Das kritische Tagebuch

Anstößig oder notwendiger Anstoß?

Frankfurt am Main erlaubt das „Oben-ohne-Schwimmen“

© MRG

Die Frankfurter Regierungskoalition (Grün, Rot, Gelb, Farblos) verklärt das nunmehr in öffentlichen Bädern erlaubte „Oben-ohne-Schwimmen“ als Beitrag zur Geschlechtergerechtigkeit. Mir hingegen erscheint die Freigabe als erneutes Indiz für die in der Stadtregierung grassierende Bildungsferne. Denn die weibliche Brust gilt medizinisch als sekundäres Geschlechtsmerkmal. Männer haben keinen Busen. Ihre Brustwarzen sind das Überbleibsel aus einer frühen embryonalen Entwicklungsphase, als das Geschlecht noch nicht festgelegt war. Folglich lässt sich das, was Frauen haben, nicht mit dem vergleichen, was Männer nicht haben. Es besteht also eine Ungleichheit, die sich nicht kaschieren lässt, vor allem nicht mit dem Schlagwort „Geschlechtergerechtigkeit“.
 

Ich zähle mich zu der noch nicht gänzlich ausgestorbenen Gruppe der 68er. Damals, vor 50 Jahren, als Moral vor allem als sexuelle Moral definiert wurde, verzichteten viele Frauen auf das Oberteil. Für sie war es ein Symbol sexueller Verklemmung, das sie wo immer möglich ablegen wollten. Die jungen Männer pflichteten ihnen bei, nicht wenige allerdings genossen auch den Anblick. Doch als „Oben-ohne“ normaler wurde und selbst die katholischen Frauenvereine weniger hysterisch reagierten, verlor sich allmählich der Reiz von Befreiung und voyeuristischem Genuss und damit auch das Anstößige. Viele Frauen der Protestjahre lebten fortan bewusster und selbstbestimmter. Die antiautoritären Männer legten überwiegend das pubertäre Glotzen ab.

Die Frauen von heute sollten pragmatisch entscheiden, was sie für angemessen und letztlich für normal halten. Vorsicht ist jedoch geboten, wenn ihnen Politiker statt Emanzipation nur billige Surrogate offerieren. Den Männer sei empfohlen, jede auch noch so freizügige Bekleidung der Frauen nicht falsch zu deuten, etwa als Einladung. Vor allem aber scheint es mir an der Zeit zu sein, Geschlechtergerechtigkeit weder an falschem Deutsch noch an falschem Körperbewusstsein fest zu machen.

 

Klaus Philipp Mertens