichwörtlichen blauen Auge davon gekommen. Ihr Endergebnis weist nur minimale Verluste auf. Aber in den östlichen Bundesländern ist die Union von der AfD überrollt worden. SPD und Grüne sind dort der 5-Prozent-Hürde sehr nahegekommen, in Thüringen rangieren die Grünen sogar darunter. Diese Hürde gilt zwar bei der Wahl zum EU-Parlament nicht, aber bei den im Herbst anstehenden Landtagswahlen könnten daran letzte Illusionen zerbrechen. Die sich in der Bundesregierung regelmäßig selbst überschätzende FDP kann sich im Hinblick auf die nächste Bundestagswahl nicht sicher sein, diese politisch überleben zu können. Die Anhänger des „asiatischen Wegs zum Sozialismus“ (ein Begriff, den Rudi Dutschke 1973 in seiner Dissertation verwendete) in der alten Linken haben sich unter Führung von Sahra Wagenknecht abgespalten und konnten einen relativen Erfolg verbuchen, der sich im Osten zwischen 12 und 16 Prozent bewegt. Die Rest-Linke hingegen läuft Gefahr, bedeutungslos zu werden.
 

Bei einer ersten Bewertung der Wahl muss konstatiert werden, dass in Ostdeutschland eine Parallelgesellschaft entstanden ist, die sich auf das Votum eines Viertels, in einigen Regionen gar auf die Hälfte der Wähler stützt, nämlich auf die Stimmen für AfD und BSW. Ebenso bedenklich ist der Zuspruch junger Wähler für die AfD, der mit der Nutzung der Unterschichtmedien TikTok und Instagram in dieser Altersgruppe korreliert. Dieses Phänomen ist gleichzeitig ein Hinweis auf ein gravierendes Versagen unseres Schulsystems, das zunehmend deformierte Staatsbürger zu produzieren scheint.
 

Das Wahlergebnis lässt auch einen weiteren Rückschluss zu. Die Komplexität der deutschen Sprache wird zunehmend von  selbst ernannten Fortschrittlichen in Frage gestellt. Vor allem eine fundamentalistisch-feministische Ideologie versucht Grammatik und Rechtschreibung im Sinn einer besonderen Sichtbarmachung von Geschlechtern durch Zusatzzeichen, also Anhängsel an Wörter, zu verändern. Dass dies auch ohne Asterisk oder Doppelpunkt seit Jahrhunderten problemlos möglich ist, wird verschwiegen. Ebenso die Tatsache, dass durch das Gendern Sprachlogik und Sprachfluss verloren gehen, was zu einer Verkrüppelung des Deutschen führt. Vor allem die Grünen, aber auch Teile der SPD, favorisieren diese synthetische Sprache, der es u.a. an Konkretion und Ausdrucksfähigkeit mangelt.
Man kann festhalten, dass das sogenannte Gendern eine Eigenschaft der Wahlverlierer ist. Die übergroße Mehrheit der Wähler hält aus sehr unterschiedlichen Gründen an der in Jahrhunderten aus sich selbst gewachsenen deutschen Sprache fest. Der mal offen, mal versteckt ausgetragene Kulturkampf scheint entschieden zu sein.

 

SPD und Grüne, die zumeist dem progressiven Teil der Bevölkerung zugerechnet werden, müssen ihre unrealistischen Träumereien beenden und zu einer Programmpartei zurückfinden, die ihre Ziele verständlich formuliert und in der Praxis beweist, dass sie es ernst meint.
 

Die SPD müsste Forderungen festschreiben, die in ihrer langen Parteigeschichte bereits häufig gestellt, aber leider nie realisiert wurden:

Im Mittelpunkt einer gerechten und solidarischen Gesellschaft muss der einzelne Mensch in seiner individuellen geschlechtlichen Ausprägung, in seiner Würde und körperlichen Unversehrtheit sowie seiner intellektuellen Entfaltungsmöglichkeiten stehen. Er arbeitet, um mit Anstand leben zu können; er lebt nicht, um zu arbeiten oder um sein Leben als fremdbestimmter Konsument zu verbringen. Daraus entstehen für alle wirtschaftlichen Tätigkeiten eindeutige Normen. Folglich sind Großunternehmen der politischen Kontrolle zu unterwerfen, um Monopole, Wettbewerbsverzerrungen und Entrechtung der Arbeitnehmer sowie die Produktion von Überflüssigem zu verhindern. Die Politik hat einen allgemeinverbindlichen Tarifrahmen festzusetzen, der nicht unterschritten werden darf. Da sich der Staat aus Steuereinnahmen finanziert, ist eine die Lasten gerecht verteilende Steuerpolitik für sämtliche Arten von Einkünften eine Grundvoraussetzung. Sollten die Aufgaben des Staats einschließlich der Anschubfinanzierung neuer Wirtschaftsstrukturen in einem Haushaltsjahr nicht aus den Einnahmen finanzierbar sein, muss er Kredite aufnehmen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Staat kein Krämerladen ist und folglich nicht von Verschuldung, sondern von Innovationsinvestionen zu reden ist. Der Handel mit nicht reproduzierbaren Wirtschaftsgütern ist zu verbieten. Letzteres schließt die Vergesellschaftung von Grund und Boden ein, priorisiert Bau und Erhalt von modernen und ökologischen Mietshäusern und definiert den Immobilienhandel als Auslaufmodell. Der Anspruch sämtlicher Bürger auf ein klassenloses Gesundheitssystem sowie auf Renten, die nicht zur Altersarmut führen, ist durchzusetzen. Letztere werden sowohl von Beitragszahlern als auch von den Steuerbürgern finanziert. Die Welt der kreativen Arbeit ist auf einen kulturellen Überbau angewiesen, der alle gesellschaftlichen Faktoren reflektiert. Darum ist Kultur ein Wesensbestandteil des modernen humanen Staats. Dies bedeutet Vorfahrt für Bildung, sowohl für Allgemeinbildung als auch für Fachbildung. Soziale Demokratie bedeutet auch die Entmilitarisierung der Zivilgesellschaft, selbst wenn auf moderne Streitkräfte zur Landesverteidigung nicht verzichten werden kann (siehe das Beispiel Ukraine).

 

Den Grünen wird empfohlen, Folgendes in ihr Stammbuch verbindlich aufzunehmen:
Boden, Wasser und Luft sowie der Weltraum können ihrem Wesen nach keinen kommerziellen Interessen unterworfen sein, sondern dürfen ausnahmslos nur gemeinwirtschaftlich genutzt werden. Das allen Menschen eigene Streben nach Mobilität, auch zum Zweck der Kontakte, verlangt aus den vorab genannten Gründen nach einer Regulierung der Verkehre. Öffentlicher Verkehr rangiert vor Individualverkehr. Maßstäbe sind Fußgänger und Menschen, die in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt sind. Energiegewinnung darf wegen der knappen Ressourcen und aus Gründen der Nachhaltigkeit ausschließlich auf regenerierbaren Stoffen basieren. Darum verlangt auch das Heizen von Wohnungen und Geschäftsräumen nach neuen Lösungen, etwa nach Wärmepumpen oder der Produktion von Fernwärme. Die Versiegelung von Flächen muss ein rasches Ende finden. Das bedeutet auch das Ende von spießbürgerlichen Träumen, beispielsweise von Eigenheimen und Eigentumswohnungen. Die Sanierung des Klimas und die Schaffung eines ökologischen Bewusstseins sind zwei Voraussetzungen für eine lebenswerte Zukunft. Hierzu gehört auch, dass die zunehmend digitalisierte Welt dem Schutz der Persönlichkeitsrechte unterworfen sein muss. Das Speichern und Austauschen personenbezogener Daten ist auf das Allerdnotwendigste zu beschränken. Der Handel mit Daten muss verboten werden. Die Ursachen der weltweiten Flüchtlingsströme können nicht in Deutschland und seinen Nachbarländern gelöst werden. Grüne Politik darf sich nicht in einer unreflektierten Asylbefürwortung erschöpfen, sondern muss sich als eine Form des Antikapitalismus verstehen.

 

Für die Rest-Linke könnte aus diesen Forderungskatalogen ein eigener entstehen. Er sollte die spezielle Handschrift einer radikal denkenden und verantwortlich handelnden Minderheit tragen. Linke Politik könnte sich als Katalysator für rot-grüne Vorhaben verstehen und dadurch einen festen Platz im Parteiengefüge finden. Ein linker Populismus, der sich aus Vereinfachungen und Vorurteilen speist, wie er derzeit vom BSW propagiert wird, entspricht nicht der Tradition der sozialistischen Weltbewegung.

 

 

Klaus Philipp Mertens

 

 

Übersicht der Ergebnisse der Europawahl in Ostdeutschland
 

Sachsen:            CDU 21,8 %, AfD 31,8 %, SPD 6,9 %, Grüne 5,9 %, BSW 12,6 %
 

Sachsen-Anh.     CDU 22,8 %, AfD 30,5 %, SPD 8,7 %, Grüne 3,9 %, BSW 15 %
 

Thüringen          CDU 23,2 %, AfD 39,7 %, SPD 8,2 %, Grüne 4,2 %, BSW 15 %
 

Brandenburg       CDU 18,4 %, AfD 27,5 %, SPD 13,1 %, Grüne 6,0 %, BSW 13,8 %
 

Meck.-Vorpom.   CDU 21,5 %, AfD 28,3 %, SPD 10,3 %, Grüne 4,8 %, BSW 16,4 %