Regelmäßig äußere ich mich auch in Leserforen. Mit meinen jüngsten Anmerkungen zum Gendern (erschienen am 16. April in der Frankfurter Neuen Presse) löste ich vor allem eine Diskussion über die inhaltliche Qualität von Leserbriefen aus. Wie etwa: Soll man in solchen Meinungsforen auf der Basis von anerkanntem Wissen argumentieren – auf die Gefahr hin, nicht verstanden zu werden? Oder sollten sie eher Raum sein für unreflektierte Wortmeldungen, wo sich Leser den Ärger von der Seele schreiben können?
Als akademisch ausgebildeter Wissenschaftsredakteur halte ich mich grundsätzlich an Fakten, bemühe mich jedoch um allgemeine Verständlichkeit. Allerdings verhindert in einer komplizierten Welt die Reduktion von Komplexität jeglichen Diskurs. Folglich vertraue ich auf eine solide Allgemeinbildung meiner Leser und Zuhörer, habe aber Georg Pichts Warnung aus dem Jahr 1964 vor einer bevorstehenden deutschen Bildungskatastrophe immer im Gedächtnis.
Auf die Irrtümer der Genderisten will ich an dieser Stelle nicht ausführlich eingehen. Denn das meiste wurde gesagt bzw. geschrieben – zumindest in dieser Zeitschrift. Die zu beachtenden Regeln sind seit Jahrzehnten Bestandteile des Unterrichts an allgemeinbildenden Schulen. Hinsichtlich der Erwähnung von Frauen ist die sogenannte Beidnennung möglich (Leserinnen, Leser). Oder die Abstraktion durch das generische Maskulinum und Femininum. Letztere zählen zu den Epikoina (Singular Epikoinon, Altgriechisch „epikoinos“, was gemeinsam bedeutet). Es sind Substantive, die sich auf Lebewesen beziehen und ohne Wechsel des grammatischen Geschlechts sowohl weibliche als auch männliche Individuen bezeichnen können.
Vielmehr frage ich (mich selbst und andere), ob dieser Gesellschaft die Standards einer Kultursprache, konkret der deutschen, noch bewusst sind? Denn auch Sprachen weisen logische Regeln auf, die sich über Jahrhunderte in genuiner Weise, also aus sich selbst, und analog zu Wissenserweiterung und Bewusstseinswandel, entwickelt haben. Sie verhalten sich im Kern rational. Muss Neues ausgedrückt werden, geschieht das nach ihren axiomatischen Maßstäben (Wort- und Satzlehre). Die Syntax eignet sich nicht für allzu Schlichtes, weil sie solches als noch einfältiger erscheinen lässt. Nichtdenker und Ideologen entlarven sich ungewollt an den Regeln der deutschen Grammatik.
Wenn Grüne und Pseudointellektuelle für das Gendern plädieren, setzen sie sich über die Eckwerte der Sprache hinweg und entwerten damit exakt jene ethischen Grundsätze, die sie propagieren. Zu denen, welche das Gendern ablehnen, zählt auch die AfD. Ihre Mitglieder und Sympathisanten sind aber nicht dazu in der Lage, ihr Nein fachlich zu begründen. In beiden Milieus kreist das Schlagwort von der „Sprachpolizei“. Damit beweisen sie, dass sie nichts verstanden haben.
Klaus Philipp Mertens