Das Mai-Heft des evangelischen Magazins CHRISMON lag heute der FAZ bei. Auf den ersten Blick registrierte ich eine starke Leistung – der Anzeigenabteilung: Von 52 Seiten Heftumfang (inklusive Umschlagseiten) entfallen 13 Seiten auf Produktanzeigen und vier auf Eigenanzeigen. Für das, was die evangelische Kirche in einer immer komplexeren Welt eigentlich zur Sprache bringen sollte, verbleiben 35 Seiten.
Allerdings sind etliche Spötter der Meinung, dass selbst ein so relativ geringer Umfang die derzeitige evangelische Publizistik vor schwere Aufgaben stellen würde. Denn es sei fraglich, ob sie überhaupt noch Substantielles zu sagen bzw. zu schreiben habe. Tatsächlich stoße ich überwiegend auf Artikelchen, die ich dem Vernachlässigbaren zuordne. Mit zwei Ausnahmen:
Ein Gespräch mit dem mitteldeutschen Landesbischof Friedrich Kramer über den Umgang mit der AfD. Darin offenbart der Geistliche eine naive Sicht auf die rechtsradikale Partei und deren Wähler. Spontan fällt mir ein Abschnitt aus dem alttestamentlichen Buch Deuteronomium ein: „Siehe, ich habe Dir heute vorgelegt das Leben und das Gute, den Tod und das Böse“ (Kapitel 30, Vers 15). Der Gott Israels verlangt eine klare Entscheidung.
Eindeutiger war Kramer nach dem russischen Überfall auf die Ukraine. Er wandte sich gegen die Lieferung von Waffen. Solche würden „Verhandlungsoptionen für die Zeit nach dem Krieg“ verschließen. Man habe es versäumt, Russlands Sicherheitsinteressen „nüchtern in den Blick zu nehmen“ um einen „gemeinsamen Sicherheitsraum“ zu schaffen. Das klingt nach viel Verständnis für einen Aggressor. In dem Interview wird die Haltung des Bischofs in dieser Frage nicht erwähnt.
Vom Grundsatz interessant ist auch das Interview mit der Schriftstellerin und Regisseurin Nino Haratischwili über Gott, das Sterben und den Tod. Leider werden die Fragen nur angerissen. Mehr Tiefe hätte dieser Befragung gut getan.
Die Kritiker der evangelischen Publizistik verweisen neben Defiziten beim Aufgreifen relevanter Themen auch auf die Einstellung anerkannter Zeitungen bzw. Zeitschriften während der letzten 30 Jahre: Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, Evangelische Kommentare (ja, es gibt noch ein intellektuell entkerntes Nachfolgeblatt), Medium (Zeitschrift für Hörfunk, Fernsehen, Film, Presse), medien praktisch (Medienpädagogische Zeitschrift für die Praxis), Korrespondenz die frau, GEP BuchMagazin oder die Kinderzeitschrift Benjamin. Sie könnten für den gesellschaftlichen Diskurs sehr hilfreich sein und die Kirche wieder zum Mitgestalter machen. Doch diese Chancen hat sie sehenden Auges verpasst.
Mit dem Fortfall dieser und anderer Publikationen verlor auch das Gemeinschaftswerk der evangelischen Publizistik seine ursprüngliche Bedeutung. Die Aufgabe, die ihm der Publizistische Gesamtplan der EDK von 1979 (sechs Jahre nach seiner Gründung) überantwortete, nämlich Stimme der Kirche in einer zunehmend säkularen Welt zu sein, konnte es immer weniger erfüllen. Finanzielle Mittel wurden ihm entzogen. Das im Jahr 2000 im Zusammenhang mit der Umwandlung zur gemeinnützigen GmbH eingeführte neue Führungs- und Organisationsmodell erwies sich als totale Verkennung kirchlicher und publizistischer Herausforderungen. Zudem machte die bereits im langen Sterben liegende landeskirchliche Publizistik der Frankfurter Zentrale wichtige Zuständigkeiten in den Bereichen Verlag, Evangelischer Pressedienst (epd) und Öffentlichkeitsarbeit streitig.
Das Monatsmagazin CHRISMON, ein Surrogat für das DS, vom GEP verlegt, das zwei Wochenzeitungen und mehreren Tageszeitungen beiliegt, bringt für nachdenkliche Leser innerhalb und außerhalb der Kirche keinen Informationsgewinn. Vielmehr wird dort über den „Reader’s Digest für Suchende ohne Ziel“ gewitzelt. Insider zweifeln am USP des Blatts.
Im Jahr 2002 wurde das GEP endgültig zum Dienstleister degradiert. Seither sind mehr als zwanzig Jahre vergangen. Der Auszug aus der Kirche konnte nicht gestoppt werden. Insbesondere das Bildungsbürgertum, ein traditionelles Element des Protestantismus, fühlt sich dort kaum noch heimisch und gibt keine Anstöße mehr. Das spiegelt sich in der evangelischen Publizistik.
Klaus Philipp Mertens
In diesem Zusammenhang wird auf den Artikel „Die Sache mit Gott - Eine Spurensuche für die Gebildeten unter den Verächtern“ verwiesen:
https://www.bruecke-unter-dem-main.de/vom-geist-der-zeit-detail/die-sache-mit-gott
Er ist das Protokoll der Pro Lesen-Veranstaltung vom 19. Dezember 2024.