Einzelartikel aus „https://bruecke-unter-dem-main.de - Frankfurter Netzzeitschrift“

Das kritische Tagebuch

Amazons Gütertram

Strukturförderung für einen Steuervermeider? Vier Wochen testete die „Frankfurt University of Applied Sciences“ den Probetransport von Amazon-Paketen per Güterstraßenbahn und Lastenrädern. Das Ergebnis lässt Zweifel aufkommen.

 

Der Test soll positiv verlaufen sein. Pro Tag wurden ca. 320 Pakete von einem Verteilzentrum per umgebauter Tram in die Stadtmitte und anschließend mit Lastenrädern, die jeweils 67 Stücke fassten, zu den Empfängern transportiert. Das Fassungsvermögen der dazu hergerichteten Tram betrug sogar 600 Pakete.

 

3 Milliarden Pakete sind jährlich im Umlauf

 

Damit aus Tests eine allgemeingültige Aussage abgeleitet werden kann, muss ein detailreiches Prozedere unter gleichen Voraussetzungen wiederholbar sein und zu identischen Ergebnissen führen. Denn es geht um die Lösung einer gigantischen Aufgabe. Die mehr als 3 Milliarden Pakete, die jährlich versendet werden, sollen klimaneutral, ohne Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer und unbeschädigt ausgeliefert werden. Auf Frankfurt entfallen laut Brancheninformationen 120 - 150 Millionen Sendungen (durchschnittlich 400.000 täglich). Es geht neben den ökologischen Aspekten um die getaktete Verknüpfung von Depot, Tram, Umladestationen und Einzelzustellungen. 

 

Der Online-Handel ist die treibende Kraft 

 

Der für Steuervermeidung bekannte Online-Händler Amazon ist hierzulande zwar der größte Versandhändler, aber nicht der einzige. Sein eigener Zustelldienst hat einen Marktanteil von ca. 15 Prozent (DHL ca. 40 Prozent). Folglich hätte ein realistischer Test das Frachtaufkommen mehrerer relevanter Unternehmen berücksichtigen müssen. Möglicherweise hängt die Entscheidung für Amazon mit dem Steuerverständnis der Firma zusammen. Oder mit Realitätsdefiziten seitens der Fachuniversität. 

 

Für Zwischenlager und die Feinverteilung fehlen Strukturen

 

Eine weitere Schwachstelle, die den Aussagewert des Tests beschränken könnte, ist der Takt im Trambahnnetz. Wie viele Lastenzüge lassen sich in den Fahrplan einspeisen, ohne dass es im Regelverkehr zu Verspätungen kommt? Da ein Lastenrad nur ca. 67 Packstücke fassen kann, ein normaler Kleintransporter jedoch 200, manchmal auch mehr, wären drei- bis viermal so viele Gefährte notwendig. Die würden Radwege und Straßen verstopfen; denn der verfügbare Raum ist begrenzt. Ob er durch Reduzierung oder den allmählichen Fortfall von Paketautos vergrößert werden kann, ist anscheinend nicht untersucht worden. Außerdem sind für das Umladen von der Straßenbahn ins Lastenrad Flächen auf der Straße oder auf Bahnsteigen einzukalkulieren.

 

Sind Paketstationen die Alternative?

 

Es ist unbestritten, dass die derzeitige Form der Paketzustellung zu Lasten der Verkehrssicherheit geht (Parken in zweiter Reihe, Blockieren von Einfahrten) und das Klima durch Abgase schädigt. Der Mitbewerber DHL verspricht sich von der Errichtung schnell erreichbarer Paketstationen eine effektivere und nachhaltigere Lösung. Doch anscheinend wurden die verschiedenen Ansätze gar nicht miteinander verglichen. Das lässt Zweifel an der Methodik der Untersuchung aufkommen. 
Alles in allem erscheint mir die Erfolgsmeldung der Frankfurter Fachhochschule mehr als PR-Gag, denn als Hinweis auf eine Innovation.

 

 

Klaus Philipp Mertens